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Aufhebung der Ausschreibung auch ohne Aufhebungsgrund?

19.09.2023

Die Vergabekammer (VK) Bund hat mit Beschluss vom 16.02.2023 – VK 1-1/23 – folgendes entschieden:

 

1. Ein öffentlicher Auftraggeber ist aufgrund eines einmal eingeleiteten Vergabeverfahrens grundsätzlich nicht zur Zuschlagserteilung verpflichtet. Auch dann, wenn kein Aufhebungsgrund nach § 17 EU Abs. 1 Nr. 1 bis 3 VOB/A vorliegt, kann er von einem Vergabeverfahren Abstand nehmen.
2. Nur in Ausnahmefällen kann ein Anspruch auf Fortsetzung des Vergabeverfahrens angenommen werden. Das ist der Fall, wenn der öffentliche Auftraggeber für seine Aufhebungsentscheidung keinen sachlichen Grund vorweisen kann und sie deshalb willkürlich ist oder wenn die Aufhebung bei fortbestehender Beschaffungsabsicht nur zu dem Zweck erfolgt, Bieter zu diskriminieren.


Werner

 

Ein öffentlicher Auftraggeber (AG) hatte die Montage von Schutzplanken an einer Autobahn im offenen Verfahren europaweit ausgeschrieben. Einziges Zuschlagskriterium war der Preis. Bieter A gab zwei Hauptangebote ab, wobei Hauptangebot 1 nach Submission auf dem ersten Rang lag. Am 21. 12. 2022 hob der AG die Ausschreibung auf mit der Begründung, die Vergabeunterlagen müssten grundlegend geändert werden (§ 17 EU Abs. 1 Nr. 2 VOB/A), da das Beschaffungsinteresse des AG in den Ausschreibungsunterlagen nicht korrekt abgebildet worden sei. Daher seien Leistungsverzeichnis und Baubeschreibung anzupassen. Die EU-Bekanntmachung der erneuten Auschreibung wurde am 29. 12. 2022 im Amtsblatt veröffentlicht. Es war nunmehr nur noch ein Hauptangebot zugelassen. Am selben Tag rügte Bieter A die Aufhebung und forderte die Fortsetzung des Vergabeverfahrens sowie die Wertung seines Hauptangebotes 1. Nach Nichtabhilfe der Rüge beantragte er Nachprüfung.


Die VK Bund gibt hier dem AG Recht; der Antrag des A sei unbegründet. Denn ein öffentlicher Auftraggeber sei aufgrund eines einmal eingeleiteten Vergabeverfahrens grundsätzlich nicht zur Zuschlagserteilung verpflichtet. Auch dann, wenn kein Aufhebungsgrund nach § 17 EU Abs. 1 VOB/A vorliege, könne er von einem Vergabeverfahren Abstand nehmen. Da ein Kontrahierungszwang der wirtschaftlichen Dispositionsfreiheit des öffentlichen Auftraggebers zuwiderlaufen würde, könne dieser nach ständiger Rechtsprechung deshalb jederzeit auf die Vergabe des Auftrags verzichten, unabhängig davon, ob die gesetzlich normierten Aufhebungsgründe erfüllt seien. Denn auch im Vergabeverfahren gelte der Grundsatz der Privatautonomie, nach dem der Abschluss eines privatrechtlichen Vertrages ausschließlich in der Entscheidungsgewalt des Ausschreibenden liege.


Eine Verpflichtung zur Vergabe von Aufträgen wäre zudem mit dem das Vergaberecht beherrschenden Grundsatz der Sparsamkeit und Effizienz bei der Verwendung öffentlicher Haushaltsmittel nicht zu vereinbaren (so schon BGH, Urteil vom 8. September 1998, X ZR 48/97). Eine Vergabestelle könne deshalb grundsätzlich von einem Beschaffungsvorhaben selbst dann Abstand nehmen, wenn dafür kein in den Vergabe- und Vertragsordnungen anerkannter Aufhebungsgrund vorliege (BGH, Beschluss vom 20. März 2014, X ZB 18/13)


Nur in Ausnahmefällen könne ein Anspruch auf Fortsetzung des Vergabeverfahrens angenommen werden. Das sei der Fall, wenn der öffentliche Auftraggeber für seine Aufhebungsentscheidung keinen sachlichen Grund vorweisen könne und deshalb diese willkürlich sei oder wenn die Aufhebung bei fortbestehender Beschaffungsabsicht nur zu dem Zweck erfolge, bestimmte Bieter zu diskriminieren.


Ein solcher Ausnahmefall, der A einen Anspruch auf Fortsetzung des (alten) Vergabeverfahrens einräumen würde, sei hier aber nicht ersichtlich. Weder sei die Aufhebung der Ausschreibung ohne sachlichen Grund, das heißt willkürlich, noch verfolge sie den Zweck, A zu diskriminieren und andere Bieter zu bevorzugen.


Die Aufhebung sei nicht willkürlich gewesen. Willkürlich sei die Aufhebung des Vergabeverfahrens nur dann, wenn sie unter keinem denkbaren Aspekt rechtlich vertretbar sei und sich daher der Schluss aufdränge, dass sie auf sachfremden Erwägungen beruhe. Willkür liege erst dann vor, wenn eine offensichtlich einschlägige Norm in eklatanter Weise nicht berücksichtigt oder der Inhalt einer Norm in eklatanter Weise missgedeutet werde (vgl. OLG Düsseldorf, B. v. 15.12. 2021 - Verg 12/21). Hierfür lägen jedoch keine Anhaltspunkte vor. Der AG könne sich hier auf sachliche Gründe für die Aufhebung berufen.


Auch liege kein Fall einer Scheinaufhebung vor. Anhaltspunkte dafür, dass die Aufhebung dazu diene, den Bieter A zu diskriminieren und andere Bieter zu bevorzugen, seien nicht ersichtlich. Es sei nicht davon auszugehen, dass der AG lediglich die formalen Voraussetzungen dafür schaffen wolle, den Auftrag an einen bestimmten Bieter oder – wie von A behauptet - generell an Mitglieder der Gütegemeinschaft Schutzplanken vergeben zu können. Vielmehr sei es so, dass die Ausschreibung produktneutral ausgestaltet sei und sich damit an alle geeigneten Anbieter von Schutzplankensystemen wende, die die vorgegebenen technischen Anforderungen erfüllten.

Anmerkung:

Wie die Entscheidung zeigt, kann der öffentliche Auftraggeber ein Vergabeverfahren im Grunde immer aufheben – egal, ob ein Aufhebungsgrund gemäß § 17 Abs. 1 EU VOB/A besteht oder nicht. Der Unterschied ist lediglich in den Rechtsfolgen zu sehen: Liegt ein Grund des § 13 EU VOB/A vor, ist die Aufhebung rechtmäßig und hat für den AG keine weiteren Folgen. Liegt dagegen kein solcher Grund vor, ist die Aufhebung zwar rechtswidrig, aber dennoch wirksam. Im letztgenannten Fall steht dann dem Bieter nach der Rechtsprechung des BGH ein Schadensersatz zu, der regelmäßig in den Aufwendungen besteht, die der Bieter zur Wahrnehmung seiner Chance auf einen Zuschlag vorgenommen hat und hierzu für erforderlich halten durfte, d.h. die Kosten der Angebotsbearbeitung (sog. negatives Interesse). Ein Anspruch auf Ersatz des entgangenen Gewinns (sog. positives Interesse) kommt dagegen nur dann in Betracht, wenn das Vergabeverfahren mit einem Zuschlag abgeschlossen wird, der Zuschlag jedoch nicht demjenigen Bieter erteilt wird, auf dessen Angebot bei Beachtung der maßgeblichen vergaberechtlichen Vorschriften allein ein Zuschlag hätte erteilt werden dürfen (siehe BGH, Urt. v. 08.12.2020 – XIII ZR 19/19).

  Quelle: Anwalt Werner


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