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Akteneinsicht im Unterschwellenbereich: Dürfen die Bieter Einsicht in die Vergabeakte nehmen?

30.10.2014

LG Oldenburg, Urteil vom 18.06.2014 – 5 S 610/13

Lässt sich erst nach Einsicht in die Vergabeakte klären, ob ein Vergabeverfahren zu beanstanden ist und einem Bieter möglicherweise ein Schadensersatzanspruch zusteht, dann kann der Bieter, der dafür hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte vorträgt, Einsicht in die Vergabeakte verlangen.

Im Unterschwellenbereich haben es die Bieter schwer, sich gegen Vergaberechtsverletzungen durchzusetzen. Ein Nachprüfungsverfahren gibt es nicht. Der Dienstweg ist sandig und der Zivilrechtsweg steinig. Selten kann ein Vergaberechtsverstoß verhindert werden (z.B. Zuschlag oder Aufhebung). Zumeist werden vollendete Tatsachen geschaffen. Die Bieter haben dann vielleicht einen Schadensersatzanspruch. Der lässt sich jedoch nur schwer beweisen. Regelmäßig fehlen dafür die Beweismittel. Ein Lichtblick ist das Recht auf Akteneinsicht. Mit der Entscheidung des LG Oldenburg scheint dieses Licht nun ein wenig heller.

Der zugrundeliegende Fall ist ein Klassiker: Bei der Ausschreibung eines unterschwelligen Bauauftrags gehen drei Angebote ein, die alle - angeblich - über der Kostenschätzung liegen. Die Vergabestelle hebt die Ausschreibung deshalb auf und vergibt den Auftrag freihändig an ein anderes, zuvor nicht beteiligtes Unternehmen. Der vorher erstplatzierte Bieter macht geltend, dass die Kostenschätzung fehlerhaft und die Freihändige Vergabe deshalb unzulässig war. Er möchte Schadensersatz verlangen und benötigt dafür die Akteneinsicht.

Das LG Oldenburg gibt ihm Recht. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu § 242 BGB (Treu und Glauben) steht dem Bieter ein Akteneinsichtsrecht zu, wenn er in entschuldbarer Weise über das Bestehen oder den Umfang seines Rechts (z.B. Schadensersatz) im Ungewissen ist und die Vergabestelle die erforderliche Auskunft (Akteneinsicht) unschwer erteilen kann. Das war in dem hier entschiedenen Fall gegeben. Für den Bieter wird sich erst nach Einsicht in die Kostenschätzung klären lassen, ob die Kostenschätzung zu beanstanden ist und sich daraus möglicherweise ein Schadensersatzanspruch ergibt. Für einen Vergaberechtsverstoß bestehen hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte. Das ist zum einen der erhebliche Wertunterschied zwischen der Kostenschätzung und den abgegebenen Angeboten. Nach der Aufhebung hat die Vergabestelle den Auftrag freihändig an ein zuvor nicht beteiligtes Unternehmen vergeben. Das ist zwar zulässig, im Zusammenhang betrachtet kann es jedoch auf das Fehlen eines fairen Wettbewerbs hindeuten. Der Bieter hat daher einen Anspruch auf Einsicht in die Kostenschätzung der Vergabestelle. Die Einsicht geht jedoch nicht über die Kostenschätzung hinaus, da nicht erkennbar ist, dass die übrige Vergabeakte (z.B. Vergabevermerk) für den Bieter noch erforderliche Erkenntnisse enthält.

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RA John Richard Eydner
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Mit dieser Entscheidung gewinnt der Rechtsschutz im Unterschwellenbereich weiter an Kontur. Die Akteneinsicht gibt den Bietern ein weiteres, wichtiges Puzzlestück, um in einem Schadensersatzprozess das Bild vom Vergaberechtsverstoß zeichnen und notfalls beweisen zu können. Anders als im Nachprüfungsverfahren für oberschwellige Aufträge (s. dort § 111 GWB) ist die Akteneinsicht im Unterschwellenbereich jedoch kein Selbstläufer! Der Bieter muss dafür drei Voraussetzungen erfüllen: (1) Der Bieter muss konkrete Anhaltspunkte vortragen, die auf einen Vergaberechtsverstoß hindeuten. Pauschale Behauptungen „ins Blaue hinein“ sind unzureichend. (2) Der Bieter muss aufzeigen, dass die für ihn - auch ohne Akteneinsicht - verfügbaren Informationen nicht ausreichen, um sein behauptetes Recht (z.B. Schadensersatz) prüfen und durchsetzen zu können. (3) Und schließlich muss der Bieter darlegen, welche Informationen aus der Akteneinsicht hervorgehen sollen, die für sein Recht bedeutsam sind. Diese Voraussetzungen sind nicht immer einfach zu erfüllen. Die Einsicht erfolgt auch nicht umfassend in die gesamt Vergabeakte, sondern nur in die konkret bezeichneten Unterlagen. Es ist daher stets zu prüfen, ob es nicht noch ein anderes, einfacheres Recht auf Akteneinsicht gibt. Auf Bundesebene und in den meisten Bundesländern (außer Bayern, Baden-Württemberg, Hessen, Niedersachsen und Sachsen) kommen dafür insbesondere die Informationsfreiheitsgesetze (IFG) in Betracht.

  Quelle: RA John Richard Eydner


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