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Bauzeitnachtrag per einstweiliger Verfügung?

27.08.2020

von RA Michael Seitz

Der Erlass einer einstweiligen Verfügung nach § 650d BGB auf Zahlung von 80 Prozent einer in einem Angebot nach § 650b Abs. 1 Satz 2 BGB genannten Mehrvergütung setzt die Anordnung einer Leistungsänderung durch den Bauherrn voraus.

Dies hat das Landgericht Berlin in einem Beschluss vom 20.04.2020 (Az.: 19 O 34/20) entschieden.

Der Fall: AG beauftragt AN als Generalunternehmer mit dem Neubau einer Wohn- und Geschäftsanlage mit Verbrauchermarkt. Sie vereinbaren ein (auch) auf die Leistungszeit bezogenes Anordnungsrecht des AG. Zu den Ausführungsfristen heißt es: „24 Monate zwischen Schließung des Marktes bis zur Eröffnung des Marktes … Baubeginn 30.09.2018.“ Voraussetzung der vorgenannten Termine ist die AG-seitige Kündigung des Verbrauchermarktes zum 31.05.2018. Später teilt AG dem AN mit, dass mit den Arbeiten erst zum 1. März 2019 begonnen werden soll. Daraufhin erstellt AN ein Nachtragsangebot, das unter Position 4 mehr als 500.000,00 Euro „Mehrkosten für Bauzeitverschiebung“ ausweist. Als AG nicht zahlt, verlangt AN 80 Prozent dieser Summe als Abschlagszahlung. Daraufhin beantragt AG im Wege einer einstweiligen Verfügung, festzustellen, dass AN hierzu vorläufig nicht berechtigt ist.

Die Entscheidung: Das Landgericht gibt dem Antrag des AG auf Feststellung, dass AN derzeit kein Mehrvergütungsanspruch zusteht, statt. Nach Auffassung des Landgerichts fehlt es hier bereits an einer Änderungsanordnung, die indes Voraussetzung für einen Anspruch auf 80 Prozent der Mehrvergütung gemäß § 650c Abs. 3 Satz 1 BGB ist. Diese Vorschrift verweist auf § 650b Abs. 1 Nr. 1 und 2 BGB, nach der entweder eine Anordnung zur Änderung des Werkerfolges oder eine Änderung, die zur Erreichung des vereinbarten Werkerfolges notwendig ist, vorliegen muss. Hier hatten die Parteien – so legt das Landgericht die vertragliche Vereinbarung aus – aber schon gar keine verbindlichen Vertragsfristen vereinbart. Der Baubeginn zum 30.09.2018 setze nämlich voraus, dass der Auftraggeber zuvor das Mietverhältnis des Verbrauchermarktes zum 31.05.2018 kündigte, was unstreitig nicht geschah. Daraus folgerte das Landgericht, dass es sich bei der Mitteilung des AG, der Baubeginn verschiebe sich auf den 01. März 2019, nicht um eine angeordnete Änderung der Bauzeit, sondern vielmehr um die erstmalige Mitteilung des Baubeginns handele. Es fehle also bereits an einer Änderungsanordnung, die aber Voraussetzung für den Anspruch auf Erlass einer einstweiligen Verfügung auf Zahlung von 80 Prozent der Nachtragssumme sei. Nach Auffassung des Landgerichts bleibt allerdings auch in derartigen Fällen § 650d BGB anwendbar. Deshalb muss zum einen der Verfügungsgrund (Eilbedürftigkeit) nicht glaubhaft gemacht werden, zum anderen reicht es für die Anwendung des § 650d BGB (Durchführung des einstweiligen Verfügungsverfahrens) aus, dass AN meint, einen Vergütungsanspruch gemäß § 650c Abs. 3 Satz 1 BGB zu besitzen. Dies gelte insbesondere auch deshalb, weil AG sodann ein Interesse daran habe, eine „anderslautende gerichtliche Entscheidung“ i. S. d. § 650c Abs. 3 Satz 1 BGB letzter Halbsatz zu erwirken. Schließlich stellt das Landgericht fest, dass § 650d BGB auf andere Anspruchsgrundlagen als § 650b und c BGB (hier: § 642 BGB) keine Anwendung findet.

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Fazit: Die Entscheidung des Landgerichts Berlin ist – soweit ersichtlich – die erste veröffentlichte Entscheidung zum einstweiligen Verfügungsverfahren nach § 650d BGB, und das, obwohl diese Vorschrift bereits seit zweieinhalb Jahre in Kraft ist. Gerade für Auftragnehmer ist die Entscheidung eher ernüchternd. Zum einen war es hier gar nicht der AN, der mittels der einstweiligen Verfügung einen Zahlungsanspruch in Höhe von 80 Prozent seines Nachtrages durchsetzen wollte, sondern es war vielmehr der AG, der in einem solchen Eilverfahren festgestellt wissen wollte, dass ein solcher Anspruch gerade nicht besteht. Das Landgericht legt der Vertrag aus und stellt fest, dass trotz Vereinbarung eines Beginntermins keine (zeitliche) Anordnung des Auftraggebers vorliege. Der Beginntermin habe nämlich unter der Voraussetzung der Kündigung des Mietverhältnisses gestanden, und diese sei unstreitig nicht erfolgt. Mithin sei der Anwendungsbereich des § 650c Abs. 1 Satz 3 BGB, der den 80%-igen Anspruch per einstweiliger Verfügung gewährt, gar nicht eröffnet. Man mag diese Auslegung teilen oder nicht, jedenfalls entzieht sich das Landgericht auf diese Weise elegant einer Entscheidung darüber, ob ein Anspruch gegeben gewesen wäre, hätte es eine Anordnung gegeben. Auch wird man die Entscheidung nicht dahingehend verstehen dürfen, dass generell bauzeitliche Anordnungen nicht unter den Anwendungsbereich des § 650b Abs. 1 Satz 1 BGB (und damit auch unter die Anspruchsgrundlage des § 650c Abs. 3 Satz 1 BGB) fallen. Vielmehr hat das Landgericht hier nur festgestellt, dass es in dem vorliegend zu entscheidenden Fall eine solche zeitliche Anordnung durch den AG gar nicht gab. Beizupflichten ist dem Landgericht allerdings immerhin in der Feststellung, dass das einstweilige Verfügungsverfahren nach § 650d BGB auf alle Fälle des § 650b und c BGB anzuwenden ist, auch wenn im Ergebnis ein Anspruch nach diesen Vorschriften nicht besteht. Ob gegen die Entscheidung Rechtsmittel eingelegt wurden, ist nicht bekannt. Ob es weitere Entscheidungen höherer Instanzen gegeben wird, bleibt daher abzuwarten.

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