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Bei Widerspruch im Angebot: Aufklärung geboten!

05.04.2022

 

Die Vergabekammer (VK) Nordbayern hat mit Beschluss vom 18.11.2021 – RMF-SG21-3194-6-35 – u.a. folgendes entschieden:


1. Ist ein Angebot in sich widersprüchlich, so stellt dies nicht unmittelbar einen Ausschlussgrund nach § 57 Abs. 1 Nr. 4 VgV dar. Hat das Angebot keinen von den Vergabeunterlagen abweichenden Inhalt, sondern ist in diesem Punkt lediglich nicht eindeutig, so bedarf das Angebot der Aufklärung. Dem Bieter muss die Gelegenheit eingeräumt werden, die Widersprüchlichkeit auszuräumen.
2. Darüber hinaus ist - selbst im Falle einer Abweichung - auch dann eine Aufklärung geboten, wenn sich einem unvoreingenommenen Auftraggeber nach Art, Gegenstand und Ort der Abweichung die Möglichkeit aufdrängen muss, dass die Abweichung auf einem Missverständnis beruht und das Angebot auf den maßgeblichen Inhalt der Vergabeunterlagen zurückgeführt werden kann.


Ein öffentlicher Auftraggeber (AG) hatte die Lieferung von Kleinkehrmaschinen aufgeteilt in drei Lose europaweit im Offenen Verfahren ausgeschrieben. Bieter A gab für alle 3 Einzellose jeweils das wirtschaftlichste Angebot ab. Seinem Angebotsschreiben waren zu jedem Los separate Anlagen beigefügt, in denen es hieß: "Freibleibendes Angebot". Anschließend folgte die entsprechende Produktbeschreibung inklusive Preisangaben. Der AG schloss das Angebot des A wegen einer Änderung der Vergabeunterlagen aus. Die Begleitschreiben seien Bestandteil des Angebots und bezeichneten es - gegebenenfalls auch unbeabsichtigt – durch den Text „freibleibendes Angebot“ als unverbindlich. A rügte darauf den Ausschluss. Er habe ein korrektes Angebot abgegeben; der Vermerk "freibleibendes Angebot" sei lediglich bei den freiwillig beigefügten Anhängen mitabgedruckt worden; er versicherte, er habe ein verbindliches Angebot abgeben wollen. Nach Nichtabhilfe seiner Rüge stellte A Nachprüfungsantrag.
Die VK gibt hier Bieter A Recht. Der AG habe das Angebot des A zu Unrecht ausgeschlossen, denn es liege kein Ausschlussgrund gem. § 57 Abs. 1 Nr. 4 VgV wegen Änderungen an den Vergabeunterlagen vor.


Grundsätzlich liege eine unzulässige Änderung an den Vergabeunterlagen vor, wenn der Bieter nicht das anbiete, was der AG nachgefragt habe, sondern von den Vorgaben der Vergabeunterlagen abweiche. Ob eine unzulässige Änderung der Vergabeunterlagen durch das Angebot im Einzelfall vorliege, sei nach der Rechtsprechung anhand einer Auslegung in entsprechender Anwendung der §§ 133, 157 BGB sowohl der Vergabeunterlagen als auch des Angebots nach dem jeweiligen objektiven Empfängerhorizont festzustellen. Hinsichtlich des Angebots des Bieters sei Maßstab der Auslegung, wie ein mit den Umständen des Einzelfalls vertrauter Dritter in der Lage des AG das Angebot nach Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte verstehen habe müssen oder dürfen, wobei es keinen Erfahrungssatz gebe, dass der Bieter stets das vom Ausschreibenden Nachgefragte anbieten wolle, auch wenn ihm redliche und interessensgerechte Absichten zu unterstellen seien. Ob A hier ein unverbindliches Angebot eingereicht habe, sei anhand des Angebotsinhaltes zu ermitteln. In die Auslegung seien sämtliche dem Angebot beigefügten Unterlagen und Erklärungen einzubeziehen, hier also das Angebotsschreiben wie auch die Begleitschreiben.


Das Angebotsschreiben des A beinhalte folgenden Satz: "An mein/unser Angebot halte(n) ich/wir mich/uns bis zum Ablauf der Bindefrist gebunden“. Daraus komme man zu dem Ergebnis, dass sich A entsprechend des Wortlauts ein verbindliches Angebot habe abgeben wollen. Bei den Begleitschreiben habe der AG zutreffend entsprechend dem objektiven Empfängerhorizont den verwendeten Begriff "freibleibend" als unverbindlich verstanden, denn freibleibend bedeute "ohne Verbindlichkeit" bzw. "ohne Verpflichtung" und stelle eine sog. Freiklausel dar. Die Auslegung dieser drei Begleitschreiben anhand der o.g. Auslegungsgrundsätze ergebe daher, dass A ein unverbindliches Angebot habe einreichen wollen. Das Angebot des A sei damit in sich widersprüchlich. Dieser Widerspruch lasse sich auch nicht sicher durch Auslegung gem. §§ 133, 157 BGB beseitigen. Vor diesem Hintergrund könne das Angebot des A entgegen der Ansicht des AG aber nicht eindeutig als unverbindliches Angebot ausgelegt werden. Sei ein Angebot aber in sich widersprüchlich, so stelle dies nicht unmittelbar einen Ausschlussgrund nach § 57 Abs. 1 Nr. 4 VgV dar. Denn das Angebot habe keinen von den Vergabeunterlagen abweichenden Inhalt, sondern sei in diesem Punkt lediglich nicht eindeutig. In diesem Falle bedürfe das Angebot vielmehr der Aufklärung. Dem Bieter müsse die Gelegenheit eingeräumt werden, die Widersprüchlichkeit auszuräumen. Darüber hinaus sei - selbst im Falle einer Abweichung - nach der Rechtsprechung des BGH (U. v. 18.06.2019 - X ZR 86/17) auch dann eine Aufklärung geboten, wenn einem unvoreingenommenen Auftraggeber nach Art, Gegenstand und Ort der Abweichung, sich die Möglichkeit aufdrängen müsse, dass die Abweichung auf einem Missverständnis beruhe und das Angebot auf den maßgeblichen Inhalt der Vergabeunterlagen zurückgeführt werden könne. Dieser Fall werde von der Fallgestaltung manipulativer Eingriffe in die Vergabeunterlagen im eigentliche Sinne abgegrenzt, die dadurch gekennzeichnet seien, dass ein von den Vergabeunterlagen inhaltlich abweichendes Angebot abgegeben werde und bei Hinwegdenken solcher Abweichungen gerade kein vollständiges, sondern ein lückenhaftes Angebot vorliege. Daraus folge, das eine Aufklärung bei Abweichungen von Vergabeunterlagen nicht stets gefordert werde, sondern nur dann, wenn die Abweichung ein Missverständnis des Bieters indiziere und im Rahmen der Aufklärung ohne weiteres ein vollständig den Vergabeunterlagen entsprechendes Angebot herbeigeführt werden könne.


Hier heiße das: Bei Hinwegdenken der bieterseitig beigefügten drei Begleitschreiben liege auch ein vollständig den Vergabeunterlagen entsprechendes Angebot vor, welches gerade nicht lückenhaft sei. Dem AG habe sich hier vielmehr die Möglichkeit aufdrängen müssen, dass die Formulierung "freibleibendes Angebot" in den drei Begleitschreiben auf einem Missverständnis des A beruhe. Der AG wäre nach alledem verpflichtet gewesen, eine Aufklärung durchzuführen. Mangels durchgeführter Aufklärung sei aber der Ausschluss des Angebots rechtswidrig, und A werde hierdurch in seinen Rechten verletzt.

Anmerkung:

Die Entscheidung zeigt wieder einmal, wie gefährlich sog. Begleitschreiben zum Angebot sind. So gut diese „Erläuterungen“ oft gemeint sind, beinhalten sie doch immer potenziell das Risiko einer Änderung der Vergabeunterlagen, die zum Ausschluss führen kann. Grundsätzlich sollte man als Bieter daher von solchen Begleitschreiben absehen, da es auch allein Sache des Auftraggebers ist, in den Vergabeunterlagen zu bestimmen, was er zur Ermittlung des wirtschaftlichen Angebotes benötigt.

  Quelle: RA Michael Werner


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