zurück

Anforderungen an Nebenangebot strenger als an Hauptangebot?

10.03.2020

von Ra Michael Werner

Das OLG Düsseldorf hat mit Beschluss vom 20.12.2019 – Verg 35/19 – u. a. folgendes entschieden:

• Lässt der öffentliche Auftraggeber Nebenangebote zu, hat er Mindestanforderungen festzulegen, denen die Nebenangebote genügen müssen.

• Mindestanforderungen müssen nicht ausdrücklich als solche bezeichnet werden. Es genügt, wenn die Bieter erkennen kann, dass es sich um Mindestanforderungen handelt.

• Der Auftraggeber kann mithilfe der Festlegung von Mindestanforderungen für Nebenangebote bestimmen, wann er ein Nebenangebot im Vergleich mit einem Hauptangebot als gleichwertig anerkennen will. Dabei können die Anforderungen an ein Nebenangebot strenger sein als die an das Hauptangebot.

Die Deutsche Bahn hatte als Sektorenauftraggeber (AG) die Montage von technischen Anlagen zur Lärmreduzierung an Eisenbahnschienen europaweit ausgeschrieben. Darin gab sie für das Hauptangebot die Montage von sog. „Schienenstegdämpfern“ (SSD) vor, als Nebenangebot war die Montage einer anderen Technik, der „Schienenstegabschirmung“ (SSA), zugelassen.

Einziges Zuschlagskriterium war der Preis. Sowohl an die Haupt- als auch die Nebenangebote wurden u. a. akustische Mindestanforderungen (DBS 921) gestellt, wobei sich die geforderte Messmethodik für die SSD- und SSA-Technik teilweise unterschied. Bieter A gab ein Haupt- und ein Nebenangebot ab. Sein auf SSD-Technik basierendes Hauptangebot lag nach der Wertung auf Platz 3, sein auf SSA-Technik basierendes Nebenangebot auf dem ersten Platz. Gleichwohl sollte der Zuschlag auf ein anderes Angebot erteilt werden – mit der Begründung, dass dem Nebenangebot des A zwar ein akustischer Messbericht beigefügt war, die dort genutzte Methode aber nicht der als Mindestanforderung für die SSA-Technik geforderten Messmethode entsprach. A rügte darauf, dass die für Nebenangebote aufgestellten Mindestanforderungen bezüglich der Messmethodik strenger ausgestaltet seien als jene für Hauptangebote, was einen Verstoß gegen das Gleichbehandlungsgebot darstelle. Auch habe der AG die in den Vergabeunterlagen bestimmten Mindestanforderungen nicht als solche bezeichnet. Nach Nichtabhilfe seiner Rüge stellte A Nachprüfungsantrag zur VK, was erfolglos blieb. Dagegen wandte sich A mit sofortiger Beschwerde an das OLG.

Das OLG weist die Beschwerde des A zurück. Der AG habe das Nebenangebot des A nach § 33 Abs. 4 Satz 1 SektVO mangels vorgelegten Nachweises der akustischen Wirksamkeit, nicht berücksichtigen dürfen. Die vom AG mit dem DBS 921 aufgestellten Nachweisanforderungen für die akustische Wirksamkeit der SSA-Technik verstießen auch nicht gegen den vergaberechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz. Der AG habe in den Vergabeunterlagen gestützt auf § 33 Abs. 1 Satz 2 SektVO verschiedene Mindestanforderungen an Nebenangebote aufgestellt. Darüber hinaus enthalte Ziffer 0.2.11 der Baubeschreibung für Nebenangebote, mit denen die SSA-Technik angeboten werde, eine Mindestanforderung; die Technik müsse danach in jedem Fall die Anforderungen des DBS 291 erfüllen. Dies sei – wie sich aus DBS 291 ergebe – durch eine bestimmte Teststellung nachzuweisen. Zwar werde diese Anforderung an der betreffenden Stelle der Baubeschreibung nicht als Mindestanforderung an Nebenangebote bezeichnet, solches verlange § 33 Abs. 1 Satz 2 SektVO indes auch nicht. Es genüge, wenn der Bieter erkennen könne, dass es sich um eine Mindestanforderung handele, was hier der Fall sei.

Wie eine Auslegung nach dem objektiven Empfängerhorizont eines durchschnittlichen Bieters des angesprochenen Bieterkreises ergebe, könne Ziffer 0.2.11 der Baubeschreibung, soweit sie für die SSA-Technik die Einhaltung des DBS 921 vorschreibe, nur im Sinne einer Mindestanforderung an Nebenangebote verstanden werden.

Mit einer Ausnahme in § 127 Abs. 4 Satz 2 treffe das GWB selbst keine inhaltlichen Regelungen zu Nebenangeboten, sondern überlasse die Regelung von Einzelheiten dem Verordnungsgeber. Die vorliegend einschlägige Verordnungsregelung sei hier § 33 SektVO. Nach § 33 Abs. 1 Satz 1 SektVO könne der öffentliche Auftraggeber Nebenangebote zulassen. Damit werde ihm nicht lediglich ein pflichtgemäßes, von den Vergabenachprüfungsinstanzen überprüfbares Ermessen eingeräumt, ob er Nebenangebote zulasse oder nicht, sondern ein echtes, der vergaberechtlichen Kontrolle entzogenes Bestimmungsrecht. Lasse der öffentliche Auftraggeber Nebenangebote nach § 33 Abs. 1 Satz 1 SektVO zu, habe er nach § 33 Abs. 1 Satz 2 SektVO Mindestanforderungen festzulegen, denen die Nebenangebote genügen müssten. Diese Bestimmung schütze einerseits die Bieter, die Nebenangebote abgeben möchten, davor, dass ihre Nebenangebote mit der Begründung zurückgewiesen würden, sie seien gegenüber dem Hauptangebot minderwertig und wichen davon unannehmbar ab.

§ 33 Abs. 1 Satz 2 SektVO schreibe andererseits das Bestimmungsrecht des öffentlichen Auftraggebers hinsichtlich des Beschaffungsgegenstands in Bezug auf Nebenangebote fort. Weil Haupt- und Nebenangebote den vom öffentlichen Auftraggeber festgelegten Beschaffungsbedarf aufgrund ihrer Unterschiede nicht per se in gleicher Weise deckten, könne der öffentliche Auftraggeber mithilfe der Festlegung von Mindestanforderungen für Nebenangebote bestimmen, wann er ein Nebenangebot im Hinblick auf den zu deckenden Beschaffungsbedarf im Vergleich mit einem Hauptangebot als gleichwertig anerkennen wolle. Die durch § 33 Abs. 1 Satz 2 SektVO eröffnete Möglichkeit, Mindestanforderungen für Nebenangebote festzulegen, ermögliche es dem öffentlichen Auftraggeber, Haupt- und Nebenangebote unterschiedlichen Anforderungen zu unterwerfen, weil sie, ausgehend von objektiven Unterschieden, seinen Beschaffungsbedarf aus seiner Sicht nicht in gleicher Weise deckten. Die Vorschrift des § 33 Abs. 1 Satz 2 SektVO gestatte damit im Sinne von § 97 Abs. 2 GWB, die Gruppen von Teilnehmern eines Vergabeverfahrens, die Haupt- und die Nebenangebote abgäben, ungleich zu behandeln.

Fraglich sei allein, ob die dem öffentlichen Auftraggeber mit § 33 Abs. 1 Satz 2 SektVO eröffnete Möglichkeit der Ungleichbehandlung vergaberechtlichen Grenzen unterliege. Im Hinblick darauf, dass er nicht verpflichtet sei, Nebenangebote überhaupt zuzulassen, lasse sich daran zweifeln, ob von Unternehmen, die ein Nebenangebot abgeben möchten, erfolgreich beanstandet werden könne, dass – wie A hier geltend mache – die Anforderungen an Nebenangebote strenger seien als die Anforderungen, die Hauptangebote erfüllen müssten. Vielmehr spreche viel dafür, dass sich das Bestimmungsrecht des öffentlichen Auftraggebers in Bezug auf die Entscheidung über die Zulassung von Nebenangeboten bei der Festlegung der für sie geltenden Mindestanforderungen fortsetze und der vergaberechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz insoweit nur innerhalb der Gruppe der Bieter Bedeutung erlange, die Nebenangebote abgeben möchten. Dass alle an der Abgabe von Nebenangeboten interessierte Bieter denselben transparenten Vorgaben für Nebenangebote unterliegen müssten, stehe hier nicht in Frage.

Werner..jpg

Anmerkung:
Die Verpflichtung des AG zur Festlegung von Mindestanforderungen folgt hier zwar aus § 33 Abs. 1 SektVO. Die Entscheidung ist aber ohne weiteres auch auf den Bau- wie auch den Liefer-/Dienstleistungsbereich übertragbar, da § 8 Abs. 2 Nr. 3 EU VOB/A und § 35 Abs. 1 und 2 VgV vergleichbare Regeln enthalten.

  Quelle:


Gratis Gastzugang

Submissions-Anzeiger | Tageszeitung-Ad

Aktuelles
Seminarangebot

Baurecht- und Vergabeseminare