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Angebotsausschluss bei „Verstößen“ gegen missverständliche Angaben?

09.03.2021

von RA Michael Werner

Die Vergabekammer(VK) Lüneburg hat mit Beschluss vom 09.09.2020 – VgK-32/2020 – folgendes entschieden:

• Änderungen an den Vergabeunterlagen sind unzulässig und führen zum Angebotsausschluss. Das gilt nicht bei „Verstößen“ gegen interpretierbare oder gar missverständliche beziehungsweise mehrdeutige Angaben in den Vergabeunterlagen.

• Gibt der Bieter an, Nachunternehmerleistungen seien mit 0,00 Euro berücksichtigt, kann aus der Erklärung, dass für den Fall, dass während der Bauphase doch Nachunternehmer eingesetzt werden sollen, ein Zuschlag einkalkuliert wurde, kein Nachunternehmereinsatz abgeleitet werden.

Ein öffentlicher Auftraggeber (AG) hatte im Rahmen einer Gesamtmaßnahme als Fachlos Innentüren und Zargenelemente europaweit im offenen Verfahren als Bauleistung ausgeschrieben. Nebenangebote waren ausgeschlossen; einziges Zuschlagskriterium war der Preis. Im LV wurden u. a. folgende Angaben zu einem Türstopper bzw. Wandpuffer gemacht: „Wandpuffer Edelstahl, Tiefe ca. 62 mm“ und „Türstopper Stahl.... Abstandsmaß in mm 62“. Desweiteren sollte mit dem Angebot im Falle der Einbindung von Nachunternehmen (NU) ein Formblatt „Verzeichnis der Leistungen/Kapazitäten anderer Unternehmen“ eingereicht werden. Darauf boten fünf der insgesamt sechs Bieter, darunter A, einen Wandpuffer mit einem Abstandsmaß von 60 mm an. A erklärte mit Angebotsabgabe, alle Leistungen im eigenen Betrieb auszuführen.

Dementsprechend strich er die Tabelle im NU-Verzeichnis durch und überschrieb diese mit „entfällt“. Lediglich unter „Gesamtzuschläge“ der Preisermittlung bei Zuschlagskalkulation gab er Zuschläge für NU-Leistungen an, die er mit 0,00 EUR berücksichtigte. Nach Submission war das Angebot des A das preisgünstigste und sollte bezuschlagt werden. Nach einer Rüge des Bieters B teilte der AG dem A jedoch mit, dass sein Angebot durch das Anbieten eines Wandpuffers mit einem Abstandsmaß von 60 mm wegen Änderungen an den Vergabeunterlagen auszuschließen sei. Dagegen wehrte sich A mit Antrag zur VK.

Die VK gibt Bieter A Recht. Das Angebot des A sei zu Unrecht ausgeschlossen worden. Gemäß § 16 Nr. 2 i. V. m. § 13 Abs. 1 Nr. 5 EU VOB/A seien Änderungen an den Vergabeunterlagen unzulässig und die Angebote zwingend auszuschließen. „Verstöße“ gegen interpretierbare oder gar missverständliche bzw. mehrdeutige Angaben in den Vergabeunterlagen könnten jedoch nicht zum Angebotsausschluss führen. Voraussetzung für den Angebotsausschluss sei daher in jedem Fall, dass der AG die verbindlichen Bedingungen des Auftrags eindeutig festgelegt habe. Gegebenenfalls seien die Vergabeunterlagen anhand der für Willenserklärungen geltenden Grundsätze (§§ 133, 157 BGB) nach dem objektiven Empfängerhorizont der potentiellen Bieter, also eines abstrakt bestimmten Adressatenkreises, auszulegen. Unklarheiten der Ausschreibung gingen grundsätzlich nicht zu Lasten des Auftragnehmers. Nach § 7 EU Abs. 1 Nr. 1 VOB/A bezwecke das Gebot der eindeutigen und erschöpfenden Leistungsbeschreibung, die Vorstellungen des Auftraggebers von der gewünschten Leistung in Bezug auf technische Merkmale oder Funktionen, Menge und Qualität für den Bieter so deutlich werden zu lassen, dass dieser Gegenstand, Art und Umfang der Leistung zweifelsfrei erkennen könne. Eine Leistungsbeschreibung sei dann eindeutig und erschöpfend, wenn keine unterschiedlichen Auslegungsmöglichkeiten in Betracht kämen, die den Bieter im Unklaren ließen, welche Leistungen von ihm in welcher Form und unter welchen Bedingungen angeboten werden sollten.

Nach den Angaben im LV seien hier die Vorgaben an die Länge des Türstoppers insgesamt nicht klar und eindeutig mit einem Abstandsmaß von exakt 62 mm definiert. Vielmehr könne das LV durch die ca.-Angabe von den Bietern auch so verstanden werden, dass auch Türstopper mit einem Abstandsmaß von weniger als 62 mm, wie zum Beispiel 60 mm, angeboten werden könnten. Hier hätten fünf von sechs Bietern die Vorgabe auch tatsächlich so verstanden. Alle fünf Bieter, inklusive des A, hätten einen Türstopper mit einem Abstandsmaß von 60 mm angeboten. Die VK gehe davon aus, dass das Verständnis des AG von der Vorgabe des Abstandsmaßes zunächst mit dem des A übereingestimmt und lediglich Bieter B ein anderes Verständnis gehabt habe. Nach der Rüge des B habe der AG sein Verständnis dahingehend revidiert, dass ein Abstandsmaß von exakt 62 mm zwingend einzuhalten sei. Dieses Verhalten des AG lasse ebenfalls erkennen, dass die Angaben im LV nicht eindeutig und klar gewesen seien.

Das Angebot des A habe ebenfalls nicht wegen einer Widersprüchlichkeit in Bezug auf die Nachunternehmerleistungen ausgeschlossen werden dürfen. Gemäß § 16 EU Abs. 1 Nr. 2 VOB/A seien Angebote auszuschließen, die nicht den Bestimmungen des § 13 EU Abs. 2 Nr. 5 VOB/A entsprächen. Nach § 13 EU Abs. 2 Nr. 5 S. 2 VOB/A müssten Änderungen des Bieters an seinen Eintragungen zweifelsfrei sein. Nur eindeutige Angebote seien miteinander vergleichbar; jeder Zweifel und jede Mehrdeutigkeit des Inhalts müsse ausgeschlossen sein. Im vorliegenden Fall habe A mit Angebotsabgabe erklärt, alle Leistungen im eigenen Betrieb auszuführen. Dementsprechend habe er die Tabelle in der Anlage „Verzeichnis der Leistungen/Kapazitäten anderer Unternehmen“ durchgestrichen, diese mit „entfällt“ überschrieben und auch auf sonstige Weise keine Unternehmen benannt, die für ihn Leistungen ausführen sollten.

Zunächst hätte das Angebot des A bereits ohne die erfolgte Aufklärung dahingehend ausgelegt werden können, dass sich allein aufgrund der Angaben zur Kalkulation keine ausreichenden Anhaltspunkte für einen beabsichtigten Nachunternehmereinsatz ergeben hätten. Der AH hätte jedoch spätestens nach der erfolgten Aufklärung zu diesem Ergebnis kommen müssen. Denn mit seiner Aufklärungsantwort habe A eindeutig erläutert, dass er mit Angebotsabgabe keinen Einsatz von Nachunternehmern erklärt habe.

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Anmerkung:
Sog. ca.- Angaben in Ausschreibungstexten sind für den Auftraggeber nicht selten gefährlich. Machen sich Bieter diese eingeräumten Spielräume in ihren Angeboten zunutze, muss der AG diese auch zulassen bzw. in die Wertung einbeziehen, ohne – wie hier – mit Hinweis auf das von ihm angegebene Maß dann diese Angebote auszuschließen. Denn die relativ scharfe Sanktion des Angebotsausschlusses setzt auf jeden Fall voraus, dass der AG die für alle verbindlichen Bedingungen des Auftrags eindeutig und unmissverständlich festlegt. In dem Moment, in dem der AG mehrdeutige oder gar missverständliche Angaben in den auszuschreibenden Unterlagen macht, umso geringer werden seine Chancen, mit Hinweis auf eine unzulässige Abänderung der Vergabeunterlagen Angebote ausschließen zu können.

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