zurück

"Das gibt einem bei der Arbeit den Kick"

20.08.2012

Industriekletterer haben in 114 Metern Höhe das Kreuz des Berliner Doms inspiziert und für gut befunden

Von Jens Kiffmeier

Berlin (dapd-bln). Angst hat er nicht. Jedenfalls nicht mehr. Routiniert zurrt Mike Weßelowski seine Klettergurte fest. Der Industriekletterer, 26, wippt noch einmal mit den Knien. Dann hängt er sich in die Seile. Unter ihm geht es 99 Meter in die Tiefe. 15 Meter über ihm ragt das goldene Kreuz des Berliner Doms in den Himmel. Langsam hangelt er sich nach oben. "Nur so kommt man an außergewöhnliche Orte", sagt er. Unter seinen Füßen befindet sich die deutsche Hauptstadt.Alle zwei Jahre muss das Domkreuz kontrolliert werden. Die vergoldete Stahl-Kupfer-Konstruktion prangt auf der Kirchenkuppel, seine Spitze befindet sich 114 Metern über dem Straßenniveau. Nur mit der Hilfe von Industriekletterern kommt man dort heran. Zusammen mit seinem Chef Thomas Michaelis hat Weßelowski deshalb in den vergangenen Tagen das Kreuz überprüft.Schäden haben die beiden Arbeiter nicht entdeckt. "Der Zustand ist perfekt", berichtet Domarchitektin Charlotte Hopf. Man habe keine Veränderungen an dem Material feststellen können.Bereits seit 2008 schmückt das 700.000 Euro teure und 12,5 Tonnen schwere Kreuz das Domdach. Die Trägerkonstruktion ist aus Edelstahl. Drumherum befindet sich eine vergoldete Kupferhülle, die nicht genietet, sondern gelötet und gefalzt ist. Laut Hopf ist das Eindringen von Wasser dadurch kaum möglich - was die Konstruktion insgesamt beständiger machen soll als das alte Kreuz, das von 1981 bis 2006 auf dem bei Touristen beliebten Sakralbau an der Spree stand und das wegen Rostschäden demontiert werden musste.

Chef und Mitarbeiter sind auf sich alleine gestellt

Thomas Michaelis hat damals den Austausch der Kreuze mit seiner Firma betreut. Der heute 48-Jährige ist gelernter Dachdecker, Sachverständiger und seit 2004 auch Industriekletterer. Zu dem Zusatzjob kam er eher zufällig. Als Dachdecker habe er sich auf historische Bauten spezialisiert, sagt er. Gerade jedoch auf Kirchen steige man oftmals nicht einfach so hinauf. Deshalb habe er sich zur Zusatzausbildung entschlossen. Für den Job. "In der Freizeit kletter ich nicht", stellt er klar.Weßelowski ist erst seit zwei Jahren dabei. Trotzdem bildet er mit seinem Chef ein gut eingespieltes Team. Als Michaelis seine Seile justiert, baumelt er in den Gurten hin und her. Weßelowski, der einen besseren Halt hat, legt seine Hand auf die Schulter seines Chefs und stoppt ihn. "Man achtet sehr aufeinander", sagt Michaelis. Denn letztendlich sei man in luftiger Höhe aufeinander angewiesen. Sie müssen sich gegenseitig sichern - und zur Not auch gegenseitig retten. "Wenn etwas passiert, dann kommt hier so schnell keine Feuerwehr hoch", sagt Michaelis. Unfälle seien ihnen jedenfalls zum Glück noch nicht passiert.Zehn bis dreißig Aufträge arbeitet die Firma nach Angaben von Michaelis im Jahr ab. Auch am Berliner Dom gibt es immer wieder einiges zu tun. Neben dem Kreuz nehmen die Industriekletterer auch regelmäßig die Skulpturen an der Außenfassade unter die Lupe.

Höhenangst überwunden

In seiner jetzigen Form war der Berliner Dom zwischen 1894 und 1905 errichtet worden. Die Arbeiten erfolgten nach den Plänen des Architekten Julius Carl Raschdorff. Während des Zweiten Weltkriegs wurde das Gebäude mehrfach von Bomben getroffen, brannte schließlich aus und stürzte teilweise ein. Zwischen 1975 und 1993 erfolgte der komplette Wiederaufbau. Der Dom sei aber nach wie vor ein Dauerprojekt, sagt Architektin Hopf. Ähnlich wie am Kölner Dom gebe es an der großen Kirche in Berlins Mitte ständig etwas zu tun und instand zu setzen.Das Kreuz gehört aber jetzt erst einmal nicht dazu. Nach getaner Arbeit seilt sich Michaelis an diesem Tag wieder ab. Total erschöpft wirkt er nicht. "Das ist auch nicht anstrengender als jeder andere normale Job", sagt Michaelis. Hinter ihm klettert Weßelowski. Als er unten ankommt, springt er auf den Mauervorsprung. Dann schwingt er sich geschickt über die Balustrade auf sicheren Boden. Der Abstieg macht ihm nichts mehr aus.Bei seinem ersten Einsatz war das noch anders. Das war auf einer Kirche in Moabit. 80 Meter sei es dort in die Tiefe gegangen - und plötzlich habe sich ein mulmiges Gefühl breit gemacht. Das sei das einzige und letzte Mal gewesen. Er hat es überwunden - und er will die Kletterei nicht mehr missen, wie er sagt. "Das gibt einem bei der Arbeit den Kick."

kletterer-online.jpg

Foto: Clemens Bilan / dapd

  Quelle: dapd


Gratis Gastzugang

Submissions-Anzeiger | Tageszeitung-Ad

Aktuelles
Seminarangebot

Baurecht- und Vergabeseminare