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„Der Mittelstand muss sich wieder stärker vernetzen“

14.08.2016

Interview mit Christian Staub, neuer BVN-Präsident

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Foto: www.bvn.de

Der BVN sprach mit Christian Staub über Akzente, die er als Präsident setzen möchte, und aktuelle Debattenthemen rund um das Baugewerbe. Dazu zählen die Sonder-AfA für den Wohnungsbau, die blaue Plakette für Dieselfahr-zeuge und das neue Gewährleistungsrecht im Handwerk. Christian Staub ist seit dem 12. Mai 2016 neuer Präsident des Baugewerbe-Verbandes Niedersachsen (BVN). 1986 hat der Osnabrücker Unternehmer im Alter von 27 Jahren den väterlichen Betrieb übernommen. Zunächst mit einer Maurerlehre und anschließend mit einem Ingenieurstudium an der Fachhochschule Bielefeld, Abteilung Minden sowie einem Aufbaustudium zum Schweißfachingenieur in Duisburg hat er sich auf seine Führungsaufgabe vorbereitet. Heute sind in seinen beiden Unternehmen 110 Mitarbeiter beschäftigt. 20 arbeiten bei der Chr. Staub Baugesellschaft mbH im Hochbau, rund 90 im Clausing GmbH Tiefbauunternehmen.

Herr Staub, was hat Sie motiviert, Präsident des BVN zu werden?
Seit langem bin ich ehrenamtlich aktiv. Das begann in meinem Reiterverein, in dem ich als Jugendwart meine erste Funktion übernahm. Langjährig war ich Vorsitzender dieses Vereins. Ich war von 2002 bis Anfang 2016 zudem Obermeister der Innung in Osnabrück. Seit Herbst 2011 sitze ich im Präsidium des BVN. Ich arbeite in diesem Verband mit dem Hauptgeschäftsführer Matthias Wächter, den Vorstandskollegen sowie den anderen Mitarbeitern gut zusammen und habe ein gutes Miteinander kennengelernt, das mir großen Spaß macht. Natürlich weitet eine ehrenamtliche Tätigkeit in diesem Verband auch den eigenen Horizont. Vor zwei Jahren hatte mich mein Vorgänger Rainer Lorenz gefragt, ob ich sein Nachfolger werden wolle. Politik interessiert mich, auch wenn – siehe Bauvertragsrecht – der Umgang damit auch frustrierend sein kann.

Und welche Schwerpunkte möchten Sie als Präsident setzen?
Ein vielleicht hehres Ziel, das ich habe: Wir müssen jedes Bauunternehmen dazu bringen, unsere Verbands- und Lobbyarbeit in Anspruch zu nehmen, aber auch zu stützen. Ich möchte den Organisationsgrad verbessern. Ich wende mich auch entschieden gegen Trittbrettfahrerei: Wir setzen als Verband Anliegen durch und andere partizipieren davon. Eigentlich müsste eine Verbands- oder Innungsmitgliedschaft als Qualitätssiegel verkauft werden. Sie sollte auch Vorteile bei der Auftragsvergabe bringen. Wir haben schwere, rezessive Jahre hinter uns. In dieser Zeit haben wir rund die Hälfte unserer Mitarbeiter und Unternehmen verloren. Besserung ist in der Baubranche ja erst in der jüngeren Vergangenheit eingetreten. Umso wichtiger ist es, dass sich die verbliebenen Unternehmen gesellschaftlich wieder stärker engagieren und vernetzen.

Müssen sich unsere Unternehmen generell besser vernetzen?
Vor allem kleine und mittlere Unternehmen (KMU) sollten sich besser vernetzten. Das hilft ihnen, besser gegen große Anbieter zu bestehen und die vorhandenen Kapazitäten den konjunkturellen Anforderungen entsprechend optimal auszulasten. Ich plädiere auch dafür, wieder verstärkt in Arbeitsgemeinschaften aufzutreten, die es, insbesondere im Hochbau, in den 80er- und 90er-Jahren sehr viel öfter gab als heute. Das hilft uns, größere Aufträge abzuwickeln. Das sind Ideen, die ich in die Verbandsdiskussion tragen möchte.

Kommen wir in der Konkurrenz zu Konzernen bei europaweiten Ausschreibungen größerer Infrastrukturprojekte auch im Zuge von Öffentlich-privaten Partnerschaften (ÖPP) mit Arbeitsgemeinschaften weiter?
Nein. Gegen Konzerne, die welt- oder europaweit bis zu 20.000 Mitarbeiter beschäftigen und die das Geschäft mit internationalen ÖPP-Projekten bis dato dominieren, kommen wir hier nicht weiter. Allerdings steht für mich auch fest: ÖPP wird nicht aufzuhalten sein – aber wir müssen dazu Alternativen bieten.

Und was können wir tun, damit hier auch der deutsche und niedersächsische Mittelstand zum Zuge kommt?
Die ausgeschriebenen Projekte müssen auf ein Maß verkleinert werden, das für den unternehmerischen Mittelstand in Deutschland darstellbar ist. Ein Autobahnprojekt sollte zum Beispiel, wie in der jüngsten Studie ermittelt, eine Streckenlänge von 20 Kilometern nicht überschreiten. Im Hochbau muss die Teillos-Vergabe weiterhin erste Priorität haben! Aus meiner Sicht ist hier die Politik in den vergangenen Wochen deutlich seitens unserer Organisation informiert worden – Ein Übersehen unserer Mahnungen wäre ignorant.

Warum?
Sie kann nicht einerseits uns mittelständische Unternehmen zum Beispiel für unsere prägende Rolle in der Ausbildung über den grünen Klee loben und unser Arbeitsfeld auf der anderen Seite ausländischen Konzernen überlassen. Die Politik kann uns auch nicht zumuten, nur noch als Subunternehmer zu arbeiten, denn damit fließt ein erheblicher Teil der Wertschöpfung ins Ausland. Wir reinvestieren ja einen bedeutenden Teil unserer Einnahmen in die Ausbildung und tragen wesentlich dazu bei, dass wir im Unterschied zu vielen anderen Ländern in Europa eine niedrige Jugendarbeitslosigkeit haben. Das ist ein wichtiger gesellschaftlicher Beitrag unserer Unternehmen.

Und was spricht aus Ihrer Sicht unter Recruiting-Aspekten für eine Ausbildung am Bau?
Die Praxisnähe sowie die Durchlässigkeit unserer dualen Ausbildung nach oben. Ich selbst habe eine Ausbildung als Maurer absolviert und danach zwei aufeinander aufbauende Ingenieursstudien. Als ich auf die Hochschule ging, hatte ich bereits Baupraxis. Das ist bis heute wichtig für meine Führungsaufgabe im Unternehmen – zum Beispiel bei der Leistungseinschätzung. Ich selbst habe einen Mitarbeiter im Unternehmen, der gerade ein duales Studium absolviert. Er hatte in den Ferien bei uns gejobbt, und ich habe ihn gefragt, ob er nicht bei uns anfangen möchte. Einer meiner Bauleiter hatte ursprünglich Landschaftsgärtner gelernt und danach Baubetriebswirtschaft studiert. Wir Mittelständler brauchen Hochschulabgänger mit praktischer Ausbildung. Auch die Hochschulen erkennen den Wert dieses Modells zunehmend.

Wie kommentieren Sie den im Mai 2016 verabredeten neuen Tarifabschluss im Baugewerbe? Helfen uns die hier verabredeten stufenweisen Erhöhungen, mehr Fachkräfte und Kandidaten für die Ausbildung zu finden?
Info zum neuen Tarifvertrag im Baugewerbe:
Die Löhne und Gehälter der rund 773.000 Beschäftigten steigen ...
in den alten Bundesländern am 1. Mai 2016 um 2,4 % und am 1. Mai 2017 um 2,2 % und in den neuen Bundesländern zu denselben Zeitpunkten um 2,9 % und 2,4 %.
Für die Auszubildenden wird die Ausbildungsvergütung nach den Ausbildungsjahren degressiv gestaffelt zum 1. Juni 2016 und 1. Juni 2017 erhöht.
Ab Januar 2017 werden Arbeitgeber auswärts eingesetzten Arbeitnehmern die Unterkünfte stellen. Sie erhalten anstelle der bisherigen Auslösung bei auswärtiger Übernachtung künftig einen Verpflegungszuschuss von 24 Euro je Arbeitstag.

Imageprobleme der Bauberufe resultieren aus den Jahren, in denen es uns wirtschaftlich nicht so gut ging wie heute. Inzwischen hat sich das Ansehen der Bauberufe wieder deutlich verbessert. Wir müssen das verstärkt direkt in die Schulen tragen, um junge Menschen für unsere Ausbildungen und Berufe zu interessieren. Wichtig sind hier auch Hinweise auf Möglichkeiten der Weiterentwicklung hinein in akademische Bereiche. Die Betriebe haben erkannt, dass sie hier mehr Kleinarbeit vor Ort leisten müssen. Ob die im Tarifvertrag vereinbarten 50 Euro mehr im ersten Lehrjahr wirklich einen Attraktivitätsschub für unsere Ausbildungsberufe bringen, bezweifle ich. Unsere Ausbildungsvergütung liegt ohnehin schon am oberen Ende. Die tarifliche Erhöhung ist in unserem Lager von 80 % gebilligt worden. Ich zähle dazu. Und da wir derzeit keine Inflation haben, haben die Mitarbeiter einen deutlichen Mehrwert. Dem Baugewerbe geht es zurzeit gut, eine geringere Erhöhung wäre ohne Unfrieden nicht darstellbar gewesen. Und den können wir aktuell am wenigsten gebrauchen!

Thema Brexit: Würden Sie als mittelständischer Bauunternehmer auch gern aus der Europäischen Union (EU) austreten?
Dazu ein klares Nein! Ich weiß, dass die Briten in Brüssel ihre Interessen auch bei Baunormungen sehr erfolgreich wahrgenommen haben. Ich hoffe, dass wir nach dem Brexit mit unserer deutschen Interessenlage mehr Einfluss gewinnen. Ansonsten ist der Brexit ein sehr trauriges Kapitel.

Aus vielen Unternehmen hört man, „es wäre besser, wenn uns Europa nicht überall hineinpfuschen würde“.
Die deutsche Normung und unser Baurecht hatten schon vor dem verstärkten Eingriff der EU ein sehr hohes Niveau. Wir müssen verhindern, dass diese Qualitäts- und Sozialstandards im Zuge einer europäischen Harmonisierung abgesenkt werden. Schlussendlich brauchen wir auch Zuwanderung. Wir praktizieren bei uns im Unternehmen erfolgreich Multikulti. Wir haben viele Deutsch-Russen. Das sind super Leute! Das gilt auch für die Polen. Als die Zuwanderung aus dem Osten einsetzte, gab es auch Skepsis bei manchen. Heute redet niemand mehr darüber.

Die neue Zuwanderungswelle hat einen stark steigenden Bedarf an Wohnraum zur Folge. Woher soll das Geld kommen?
Ohne eine massive steuerliche Förderung zum Beispiel über die diskutierte Sonder-AfA wird hier wenig Linderung zu erwarten sein. Wir brauchen private Investoren. Die Koalition hat sich leider über Obergrenzen zerstritten. Ich meine, die Sonder-AfA für den Wohnungsbau hätte ohne Wenn und Aber kommen müssen, damit sich die Wohnraum-Situation in den Ballungsgebieten entspannt. Die aktuellen Probleme sind auch ein Resultat der Tatsache, dass der Bund die Wohnungsbauförderung in den vergangenen Jahrzehnten immer weiter zusammengestrichen hat. Die Sonder-AfA wäre Teil einer wichtigen Kurskorrektur. Der Staat muss sich wieder stärker im Wohnungsbau engagieren.

Immer weitere Strecken müssen Bauunternehmen in Kauf nehmen, um ihren Schutt und Abraum loswerden zu können. Wie beurteilen Sie die Situation?
Es gibt heute die Möglichkeit, Boden mit leichten Belastungen zu immobilisieren und so wieder einbaufähig zu machen. Dies sollte über das Kreislaufwirtschaftsgesetz ermöglicht werden. Denn so vermeidet man unnötigen Deponietourismus, welcher der Umwelt stärker schadet.

Zweites Umweltthema „Blaue Plakette“ – Diesel ist der vorherrschende Treibstoff am Bau. Nun drohen via Plakette starke Einschränkungen in Innenstädten.
Natürlich werden neue Baumaschinen so konstruiert, dass sie den Vorgaben genügen. Doch gerade KMU im Baugewerbe können nicht von heute auf morgen und auch nicht in einer kurzen Übergangszeit ihren gesamten Maschinenpark tauschen! Sie sind damit benachteiligt gegenüber Baukonzernen, die das können. In Bremen haben wir bereits sehr scharfe Regelungen. Doch die Verantwortlichen müssen sich bewusst sein, dass dies den Großbetrieben in die Hände spielt. Man kann den Herstellern vorgeben, nur noch Geräte zu bauen, die diesen Vorgaben genügen. Doch KMU brauchen einen Vertrauensschutz für ihren vorhandenen Maschinenpark. Ich zum Beispiel nutze einen Bagger im Schnitt sieben Jahre. Doch es gibt auch Unternehmen, die nur mit Gebrauchtgeräten arbeiten, oder ihre Geräte aus Kostengründen länger einsetzen müssen.

Ein wichtiger Auftraggeber für Bauunternehmen ist die öffentliche Hand. Eine aktuelle Studie zeigt, dass Nordkommunen pro Kopf im Schnitt wesentlich weniger investieren als Südkommunen. Brauchen wir einen Solizuschlag für ganz Deutschland, der den Soli Ost ablöst? Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel hat das für die Zeit nach 2019 gefordert.
Ich kann Gabriels Vorschlag nicht im Detail bewerten. Richtig ist aber: Wir haben in den vergangenen beiden Jahrzehnten über den Aufbau Ost die Infrastruktur im Westen vergessen. Beim Straßenbau und der Sanierung öffentlicher Infrastruktur ist jetzt mal der Westen dran! Ein Streitthema in den vergangenen Monaten war das Gewährleistungsrecht. Eine Neuregelung, die Lieferanten in ihren Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) ausschließen können, ist nichts wert. Verschärft wird dieses Problem dadurch, dass Lieferanten nicht selten eine Monopolstellung haben und ein kleineres Bau- und Handwerksunternehmen bei ungünstigen Vertragsbedingungen oft gar keine Alternative hat. Diese Neuregelung produziert viel neue Bürokratie für die Betriebe. Diese haben eigentlich genug mit der Vorbereitung einer Baumaßnahme zu tun und müssen sich nicht noch zusätzlich mit dem Lesen komplizierter Zuliefererverträge befassen.

Eigentlich braucht man ja einen Rechtsanwalt, um diese AGBs zu interpretieren. Wie halten Sie es damit?
Ein Rechtsanwalt, um fortlaufend alle Fallstricke von Lieferanten-AGBs zu interpretieren: das ist in der Praxis gar nicht machbar! Manche Betriebe haben eine Kalkulationsabteilung, die sich mit solchen Themen befassen kann. Kleine Betriebe mit vielleicht 10 bis 20 Mitarbeitern haben nicht einmal das. 85 % der Betriebe in unserem Verband beschäftigen 20 Mitarbeiter oder weniger. Hier ist der Chef Kalkulator und Bauleiter in einem. Es liegt auf der Hand, dass solche Unternehmer weder Zeit noch den juristischen Background haben, alle Fallstricke im Kleingedruckten zu entdecken. Sie können es sich auch nicht leisten, permanent einen Rechtsanwalt zu beschäftigten. Hier steht aber unser Verband mit seiner Rechtsabteilung den Innungsbetrieben mit Rat und Tat zur Seite.

Sie engagieren sich als Unternehmer maßgeblich im Tiefbau. Was wäre denn, wenn Sie beispielsweise unwissentlich ein Rohr mit fehlerhafter Dichtung einbauen und später wegen der Folgen dieses Materialfehlers zur Rechenschaft gezogen werden?
Seit acht Jahren setzen wir uns wegen eines solchen Falles in einem Prozess mit einem großen Lieferanten auseinander. Gutachten, Gegengutachten und so weiter – große Baustofflieferanten und -konzerne wissen sich in Auseinandersetzungen mit zumeist kleineren ausführenden Unternehmen zu wehren. Wenn Lieferanten ihre Haftung für die Ein- und Ausbaukosten fehlerhaften Materials über AGBs ausschließen können und auf der anderen Seite das sehr weitgehende Anordnungsrecht von Bauherren schlucken müssen – was haben wir dann mit dem neuen Bauvertragsrecht gewonnen: gar nichts! Im Gegenteil! Das neue Gewährleistungsrecht gibt in der bisher bekannten Form den Firmen nicht mehr Sicherheit, und langjährige Rechtsstreitigkeiten können ein Unternehmen auch in die Insolvenz treiben. Vordergründig lobt unsere Politik stets unsere KMU als Garanten für Beschäftigung. Doch im neuen Bauvertrags- und Gewährleistungsrecht sind solchen Worten keine angemessenen Taten gefolgt.

  Quelle: www.bvn.de


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