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Aufklärung eines Unterkostenangebotes auch unterhalb der Aufgreifschwelle?

07.06.2022

Die Vergabekammer(VK) Berlin hat mit Beschluss vom 25.03.2022 – VK B 2-53/21 – u.a. folgendes entschieden:

1. Weist das Angebot eines Bieters einen Abstand von mehr als 10% zum nächsthöheren Angebot auf, ist der Auftraggeber zwar nicht zu einer Preisprüfung verpflichtet, aber gleichwohl dazu berechtigt.
2. Ein Preisabstand von mehr als 10% indiziert das Vorliegen eines unangemessen niedrigen Preises.
3. Kann der Bieter diese Indizwirkung im Rahmen der Aufklärung nicht erschüttern, rechtfertigt dies die Annahme eines unangemessen niedrigen Angebots.

Ein öffentlicher Auftraggeber hatte zur Errichtung eines neuen Nachwuchsleistungs-zentrums Bauleistungen europaweit ausgeschrieben. Nach Submission fiel dem AG bei der Angebotswertung auf, dass die Einheitspreise des erstplatzierten Bieters A auffallend niedrig waren und um den Faktor 10 unter den Regelwerten des Standardleistungsbuches Bau (StLB-Bau) lagen. Bei den Angebotsendsummen betrug der Preisabstand zwischen A und dem zweitplatzierten Bieter B 10,53 %. Der AG führte darauf ein Aufklärungsgespräch durch; im Protokoll wurde u.a. festgehalten, dass A „die Auskömmlichkeit der Preise nachweisen, im Detail erklären und eine ausführliche Kalkulation vorlegen werde“. Darauf bestätigte A allgemein „die Auskömmlichkeit des gesamten Angebotes“ sowie „dass das Verbot der Mischkalkulation eingehalten wurde“. Der AG schloss darauf das Angebot des A wegen nicht ausgeräumter Zweifel bzgl. eines unangemessen niedrigen Preises aus. Dagegen wehrte sich A: Die Preisprüfung sei bereits unzulässig gewesen, da der Preisabstand zu B nur 10,53 % betrage und damit eindeutig unterhalb der anerkannten Aufgreifschwelle liege. Seine Preis- und Zeitansätze seien auskömmlich und aufgrund der nur geringen Abweichungen zu den Regelsätzen des StLB-Bau nicht begründungspflichtig. Seine Kalkulationsansätze basierten auf effektiven Arbeitsprozessen und effizienten Geräteeinsätzen. Nach erfolgloser Rüge beantragte A Nachprüfung.
Die VK gibt hier dem AG Recht. Das Angebot des A sei zurecht aus dem Vergabeverfahren ausgeschlossen worden. Die Entscheidung des AG, das Angebot auszuschließen, begegne nach § 16d EU Abs. 1 Nr. 1 VOB/A keinen Bedenken. Danach dürfe der Zuschlag auf ein Angebot mit einem unangemessen hohen oder niedrigen Preis oder mit unangemessen hohen oder niedrigen Kosten nicht erteilt werden. Im Ergebnis der vom AG durchgeführten Preisprüfung dürfe das Angebot des A danach nicht den Zuschlag erhalten.
Entgegen der Auffassung des A sei die Preisprüfung des AG vorliegend zulässig gewesen. Nach § 16d EU Abs. 1 Nr. 2 S. 1 VOB/A sei vor Ablehnung eines Angebotes vom Bieter Aufklärung über die Ermittlung der Preise oder Kosten für die Gesamtleistung oder für Teilleistungen zu verlangen, wenn der Angebotspreis unangemessen niedrig erscheine und anhand vorliegender Unterlagen über die Preisermittlung die Angemessenheit nicht zu beurteilen sei. Ob der AG danach vorliegend zu einer Preisprüfung verpflichtet gewesen sei, könne offenbleiben. Denn jedenfalls sei er dazu berechtigt.
Das Angebot habe einen Abstand von mehr als 10% zum nächsthöheren Angebot des B aufgewiesen. Dies sei ein hinreichender Anlass, um von einem unangemessen niedrig erscheinenden Angebotspreis auszugehen. Dem stehe nicht entgegen, dass in Rechtsprechung und Literatur vielfach eine sog. Aufgreifschwelle von 20% angenommen werde. Denn diese beziehe sich lediglich auf die Frage, ab welchem Preisabstand ein Auftraggeber verpflichtet, nicht hingegen, ab wann er berechtigt sei, eine Preisaufklärung vorzunehmen. Es sei auch nichts gegen die Einschätzung des AG einzuwenden, anhand der ihm vorliegenden Unterlagen die Angemessenheit nicht beurteilen zu können.
Aufgrund des Preisabstands zum Angebot des B sei das Vorliegen eines unangemessen niedrigen Preises indiziert gewesen. Dies habe Bieter A im Rahmen der Aufklärung nicht widerlegt. Im Ergebnis der Aufklärung sei vielmehr unklar geblieben, wie A seine Preise ermittelt habe und ob diese kostendeckend und angemessen seien.
In der Erklärung des A, mit weniger aufwendigen und deutlich effektiveren Arbeitsprozessen sowie mit seinen speziellen und effizienten Geräten würden seine Preise plausibel gemacht, könne schon per se keine geeignete Preisaufklärung liegen. Abgesehen davon, dass diese Aussage zu pauschal sei und nicht konkrete Umstände der Preisermittlung darlege, habe der AG auch unwidersprochen darauf verwiesen, dass A kein besonderes Gerät oder Ähnliches nutze, das die Abweichungen gegenüber den anderen Unternehmen erkläre. Auch die bloße Versicherung des A, er habe ein auskömmliches Angebot abgegeben und eine ordnungsgemäße Abwicklung der Maßnahme zu dem angebotenen Gesamtpreis sei ohne Zweifel zu erwarten, könne keine Preisaufklärung ersetzen.
Der AG habe hier vielmehr an verschiedenen Stellen Widersprüchlichkeiten in den Erklärungen und Unterlagen des A aufgezeigt, die jener nicht auszuräumen vermocht habe. Ungereimtheiten in Bezug auf die Preisbildung, die sich im Wege der Aufklärung nicht zufriedenstellend aufklären ließen, gingen jedoch zulasten der Bieter.

Anmerkung:

Festzuhalten bleibt, dass der Auftraggeber bei Überschreitung der Aufgreifschwelle (bei Bauleistungen ca. 20% Preisdifferenz zwischen erstplatziertem und zweitplatziertem Angebot) zur Preisaufklärung gemäß § 16d EU Abs. 1 Nr. 2 VOB/A verpflichtet ist. Unterhalb dieser Schwelle ist er jedoch auch dann zur Preisaufklärung gemäß § 15 EU Abs. 1 Nr. 1 VOB/A berechtigt, wenn er bei einem Angebot begründete Anhaltspunkte für ein Missverhältnis zwischen Preis und Leistung hat oder zu erkennen glaubt.
Den Bieter seinerseits trifft in jedem Falle eine Obliegenheit zur Mitwirkung bzw. Aufklärung seiner Preise, wobei er unbedingt von allgemeinen pauschalen Aussagen – wie im vorliegenden Fall – absehen und dagegen konkrete wettbewerbsbezogene Gründe für die Seriosität seiner Preisgestaltung anführen sollte. Tut er dies nicht, läuft er Gefahr, dass sein Angebot wegen unzureichender oder verweigerter Aufklärung gem. § 15 EU Abs. 2 VOB/A ausgeschlossen wird.

  Quelle: RA Michael Werner


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