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E-Vergabe: Funktionierende IT ist Sache des Bieters!

18.08.2020

Von RA Michael Werner

Die Vergabekammer (VK) Sachsen hat mit Beschluss vom 27.02.2020 – 1/SVK/041-19 – u.a. folgendes entschieden:

• Ein nicht fristgerechtes Angebot wird nur dann nicht nach § 57 Abs. 1 Nr. 1 VgV ausgeschlossen, wenn der Bieter die zu späte Angebotsabgabe nicht zu vertreten hat. Maßstab für das Vertretenmüssen ist zunächst § 276 BGB. Die dazu ausreichende einfache Fahrlässigkeit bestimmt sich nach dem am allgemeinen Verkehrsbedürfnis ausgerichteten objektiv-abstrakten Sorgfaltsmaßstab.

• Es ist Sache des Bieters dafür zu sorgen, dass seine Hard- und Software korrekt installiert sind und aktuell gehalten werden. Ebenso hat der Bieter sicherzustellen, dass seine allgemeine Netzwerkumgebung und Internetverbindung leistungsfähig ist, um die erforderliche Datenmenge zu transportieren und im erforderlichen Maß mit der Vergabeplattform zu kommunizieren. Der Verantwortungsbereich des Bieters beginnt und endet am Übergabepunkt, also dort, wo die Daten seinen technischen Einflussbereich betreten bzw. verlassen.

Ein öffentlicher Auftraggeber (AG) hatte Dienstleistungen im offenen Verfahren europaweit ausgeschrieben. Als Laufzeit des ausgeschriebenen Vertrages war ein Zeitraum von 5 Jahren, von 2020 bis 2025, vorgesehen, mit der Berechtigung des AG, die Vertragslaufzeit einmalig durch einseitige Erklärung bis 2027 zu verlängern. Die Angebotsfrist endete am 10.07.2019, 10.00 Uhr. Einen Tag vorher, am 09.07.2019, schlug der Versuch des Bieters A fehl, sein Angebot auf der vom AG angegebenen Vergabeplattform hochzuladen. Am 10.07.2019 wandte er sich mit mehreren E-Mails und Telefonaten an den AG und bat um Aufklärung. Mit E-Mail vom 14.10 Uhr antwortete der AG, dass als Ergebnis der technischen Prüfung des Softwaredienstes der Vergabeplattform feststehe, der Abbruch des Hochladens sei dadurch bedingt gewesen, dass die Gesamtdatengröße bei mehr als 500 MB gelegen habe; die Angebotsfrist werde zwar nicht verlängert, der A könne das Angebot aber innerhalb von vier Stunden nach Eingang dieser Mitteilung mit jeweils weniger als 500 MB hochladen. Um 14.20 Uhr startete A darauf erneut das Hochladen, um 18.00 Uhr waren aber erst 60% der Angebotsdaten hochgeladen, das Hochladen wurde am 10.07.2019 nicht mehr erfolgreich abgeschlossen. Erst am 12.07.2020 lagen alle Angebotsdaten endgültig beim AG vor. Der AG schloss daraufhin das Angebot des A als nicht fristgerecht aus. Dagegen wehrte sich A nach Rüge mit Antrag zur Vergabekammer.

Die VK gibt hier dem AG Recht; der AG habe zu Recht das Angebot des A wegen Verfristung ausgeschlossen. Gemäß § 57 Abs.1 Nr. 1 VgV würden Angebote von Unternehmen, die nicht form- oder fristgerecht eingegangen seien, von der Wertung ausgeschlossen, es sei denn, der Bieter habe dies nicht zu vertreten. Nicht fristgerecht eingegangene Angebote seien nach dieser Norm auszuschließen, weil andernfalls die Gleichbehandlung der Bewerber und Bieter nicht gewährleistet werden könne. Wie sich aus der negativen Formulierung des § 57 Abs. 1 Nr. 1 VgV ergebe, bestehe nach Auffassung der VK zunächst die Vermutung, dass der Bieter die Fristversäumung zu vertreten habe; diesem obliege also insoweit der Entlastungsbeweis. Träten technische Schwierigkeiten beim Betrieb der verwendeten elektronischen Mittel auf, so seien die Folgen danach zu beurteilen, wessen Sphäre sie zuzuordnen seien. Schwierigkeiten auf Auftraggeberseite dürften nicht zu Lasten der Anbieterseite gehen; demgegenüber gingen vom Bieter selbst zu verantwortende Schwierigkeiten zu seinen Lasten. Diese zählten zum Übermittlungsrisiko, das üblicherweise vom Absender zu tragen sei. Der Bieter trage also das Risiko der Übermittlung und des rechtzeitigen und vollständigen Eingangs seines Angebotes. Er müsse sein Angebot so rechtzeitig auf den Weg bringen und den Übermittlungsvorgang beginnen, dass sein Angebot vor Fristablauf an der vorgesehenen Stelle eingegangen sei. Nach der Rechtsprechung werde ein Angebot trotz Verfristung nur dann nicht ausgeschlossen, wenn der Bieter dies nicht zu vertreten habe. Maßstab für das Vertretenmüssen sei zunächst § 276 BGB. Die dazu ausreichende einfache Fahrlässigkeit bestimme sich nach dem am allgemeinen Verkehrsbedürfnis ausgerichteten objektiv-abstrakten Sorgfaltsmaßstab. Grundsätzlich könne sich daher der AG - wie jedermann - darauf verlassen, dass die Bewerber und Bieter die notwendigen Vorkehrungen träfen, um eine form- und fristgerechte Einreichung der Angebote zu gewährleisten. Nach Angaben des A sei hier gegen 21:50 Uhr oder 22:00 Uhr das sich drehende Kreissymbol für das Hochladen immer noch zu sehen gewesen. Insoweit habe man sich entschieden, den Computer und den Bildschirm anzulassen und den Computer nicht herunterzufahren, sondern sei dann in den Feierabend gegangen. Man sei insoweit davon ausgegangen, dass am Vorabend des Tages der Angebotsabgabe sämtliche Bieter versuchen würden, ihre Angebote abzugeben, so dass dementsprechend die Datenübertragung länger dauere. Dieser Vortrag begründe nach Überzeugung der VK ernsthafte Zweifel, ob das geschilderte Vorgehen noch als sorgfältiges Handeln bewertet werden könne. Nach Auffassung der VK erscheine es mindestens bedenklich, wenn man einen entscheidenden technischen Prozess wie das Hochladen eines Bieterangebotes, mit dem man sich für einen Auftrag für einen Leistungszeitraum von 5 oder gar 7 Jahren bewerben möchte und hinter dem ein wirtschaftliches Volumen im zweistelligen Millionenbereich stehe, nicht nur über eine halbe Stunde, sondern über fünf Stunden bzw. eine Nacht lang sich selbst überlasse. Womöglich wäre dem A abzuverlangen gewesen, dass er spätestens nach einer halben Stunde des erfolglosen Beobachtens des Screens mit dem sich drehenden Kreissymbol umgehend technische Hilfe suche, was zu dem Zeitpunkt unter Umständen noch möglich gewesen wäre. Dies würde umso mehr gelten, als A eventuelle Fehlermeldungen dadurch versäumt haben sollte. Im Übrigen habe sich herausgestellt, dass das Fehlschlagen der Angebotsabgabe am 10.07.2019 auf eine Unterbrechung der Internetverbindung oder auf eine veraltete Software-Komponente des A zurückzuführen sei, während die Vergabeplattform des AG nach Aussagen aller Beteiligten funktionsfähig gewesen sei. So habe der Plattformbetreiber auf Anfrage der VK mitgeteilt, dass im fraglichen Zeitraum vom 09.07.2019 (07:30 Uhr) bis zum 10. Juli 2019 (20:20 Uhr) insgesamt 130 Angebote über den selben Server auf die Vergabeplattform hochgeladen worden seien. Dagegen habe der Plattformbetreiber für den fraglichen Zeitraum keine Reklamation anderer Bieter erhalten, die geltend gemacht hätten, kein Angebot abgeben zu können. Unabhängig von dieser Aussage wäre anhand der Vergabedokumentation zudem festzustellen gewesen, dass 5 weitere Wettbewerber des gleichen Verfahrens ihr Angebot am 9. Juli 2019 im Zeitraum von 18:08 Uhr bis 23:30 Uhr erfolgreich hätten hochladen können.

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Anmerkung:
Die Entscheidung zeigt einerseits die Verantwortlichkeit des AG, den Bietern eine funktionsfähige Möglichkeit zur Angebotsabgabe zur Verfügung zu stellen, während andererseits die Bieter dafür zu sorgen haben, dass ihre Angebote unter Nutzung dieser Möglichkeit rechtzeitig dem AG zugehen. Dabei hat grundsätzlich der AG technische Fehler aus seiner Sphäre, der Bieter solche aus dessen Sphäre zu vertreten. Zweifel hinsichtlich der konkreten Ursache technischer Probleme gehen nicht automatisch und zumindest dann nicht zu Lasten des AG, wenn diesem kein Verstoß nachgewiesen werden kann und eine Ursache in der Sphäre des Bieters wahrscheinlich ist. Bieter sind daher auf den - auch seitens der Rechtsprechung wiederholt betonten - Rat aufmerksam zu machen: im Falle von technischen Schwierigkeiten bei der Angebotsabgabe ist es Sache des Bieters, den Auftraggeber hierüber rechtzeitig vor Ablauf (!) der Angebotsfrist zu informieren, damit dieser die Möglichkeit hat, hierauf ggf. durch Verlängerung der Angebotsfrist zu reagieren. Tut er dies nicht und der Fehler stammt letztlich aus seiner Sphäre, hat der Bieter hinsichtlich weiterer Ansprüche relativ „gute Karten“.

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