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Mit dem Auto gegen die Stützwand

22.10.2012

Eine neuartige Stützwand soll Autofahrern bei einem Unfall das Leben retten - Erster Crashtest bei Bernburg in Sachsen-Anhalt

-- Von Gregor Klaudius --

Bernburg (dapd-lsa). Notarzt Hendrik Pilz ist zufrieden. "Das wären nur ein gebrochener Fuß und ein Schädeltrauma", sagt Pilz, während er auf einen zerbeulten Kleinwagen blickt, dessen Fahrer-Dummie nach vorn geknickt im Gurt hängt. Der Mediziner aus dem Ameos Klinikum Bernburg ist einer von 40 Sachverständigen, die in Sachsen-Anhalt das Aufprallverhalten eines Autos an einer neuartigen, elastischen Stützwand getestet haben. Ziel der Übung: Der Nachweis eines geringeren Verletzungsrisikos, wenn ein Auto gegen solch eine statt gegen eine Betonwand kracht.

Schauplatz des Crashtests ist ein Gelände an der neu entstehenden Bundesstraße 6n bei Bernburg, eines der größten Bauprojekte in Sachsen-Anhalt. Einige hundert Meter weiter wurde vor drei Wochen die erste flexible Stützwand im Bundesland an der 6n fertiggestellt. Der Spezialbau soll die Sicherheit an Straßenböschungen erhöhen. Er wird auch hochgezogen, wenn durch Halden oder kleine Berge eine Schneise geschlagen wird, um dort eine Straße mittendurch zu führen.

Harte Betonwände verursachen schwere Verletzungen

Die Bundesanstalt für Straßenwesen und die Landesstraßenbaubehörden setzen dafür zumeist auf zwei Lösungen: Harte Betonwände oder breite Erdhügel, die am Straßenrand hinter Leitplanken aufgebaut sind. "Beide Konstruktionen haben ihre Nachteile", erklärt Uwe Langkammer, Präsident der Landestraßenbaubehörde Sachsen-Anhalt. Die Betonwand habe keinerlei Dämmung, der Erdhügel verschlinge aufgrund seines Neigungswinkels von etwa 45 Grad viel Platz. "Deshalb ist heute die Stunde der Wahrheit für eine neue Konstruktion", sagt der Experte.

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Foto: Jens Schlüter / dapd

Ein Pkw prallt in Bernburg bei einem Experiment der Bundesanstalt für Straßenwesen auf eine Stützwand aus kunststoffbewehrter Erde (KBE), die im Straßenbau eingesetzt wird. Bei dem Experiment soll das Brand- und Aufprallverhalten von KBE-Wänden untersucht werden.

Auf dem Testgelände steht eine fünf Meter hohe Stützwand, die genauso stabil sein soll wie eine Betonmauer - die aber flexibler reagiert und so den Aufprall eines Autos dämpft. Dafür besteht die Stützwand aus einem kompakten Gemisch von Lehm, Ton und anderer Erde. Sie bilden Erdwürfel, die von Kunststoffgittern zusammen gehalten werden. "Ein Gitter wird auf das nächste gesetzt und verdichtet - quasi wie bei einem Legobaukasten", schildert Andreas Herold von der Weimarer Firma IBH Herold & Partner Ingenieure. An der Frontseite besteht die Wand aus losen rötlichen Porphyr-Steinen, die von Stahldraht umnetzt sind.

Beim ersten der zwei Tests soll ein 800 Kilogramm schwerer Kleinwagen, der mit einem Dummie am Lenkrad besetzt ist, die Mauer seitlich rammen. Das Auto älteren Baujahrs ist auf einer Schiene befestigt, die den Wagen auf 80 Stundenkilometer beschleunigt. Auf eine Leitplanke wird für den Härtetest verzichtet. Als der Wagen gegen die Wand kracht, geht ein Gebrummel durch die Zuschauer. "Sah gar nicht so schlimm aus", sagt ein Beobachter. Der linke Vorderreifen des Fahrzeugs ist von der Felge gesprungen, Kotflügel und Tür sind stark eingedrückt.

Die Experten sind mit den Tests zufrieden

"Das wäre bei einer Betonmauer nicht so glimpflich ausgegangen" ist sich Notarzt Pilz sicher. Ein Fuß des Dummie ist eingequetscht, er hat Schmauchspuren am Kopf. "Beim Zusammenprall mit einer Betonmauer hätte sich der Wagen wohl überschlagen und der Fahrer deutlich schwerere Verletzungen davongetragen", sagt Pilz. "Das hier kann Leben retten." Und auch Langkammer ist zufrieden: "Wir müssen natürlich erst noch die genauen Messergebnisse abwarten. Aber man sieht schon jetzt, dass das Verletzungsrisiko geringer ist."

Dabei soll die flexible Stützwand genauso stabil wie eine Betonmauer sein. Tatsächlich hat die Testwand nur geringe Schäden, die schnell wieder repariert werden können, konstatiert Herold, dessen Firma den 200.000 Euro teuren Test managt. In einem zweiten Test wird die Wand dann noch mit einem bis zu 1.200 Grad heißem Feuer erhitzt, um zu sehen, ob sie einem Brand standhält. Auch das gelingt. "Selbst ein Tanklaster würde das Gemäuer nicht zum Einsturz bringen", sagt Herold. Weltweit gebe es nur wenige dieser Wände im Straßenverkehr, beispielsweise wie hier bei Bernburg, bei Ingolstadt oder in der Schweiz.

In den nächsten Monaten werden Wissenschaftler mehrerer deutscher Universitäten die Testergebnisse auswerten. Die Tests wurden detailliert mit Laser- und Videomessungen aufgezeichnet. Bauexperte Langkammer ist aber noch aus einem anderen Grund schon jetzt von der Konstruktion begeistert. Die Stützwand koste bis um die Hälfte weniger als eine Betonwand, sagt der Baufachmann. Sollten neue Straßenbauten in Sachsen-Anhalt eine entsprechende Wand erfordern, sei sie eine interessante Alternative zum Stahlbeton.

 


  Quelle: dapd


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