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Aufhebung der Ausschreibung wegen geändertem Beschaffungsbedarf?

28.10.2014

Die Vergabekammer (VK) Bund hat mit Beschluss vom 11.08.2014 – VK 1-54/14 – Folgendes entschieden:

• Die Änderung des Beschaffungsbedarfs durch den Auftraggeber ist ein hinreichender sachlicher Grund, das Vergabeverfahren aufzuheben.

• Wird ein Vergabeverfahren zurückversetzt und im Wesentlichen unverändert wiederholt, hat der Auftraggeber einen Informationsvorsprung einzelner Bieter im Rahmen der Rückversetzung auszugleichen.

Ein öffentlicher Auftraggeber (AG) hatte ein europaweites nichtoffenes Verfahren mit vorgeschaltetem Teilnahmewettbewerb zur Vergabe von Wartungs- und Instandhaltungsleistungen seines Telekommunikationsanlagenverbundes (TK) durchgeführt. Auf Nachprüfungsantrag des Bieters A war das Verfahren in den Stand vor Angebotsabgabe und Versendung der Vergabeunterlagen zurückversetzt worden, weil der AG bei der Angebotswertung Kriterien angewandt hatte, die er den Bietern vorher nicht bekannt gegeben hatte. Nach erneuter Vergabe lag Bieter A an erster Stelle. Dagegen wandte sich Bieter B, der im ersten Verfahren auf dem ersten Rang lag, mit der Begründung, A habe durch seine Akteneinsicht im ersten Nachprüfungsverfahren einen Informationsvorsprung gegenüber den anderen Bietern erlangt. A hatte im Rahmen des ersten Nachprüfungsverfahrens tatsächlich Einsicht in die Wertung des AG erhalten sowie aufgrund einer fehlerhaften Beschriftung von Tabellenspalten durch den AG auch in 2/3 der Wertungspunkte zum Angebot des B. Darauf erteilte die VK an den AG den rechtlichen Hinweis, dass er den Informationsvorsprung des A ausgleichen müsse. Daraufhin hob der AG das Vergabeverfahren gemäß § 20 Abs. 1 b und 1 d VOL/A-EG auf. Er begründete dies mit der Dauer des Verfahrens sowie dem Umstand, dass er verschiedene Bedarfe zur Unterhaltung der TK-Anlage bündeln wolle; zudem solle die bestehende TK-Anlage nun modernisiert werden. B beantragt darauf festzustellen, dass für die Aufhebung kein wichtiger Grund nach § 20 VOL/A-EG vorliege und das Angebot des Bieters A nicht den Zuschlag hätte erhalten dürfen.

Die Vergabekammer gibt Bieter B recht. Nach Ansicht der VK sei die Aufhebung ohne wichtigen Grund gemäß § 20 Abs. 1 b und d VOL/A-EG erfolgt, weil die Ursachen dem AG selbst zuzurechnen seien. Sowohl die fehlerhaft gewährte Akteneinsicht als auch die Änderung des Beschaffungsbedarfs fielen allein in die Sphäre des AG. Die VK weist darauf hin, dass die Aufhebung zwar rechtswidrig, aber wirksam gewesen sei, weil der AG einen sachlichen Grund für die Entscheidung gehabt habe, das Vergabeverfahren nicht fortzuführen. Denn aus Gründen des allgemeinen Vertragsrechts könne ein öffentlicher Auftraggeber nicht gezwungen werden, eine begonnene Ausschreibung gegen seinen Willen durch eine Auftragserteilung zu beenden. Wegen des nicht ausgeglichenen Informationsvorsprungs hätte aber auf kein Angebot der Zuschlag erteilt werden dürfen, sondern das Verfahren – zum erneuten Male – in das Stadium vor Aufforderung zur Angebotsabgabe zurückversetzt werden müssen. Wenn der AG wisse, dass ein Bieter hinsichtlich der Angebotserstellung und der Wertungskriterien einen Informationsvorsprung habe, sei er verpflichtet, den Informationsstand der Bieter auszugleichen. Anderenfalls sei weder die gebotene Gleichbehandlung der Bieter noch ein transparentes Vergabeverfahren gewährleistet.

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RA Michael Werner

Partner in der Kanzlei
ZIRNGIBL LANGWIESER
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Anmerkung:
Ein geradezu beispielhafter Fall, was in einem Vergabeverfahren alles schief laufen kann. Hier hätte der Auftraggeber bereits nach dem ersten Nachprüfungsverfahren eine umfassende Fehlerkorrektur vornehmen müssen. Gleichzeitig zeigt die Entscheidung, dass es grundsätzlich allein im Ermessen des Auftraggebers liegt, ob und mit welchem Inhalt er tatsächlich einen Auftrag vergibt. Das Vergaberecht verpflichtet den AG nicht dazu, Aufträge zu vergeben, die er aufgrund eines – nachträglich erkannten – geänderten Bedarfs nicht mehr benötigt. Darin liegt zugleich auch ein sachlicher Grund für eine Aufhebung des Verfahrens bzw. eine Rückversetzung. Kann sich der AG dabei nicht auf die normierten Aufhebungsgründe – hier § 20 VOL/A-EG – berufen, trifft ihn eine Schadensersatzpflicht.

  Quelle: RA Michael Seitz


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