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Die Preisaufklärung ist umfassend zu dokumentieren!

09.10.2023

Die Vergabekammer (VK) Bund hat mit Beschluss vom 06.06.2023 – VK 1-39/23 – u.a. folgendes entschieden:

1. Der öffentliche Auftraggeber ist verpflichtet, die Gründe für die Auswahlentscheidung nach Überprüfung der Kalkulation zu dokumentieren.
2. Bei Unterkostenangeboten ist der Auftraggeber gehalten, sorgfältig zu prüfen, ob eine einwandfreie Ausführung und Haftung für Gewährleistungsansprüche gesichert ist, und seine für die abschließende Entscheidung maßgeblichen Erwägungen so dokumentieren, dass nachvollziehbar ist, wie die Überprüfung der Kalkulation vorgenommen wurde.
3. Die Begründung muss alle Informationen enthalten, die notwendig sind, um die Entscheidung des Auftraggebers nachvollziehen zu können.

 

Werner

 

Bild: Anwalt Werner

 

Ein öffentlicher Auftraggeber (AG) hatte einen Rahmenvertrag über Gebäudereinigungs-leistungen europaweit im offenen Verfahren ausgeschrieben. Mit dem Angebot hatten die Bieter das Formblatt "Kalkulation des Stundenverrechnungssatzes über die Unterhaltsreinigung" ausgefüllt vorzulegen. Bieter A erhielt nach Wertung seines Angebotes per Vorabinformation (§ 134 GWB) die Mitteilung, dass er an vierter Stelle liege und der Zuschlag auf das Angebot des B vorgesehen sei. Darauf rügte A, bei den anderen Bietern sei die Kalkulation der Jahrespreise nicht auf Basis der gesetzlichen Mindestbedingungen und des Rahmentarifvertrages erfolgt; dies ergebe sich aus der Zurückrechnung des Angebots des B. Darauf bat der AG die Bieter A und B um zusätzliche Unterlagen und um Stellungnahme zu einzelnen Punkten der Kalkulation. Bei den Bietern auf Rang 2 und 3 fand keine Aufklärung statt, jedenfalls war eine solche in der Vergabeakte nicht dokumentiert. Nachdem A und B fristgerecht geantwortet hatten, wies der AG die Rüge des A zurück: B habe eine Gesamtpunktzahl von 100 Punkten erreicht; die Angebote auf Rang 1 bis 3 seien vollumfänglich auf Einhaltung aller gesetzlichen und tarifvertraglichen Vorgaben und auf Auskömmlichkeit geprüft worden. A beantragte Nachprüfung.

Die VK gibt Bieter A Recht. Sein Nachprüfungsantrag sei zulässig und begründet. Die Platzierung seines Angebotes auf Rang 4 stünde seiner Antragsbefugnis nicht entgegen. Nachdem in der Vergabeakte eine Aufklärung und nähere Prüfung der Angebote an Rang 2 und 3 nicht vorgelegt worden sei, sei zumindest nicht auszuschließen, dass auch diese Angebote nicht zuschlagsfähig seien, so dass dem A ein ihm drohender Schaden nicht bereits allein aufgrund seines 4. Rangplatzes abgesprochen werden könne.

In der Sache könne dem AG eine vergaberechtsfehlerfreie Zuschlagsentscheidung nicht attestiert werden, weil die Prüfung und Aufklärung der Angebote nicht ordnungsgemäß dokumentiert sei. Der Auftraggeber sei verpflichtet, die Gründe für die Auswahlentscheidung nach Überprüfung der Kalkulation zu dokumentieren (§ 8 Abs. 1 S. 2 VgV, § 20 EU VOB/A, § 97 Abs. 1 GWB). Im Hinblick auf die Überprüfung der Kalkulation gelte nach der Rechtsprechung des BGH zwar, dass die Bieter in der Kalkulation ihrer Preise grundsätzlich frei seien. So sei es den Bietern auch nicht schlechthin verwehrt, zu einem Gesamtpreis anzubieten, der lediglich einem Deckungsbeitrag zu den eigenen Fixkosten verspreche (Unterkostenangebote). Der Auftraggeber sei bei solchen Angeboten allerdings gehalten, sorgfältig zu prüfen, ob eine einwandfreie Ausführung und Haftung für Gewährleistungs-ansprüche gesichert sei (vgl. BGH, Urt. v. 19.06.2018 – X ZR 100/16). Der Auftraggeber müsse dementsprechend seine für die abschließende Entscheidung maßgeblichen Erwägungen so dokumentieren, dass nachvollziehbar sei, wie die Überprüfung der Kalkulation vorgenommen wurde. Die Begründung müsse alle Informationen enthalten, die notwendig seien, um die Entscheidung des öffentlichen Auftraggebers nachvollziehen zu können.

Eine Aufklärung der Kalkulation der Bieter 2 und 3 der Bieterreihenfolge sei hier ausweislich der vorliegenden Vergabeakten nicht erfolgt. Mithilfe der Aufklärung prüfe der Auftraggeber gemäß § 60 Abs. 2 Satz 1 VgV die Zusammensetzung des Angebots und berücksichtige die übermittelten Unterlagen. Die Prüfung könne neben der Wirtschaftlichkeit gemäß § 60 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 VgV auch die Einhaltung der Verpflichtungen nach § 128 Abs. 1 GWB, insbesondere der für das Unternehmen geltenden umwelt-, sozial- und arbeitsrechtlichen Vorschriften (§ 60 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 VgV) betreffen. Der Auftraggeber "dürfe" den Zuschlag auf das Angebot ablehnen, wenn er die geringe Höhe des angebotenen Preises oder der Kosten nicht zufriedenstellend aufklären könne. Hierbei sei ihm ein rechtlich gebundenes Ermessen eingeräumt. Die Ablehnung des Zuschlags sei grundsätzlich geboten, wenn der Auftraggeber verbleibende Ungewissheiten nicht zufriedenstellend aufklären könne (vgl. OLG Düsseldorf, B. v. 12.04.2023 - Verg 26/22). Er sei verpflichtet das Angebot abzulehnen, wenn er festgestellt habe, dass der Preis oder die Kosten ungewöhnlich niedrig seien, weil die Verpflichtungen nach § 60 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 VgV nicht eingehalten würden (§ 60 Abs. 3 Satz 2 VgV)

Infolge der vorgenommenen Aufklärung sei wegen der in der Akte enthaltenen handschriftlichen (und überwiegend nicht lesbaren) Kommentierungen der Kalkulation des B auch im Vergleich zu den Kommentierungen bei A nicht erkennbar, wie der AG die Unterschiede in der Kalkulation der Bieter einordne. Es sei nicht nachvollziehbar, welche Schlussfolgerungen der AG aus seiner Überprüfung ableite. Ein abschließender, zusammenfassender Vermerk, der sich ferner mit den ausführlichen Äußerungen des B zu dessen Kalkulation beschäftige, sei nicht vorhanden. Es sei unklar, ob der AG davon ausgehe, dass es sich beim Angebot des B nach der Aufklärung um ein auskömmliches Angebot handele oder ob ein Unterkostenangebot vorliege und dieses zufriedenstellend oder nicht zufriedenstellend aufgeklärt worden sei. Der Akte sei nur zu entnehmen, dass an der Zuschlagserteilung festgehalten werde. Diese Dokumentationsdefizit habe der AG, der im Nachprüfungsverfahren im Wesentlichen nur auf die Mitteilung zur Nichtabhilfe der Rüge verwiesen habe, auch nicht beseitigt.

Anmerkung:

Die Entscheidung zeigt einmal mehr, wie eminent wichtig eine sorgfältige und umfassende Vergabedokumentation ist. Dabei hat der AG nicht nur nachvollziehbar niederzulegen, nach welchen Erwägungen er die einzelnen Angebote bewertet hat, sondern auch, wie er die Preise aufgeklärt und die Aufklärungsergebnisse im Einzelnen beurteilt hat. Letztlich geht es darum, dass im Rahmen eines möglichen Nachprüfungsverfahren die Vergabekammer in der Lage sein muss, aus der Vergabedokumentation die Entscheidungen des AG problemlos nachvollziehen zu können. Oder mit anderen Worten: Wer nicht oder nicht richtig dokumentiert, verliert! (siehe OLG Celle; B. v. 12.05.2016 – 13 Verg 10/15).

  Quelle: Anwalt Werner


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