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Aufhebung unzulässig bei unverändertem Beschaffungsbedarf!

23.02.2021

von RA Michael Werner

Die Vergabekammer(VK) des Bundes hat mit Beschluss vom11.12.2020 – VK 2-91/20 – folgendes entschieden:

• Ein Vergabeverfahren (hier: nach der VSVgV) kann aufgehoben werden, wenn sich die Grundlagen des Vergabeverfahren wesentlich geändert haben.

• Bezugspunkt der wesentlichen Änderungen sind nicht sämtliche vergaberechtlich relevante Änderungen, sondern nur die „Grundlagen des Vergabeverfahrens“.

• Für eine Aufhebung ist es erforderlich, dass sich der Beschaffungsbedarf entweder geändert hat und die Vergabeunterlagen diesem geänderten Bedarf anzupassen sind oder aber der Beschaffungsbedarf gänzlich entfallen ist, so dass das Interesse des Auftraggebers an der konkret ausgeschriebenen Leistung selbst nicht mehr besteht.

• Auswirkungen der Corona-Pandemie sind durchaus geeignet, eine Aufhebungsentscheidung zu legitimieren, aber nur unter der Voraussetzung, dass sich Änderungen am Beschaffungsbedarf ergeben (hier verneint).

Ein öffentlicher Auftraggeber (AG) hatte Instandsetzungsarbeiten an einem Marineversorgungsschiff europaweit ausgeschrieben. Vor Zuschlagserteilung hob er die Ausschreibung auf – mit der Begründung der „Wahrung wesentlicher nationaler Sicherheitsinteressen und Sicherstellung des Erhalts nationaler Marineinstandsetzungskapazitäten aus Gründen der Versorgungssicherheit“. Die konkreten Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die wirtschaftliche Lage der nationalen Werften seien im Zeitpunkt der Veröffentlichung des Vergabeverfahrens für niemanden vorhersehbar gewesen. Nur ca. 10 deutsche Werften seien in der Lage, Instandsetzungsleistungen für Marineschiffe durchzuführen. Der Erhalt dieser Werften sei im Hinblick auf die Versorgungssicherheit ein wesentliches nationales Sicherheitsinteresse, da die Werften zur Sicherung der Einsatzbereitschaft der Marine im Krisenfall benötigt würden. Diese Werften seien aufgrund unvorhersehbarer Umstände (Corona-Pandemie) in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten. Eine europaweite Vergabe könne nicht stattfinden, wenn die nationalen Sicherheitsinteressen gewahrt werden sollten. Aus diesem Grund sollten die Leistungen nach der Ausnahmevorschrift des § 107 Abs. 2 Nr. 2 GWB national ausgeschrieben werden. Bieter A wehrte sich gegen die Aufhebung mit Antrag zur VK.

Die VK Bund gibt Bieter A Recht. Die Aufhebung des Vergabeverfahrens sei nicht durch § 37 Abs. 1 Nr. 2 VSVgV gedeckt, denn die Grundlagen des Vergabeverfahrens hätten sich nicht wesentlich geändert. Da die Beschaffungsabsicht der AG inhaltlich unverändert fortbestehe, sei das aufgehobene Vergabeverfahren fortzuführen. Ob hier der Ausnahmetatbestand des § 107 Abs. 2 Nr. 2 GWB vorliege, sei nur für die Frage relevant, ob eine rein nationale Vergabe trotz eindeutigen Überschreitens des Schwellenwertes für eine europaweite Ausschreibung zulässig wäre. Streitgegenstand sei hier vielmehr die Aufhebung des Verfahrens, deren Rechtmäßigkeit an den Voraussetzungen des Aufhebungstatbestands zu messen sei. Der hier seitens des AG geltend gemachte § 37 Abs. 1 Nr. 2 VSVgV spreche von „wesentlichen Änderungen“. Bezugspunkt der wesentlichen Änderungen im Aufhebungstatbestand seien nach ständiger Rechtsprechung jedoch nicht sämtliche ggf. vergaberechtlich relevante Änderungen, sondern ausdrücklich nur die „Grundlagen des Vergabeverfahrens“, so dass es für eine Aufhebung erforderlich sei, dass sich der Beschaffungsbedarf entweder geändert habe, die Vergabeunterlagen diesem geänderten Bedarf mithin anzupassen seien oder aber dass der Beschaffungsbedarf gänzlich entfallen sei. Gemeinsamkeit dieser von der Rechtsprechung entschiedenen Fallgruppen zur wesentlichen Änderung des Vergabeverfahrens sei damit, dass das Interesse des Auftraggebers an der konkret ausgeschriebenen Leistung selbst nicht mehr bestehe. Auswirkungen der Corona-Pandemie seien zwar durchaus geeignet, eine Aufhebungsentscheidung zu legitimieren, aber eben unter der Voraussetzung, dass sich Änderungen am Beschaffungsbedarf ergäben. Dies sei hier aber gerade nicht der Fall, das Versorgungsschiff solle nach wie vor und inhaltlich unverändert instandgesetzt werden. Es gebe keine Änderungen an den Grundlagen des Vergabeverfahrens, so dass die Voraussetzungen des Aufhebungstatbestands nicht greifen würden. Vorliegend sei die Stützung der deutschen Werften nur ein Nebenzweck.

Bei dieser Sachlage sei der AG ausnahmsweise zu verpflichten, das aufgehobene Vergabeverfahren weiter zu führen. Grundsätzlich könne ein Auftraggeber zwar aus Gründen der Privatautonomie und wegen fehlenden Kontrahierungszwangs nicht gezwungen werden, ein einmal begonnenes Vergabeverfahren durch Zuschlag zu beenden, und zwar unabhängig davon, ob ein vergaberechtlicher Aufhebungsgrund vorliege oder nicht. Die Unterscheidung zwischen „Wirksamkeit der Aufhebung“ und „Rechtmäßigkeit der Aufhebung“ trage diesem Umstand Rechnung und stelle gleichzeitig sicher, dass die geforderte Überprüfbarkeit der Aufhebungsentscheidung gewährleistet sei, indem bei wirksamen, jedoch rechtswidrigen Aufhebungen die Rechtswidrigkeit der Aufhebung durch die Vergabenachprüfungsinstanzen festzustellen sei. Diese Grundsätze könnten jedoch nur dann greifen, wenn die Beschaffungsabsicht nicht oder jedenfalls nicht unverändert fortbestehe; nur in diesem Fall würde der Auftraggeber zu einem Zuschlag gezwungen, den er gar nicht mehr oder jedenfalls inhaltlich nicht mehr in dieser Form erteilen wolle. Dagegen wolle im vorliegenden Fall der AG den Zuschlag nach eigener Einlassung im Nachprüfungsverfahren unverändert erteilen. Die Tatsache, dass der AG nunmehr eine nationale Werft zu beauftragen beabsichtige, ändere nichts daran, dass der Beschaffungsbedarf unverändert sei, denn der spätere Vertragspartner, der gerade über das Vergabeverfahren auszuwählen sei, solle die ausgeschriebene Leistung erbringen.

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Anmerkung:
Eine insoweit bemerkenswerte Entscheidung, da hier die VK die „Aufhebung der Aufhebung“ fordert und dem AG die Fortführung des Verfahrens vorschreibt. Auch wenn der Beschluss der VK Bund hier im Verteidigungs – und Sicherheitsbereich nach der VSVgV erging, kann er ohne weiteres auf Vergaben von Bauleistungen wie auch Liefer- und Dienstleitungen übertragen werden, da die zitierte Aufhebungsvorschrift des § 37 Abs. 1 Nr. 2 VSVgV identisch ist mit § 17 Abs. 1 Nr. 2 EU VOB/A bzw. § 63 Abs. 1 Nr. 2 VgV. Danach gilt also: Ein Berufen auf eine „wesentliche Änderung der Grundlagen des Vergabeverfahrens“ ist vergaberechtlich dann besonders kritisch zu sehen, wenn der Beschaffungsbedarf des AG in Art und Umfang unverändert fortbesteht.

  Quelle:


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