zurück

Auftraggeber muss Fehlvorstellungen des Bieters richtig korrigieren!

23.03.2021

von RA Michael Werner

Das OLG Frankfurt hat mit Beschluss vom 24.11.2020 – 11 Verg 12/20 – folgendes entschieden:

• Bestärkt die Vergabestelle durch ihre Antwort auf eine Bieteranfrage den Bieter in der Einschätzung eines Parameters für die Preiskalkulation, die sie selbst für fehlerhaft hält, kann dies zu einer Diskriminierung dieses Bieters führen, wenn dieser sein Angebot auf der Grundlage dieser Fehlvorstellung kalkuliert.

Ein öffentlicher Auftraggeber (AG) hatte im Juni 2019 einen FM-Dienstleistungsauftrag im offenen Verfahren europaweit ausgeschrieben. Zuschlagskriterien waren zu je 50 Prozent der Preis und die Qualität. Im LV, das ebenso wie die weiteren Auftragsunterlagen auf der Vergabeplattform des AG zur Verfügung stand, wurde beim Preiskriterium u. a. nach dem Stundenverrechnungssatz für den Objektleiter gefragt, da diesem im Rahmen der Prüfung eine besondere Bedeutung zukommen sollte. Bieter A stellte zu diesem Punkt am 19.07.2019 folgende Frage: „Ist hier der Tariflohn oder der Tariflohn inkl. der gesetzlichen und notwendigen Lohnnebenkosten einzutragen?“. Der AG beantwortete dies mit „der Tariflohn inkl. der gesetzlichen und notwendigen Lohnnebenkosten“. Diese Antwort teilte der AG den übrigen Bietern nicht mit, da es sich nach seiner Auffassung um eine Fragestellung subjektiver Natur handelte und es keiner Auskunft gegenüber den anderen Bietern bedurfte. Nach Submission teilte der AG dem A mit, dem Bieter B den Auftrag zu erteilen, da das Angebot des A nicht das wirtschaftlichste gewesen sei. Bieter A rügte darauf, dass die der Kalkulation des B zugrundeliegenden Stundenverrechnungssätze für den Objektleiter die gesetzlichen Lohnnebenkosten nicht berücksichtige. Der AG war der Ansicht, dass A als erfahrener Bieter hätte erkennen können, dass die Bezahlung des Objektleiters nicht tariflohngebunden sei, und dass A bei der Preiskalkulation von seiner Wahlfreiheit bzgl. der Zahlung eines Tariflohns Gebrauch gemacht hätte. Dem widersprach A und rügte die Intransparenz der Zuschlagskriterien, speziell seine Benachteiligung durch den fehlerhaften Hinweis des AG. Gegen den antragsabweisenden Beschluss der VK legte A Beschwerde zum OLG ein.

Das OLG gibt Bieter A Recht. Seine Rüge hat in der Sache Erfolg, weil er durch den missverständlichen Hinweis des AG gegenüber den anderen Bietern benachteiligt wurde (§ 97 Abs. 2 GWB). Wenn – wie der AG sowie B geltend gemacht hatten – für die Kalkulation der Stundenverrechnungssätze des Objektleiters nicht zwingend der RTV zugrunde zu legen sei, hätte der AG den A nicht in seiner aus der Frage vom 19.07.2019 ersichtlichen entgegenstehenden Vorstellung bestärken dürfen.

Aus dem Schreiben vom 19.7.2019 ergebe sich, dass A davon ausging, dass der Kalkulation des an dieser Stelle abgefragten Stundenverrechnungssatzes des Objektleiters der RTV und damit „Tariflohn“ zugrunde zu legen gewesen sei. Die Bezugnahme des A auf den Tariflohn an dieser Stelle könne nicht dahin verstanden werden, dass A lediglich gezeigt hätte, dass er im Rahmen der Kalkulationsfreiheit entschieden habe, der Kalkulation des Lohns des Objektleiters freiwillig den RTV zugrunde zu legen. Nach seiner Frage sei für ihn ausschließlich die Eintragung des Tariflohns mit Nebenleistungen oder des Tariflohns ohne Nebenleistungen in Betracht gekommen („Ist ... Tariflohn oder Tariflohn inkl. ... der Lohnnebenkosten einzutragen?“). Hätte er nicht die zwingende Anwendung des RTV angenommen, hätte es weitaus nähergelegen, bei der Fragestellung über die Berücksichtigungspflicht der Lohnnebenkosten nicht auf den „Tariflohn“, sondern den „Lohn“ abzustellen. Es habe aus Sicht des AG kein Anlass für die Annahme bestanden, dass A bereits in diesem Zeitpunkt und in diesem Zusammenhang von einer – unterstellten – Kalkulationsfreiheit Gebrauch gemacht hätte.

Der AG habe vielmehr durch seine Antwort, die – nach seiner Auffassung – unzutreffende Vorstellung des A bestärkt. Denn die Antwort: „Es ist der Tariflohn inkl. der ... Lohnnebenkosten einzutragen“ musste auch bei einem verständigen Bieter den Eindruck erwecken bzw. verstärken, dass der Tariflohn für den Objektleiter zwingend zugrunde zu legen sei. Habe – wie der AG geltend mache – er hiermit lediglich die Antwort auf die Frage der Berücksichtigungspflicht der Lohnnebenkosten beantworten wollen, hätte er ohne weiteres in der Antwort auf die Pflicht zur Eintragung des „Lohns inkl. der ... Lohnnebenkosten“ abstellen können. Habe damit für die Beantwortung der Frage nicht die Notwendigkeit bestanden, auf den Tariflohn abzustellen, sei die Verwendung des Begriffs „Tariflohn“ in der Antwort des AG für den verständigen Bieter nur dahin zu verstehen, dass auf den Tariflohn (inklusive Lohnnebenkosten) abzustellen sei.

Ohne Erfolg mache Bieter B geltend, es sei treuwidrig, dass A die Vergaberechtswidrigkeit aus der Beantwortung seiner Frage vom 19.7.2019 herleiten wolle, da die Einbeziehung der Lohnnebenkosten selbstverständlich gewesen sei und die Frage daher nur dazu gedient habe, dem AG eine Antwort zu entlocken, die es A ermöglichen sollte, die Ausschreibung zu torpedieren, wenn er selbst nicht den Zuschlag erhalten sollte. Hinreichende Anhaltspunkte für eine „Fangfrage“ des A lägen hier nicht vor. Dies könne man nur dann feststellen, wenn A schon vorher positiv gewusst habe, dass der Objektleiter nicht den Bestimmungen des RTV unterlag. Dafür lägen aber keine konkreten Anhaltspunkte vor. Im Übrigen spreche gegen eine „Fangfrage“, dass A bei Absendung seiner Anfrage nicht habe wissen können, wie der AG damit verfahren würde und ob er seine Antwort nicht auch an die anderen Bieter senden würde, um eine Aufklärung dieser Fragestellung gegenüber dem gesamten Bieterkreis zu bewerkstelligen.

Das Ausschreibungsverfahren sei daher ab dem Zeitpunkt zu wiederholen, zu dem sich der Mangel ausgewirkt habe. Da dem A mitgeteilt worden sei, dass er der Kalkulation des Lohns des Objektleiters den RTV zugrunde legen müsse, obwohl dies nach der hier vorgebrachten Auffassung des AG nicht der Fall sei, sei der AG zu verpflichten, bei fortbestehender Beschaffungsabsicht das Vergabeverfahren in den Stand vor Erstellung der Angebote zurückzuversetzen und unter Beachtung der Rechtsauffassung des OLG-Senats zu wiederholen.

Werner..jpg

Anmerkung:
Der AG hat hier zwei kapitale Fehler gemacht: Einmal hat er durch die Frage des Bieters A erkannt, dass dieser über einen wesentlichen Parameter der Preiskalkulation einer Fehlvorstellung unterlag. Anstatt den Hinweis an den Bieter so klar und eindeutig zu formulieren, dass dieser seine fehlerhafte Auffassung erkennen konnte, hat er diese eher noch vertieft. Zweiter Fehler war, den Hinweis an A nicht allen Bietern bekannt zu geben. In diesem Falle hätte sich spätestens dann – aufgrund weiterer Fragen – das Missverständnis aufgeklärt. Der Auftraggeber sollte daher stets alle Bieterfragen – und mögen sie aus seiner eigenen Sicht noch so irrelevant sein – und seine Antworten darauf allen Bietern zur Verfügung stellen. Dies bereits aus reinen Vorsichtsgründen – um nicht in das Risiko zu laufen, allein wegen fehlender Bekanntgabe an alle Bieter das Verfahren zurücksetzen zu müssen.

  Quelle:


Gratis Gastzugang

Submissions-Anzeiger | Tageszeitung-Ad

Aktuelles
Seminarangebot

Baurecht- und Vergabeseminare