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Ärztekammern und andere berufsständische Vertretungen sind keine öffentlichen Auftraggeber

26.09.2013

Hintergrund
Der Europäische Gerichtshof hat mit Urteil vom 12.09.2013, Az.: C-526/11 entschieden, dass die Ärztekammer Westfalen-Lippe kein öffentlicher Auftraggeber ist und damit das europäische Vergaberecht nicht anwenden muss. Das ist eine Entscheidung mit Auswirkungen für alle berufsständischen Kammern und Vereinigungen.

Sachverhalt
Auslöser war eine Ausschreibung der Ärztekammer Westfalen-Lippe über Druck und Versand ihres Mitteilungsblatts. Ein unterlegener Bieter hatte ein Vergabenachprüfungsverfahren initiiert, das derzeit in zweiter Instanz beim Oberlandesgericht Düsseldorf anhängig ist. Das OLG Düsseldorf hatte das Verfahren ausgesetzt und dem Europäischen Gerichtshof die Frage vorgelegt, ob die Ärztekammer Westfalen-Lippe überhaupt öffentlicher Auftraggeber ist.

Entscheidung
Der Europäische Gerichtshof hat diese Frage verneint. Berufsständische Vertretungen, wie Ärztekammern, Handwerks-, Rechtsanwalts- und Architektenkammern sind nur dann öffentliche Auftraggeber, wenn die Voraussetzungen von § 98 Nr. 2 GWB vorliegen. Danach muss die jeweilige Einrichtung zu dem besonderen Zweck gegründet worden sein, im Allgemeininteresse liegende Aufgaben nicht gewerblicher Art zu erfüllen (jeweils zu bejahen), und sie muss darüber hinaus eine enge Verbindung mit öffentlichen Stellen (gemeint sind Bund, Länder oder Gemeinden) aufweisen.

Letzteres ist dann gegeben, wenn die Einrichtung von öffentlichen Stellen überwiegend finanziert oder kontrolliert wird. Dabei liegt eine überwiegende staatliche Finanzierung nicht nur bei einem direkten Mittelzufluss aus dem Staatshaushalt vor, sondern kann auch bei einer Finanzierung über Zwangsbeiträge gegeben sein, wenn diese mittelbar dem Staat zugerechnet werden können (sog. mittelbar staatliche Finanzierung). Bei öffentlichen Krankenkassen und Rundfunkanstalten hatte der Europäische Gerichtshof das bejaht, da die Zwangsbeiträge auf einem Gesetz beruhen (Gesetz = staatlicher Akt).

Neues Kriterium
Da sich alle berufsständischen Vertretungen über gesetzliche Zwangsbeiträge finanzieren, wurde bisher angenommen, dass für sie nichts anderes gelten könne. Zur großen Überraschung hat der Europäische Gerichtshof das nun jedoch anders beurteilt. Die Tätigkeit der Ärztekammer Westfalen-Lippe sei durch das Heilberufsgesetz NRW weitgehend autonom ausgestaltet. Die Ärztekammer bestimmt danach sowohl den Umfang ihrer Tätigkeit als auch die Höhe des von ihr erhobenen Beitrags selbst, ohne dass eine staatliche Einflussnahme möglich ist. Die Verbindung zu öffentlichen Stellen sei daher nicht so eng, dass eine Anwendung des europäischen Vergaberechts angezeigt ist. Öffentliche Krankenkassen und Rundfunkanstalten haben bei der Beitragsbemessung und/oder ihrer Tätigkeit hingegen nur einen geringen Spielraum, so dass die für sie geltenden gesetzlichen Grundlagen eine deutlich engere Verbindung zu öffentlichen Stellen begründen.

 

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Dr. Michael Sitsen
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Verwaltungsrecht

Orth Kluth Rechtsanwälte
Kaistraße 6
40221 Düsseldorf
www.orthkluth.com

Fazit
Nach der dargestellten Entscheidung können alle berufsständischen Kammern und Vereinigungen aus dem Anwendungsbereich des europäischen Vergaberechts herausfallen, obwohl sie Körperschaften des öffentlichen Rechts sind. Voraussetzung ist, dass das jeweils anwendbare (Landes-)Recht der betreffenden Einrichtung eine mit dem Heilberufsgesetz NRW vergleichbare Autonomie gibt. Ist das der Fall, kann die jeweilige Einrichtung über die Art und Weise ihrer Einkaufstätigkeit weitgehend freibestimmen.

 

  Quelle: RA Dr. Michael Sitsen


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