DIHK / ABST SH:
Der DIHK hat am 08.04.2015 eine umfassende Stellungnahme zur Umsetzung des EU-Vergaberechts in deutsches Recht vorgelegt. An der Arbeitsgruppe des DIHK war auch die Auftragsberatungsstelle Schleswig-Holstein beteiligt. Die zentralen Kommentierungen sind:
• Anwenderfreundlichkeit und Rechtssicherheit sind zentrale Triebfedern für breite und durchgängige Akzeptanz
• Öffentliche Aufträge werden für KMU (wieder) attraktiver, wenn ein durchgängiges Bundesgesetz die Landesvergabegesetze „einfängt“
• Die zentralen Ziele der Wirtschaftlichkeit werden durch immer stärkere Berücksichtigung strategischer Ziele überlagert
• Ausgeweitete Nachweispflichten führen zu mehr Bürokratie ohne erkennbaren wirtschaftlichen Nutzen
• Mit dem bundesweiten Mindestlohngesetz erübrigen sich die verschiedenen Mindestlohngrenzen in den Tariftreue- und Vergabegesetzen der Länder.
• „Nichtoffene Verfahren“ und „Verhandlungsverfahren“ nur mit Teilnahmewettbewerb
• Öffentliche Aufträge nur an gesetzestreue Unternehmen – aber: Landesregelungen in Schleswig-Holstein und Hamburg keine „Blau-Pause“ für ein singuläres und prioritäres Bundesregister
Umsetzung des EU-Vergabepakets in deutsches Recht
Die Motivation der EU-Rechtsetzung zur Änderung der Vergaberichtlinien enthielt verschiedene, in sich widersprüchliche Aspekte, die in die konkreten Regelungen eingeflossen sind. So war ein Aspekt, die KMU-Freundlichkeit der Vorschriften zu verstärken. Gleichzeitig wurde aber die Berücksichtigung strategischer Ziele – früher: vergabefremde Aspekte – ausgeweitet und somit zusätzliche Nachweis- und Dokumentationspflichten, also Bürokratiemehraufwand, geschaffen.
Die Umsetzung in deutsches Recht kann diese Gegensätzlichkeit nicht auflösen, es sollte aber unbedingt vermieden werden, die Widersprüche noch zu verstärken. Insofern bewertet der DIHK die Eckpunkte des Bundeskabinetts vom 7.1.2015 zur Umsetzung des Vergabepaktes grundsätzlich positiv und kommentiert die Leitlinien wie folgt:
1. Struktur und Inhalt des deutschen Vergaberechts müssen einfach und anwenderfreundlich sein Das Vergaberecht ist in den letzten Jahren immer komplexer geworden. Materien wie Verteidigung und Sicherheit sind als Regelungsgebiet hinzugekommen. Solange kein durchgängiges Gesetz geschaffen wird, das das gesamte Vergaberecht beinhaltet, wird die Rechtszersplitterung zunehmen. Die Planung, nunmehr die Vergabeverordnung mit materiell-rechtlichen Regelungen u. a. zu VOL und VOF anzureichern und die Konzessionsrichtlinie in einer eigenen Verordnung zu regeln, dient nicht der Übersichtlichkeit der vergaberechtlichen Vorschriften und der Anwenderfreundlichkeit. Zudem sind Redundanzen bzw. leicht abweichende Regelungsformulierungen zu befürchten, die zu Rechtsunsicherheit führen. Anwenderfreundlichkeit und Rechtssicherheit sind aber wesentliche Triebfedern für eine breite und durchgängige Akzeptanz des Vergaberechts.
Die Schaffung eines Bundesvergabegesetzes wäre auch die Möglichkeit, die ausufernden Vorschriften der Landesvergabegesetze „einzufangen“ und so öffentliche Aufträge auch für KMU wieder attraktiver zu machen.
2. Eine wirtschaftliche Beschaffung wird durch Wettbewerb, Transparenz und Nichtdiskriminierung sichergestellt Diese drei zentralen Ziele der Vergaberegelungen werden leider durch eine immer stärkere Berücksichtigung strategischer Ziele überlagert. Zwar ist der Auftragsbezug als Anknüpfungspunkt weiterhin zu beachten, dafür wurden aber die gesamte Lieferkette und der durchgängige Produktionsprozess in die Berücksichtigung strategischer Ziele einbezogen. Damit werden die Nachweispflichten für die Unternehmen erheblich ausgeweitet, was zu mehr Bürokratie ohne erkennbaren wirtschaftlichen Nutzen führt.
Neben der Frage, wie Erklärungen über die Einhaltung strategischer Ziele aussehen müssen und wie öffentliche Auftraggeber entsprechende Kontrollen gewährleisten können, ist es in einer arbeitsteilig organisierten Wirtschaft dem einzelnen Bieter unmöglich, rechtssichere Erklärungen über die komplette Lieferkette und/oder den vollständigen Produktionsprozess z. B. seiner Vorlieferanten abzugeben. Es besteht damit die Gefahr, dass dasjenige Unternehmen den Zuschlag erhält, das bedenkenlos jede Erklärung abgibt. Die Erfahrungen mit der Umsetzung zahlreicher Landesvergabegesetze zeigen, dass der Punkt der objektiven Unmöglichkeit bei einigen Aspekten bereits erreicht ist.
3. Soziale, ökologische und innovative Aspekte sollen im Einklang mit dem Wirtschaftlichkeitsgrundsatz gestärkt werden a) Hier zeigt sich die Janusköpfigkeit der neuen Vergaberegeln aus Brüssel: Die Ausweitung der strategischen Ziele führt automatisch zu einer Verteuerung der Angebote, da Unternehmen diesen höheren Aufwand bei der Erstellung der Angebote „einpreisen“ müssen. Wegen der höheren Kosten nehmen immer mehr Unternehmen Abstand von der Beteiligung an öffentlichen Aufträgen, was dazu führt, dass weniger wirtschaftlich interessante Angebote bei den öffentlichen Auftraggebern eingereicht werden.
Entscheidend ist allerdings, wo diese Aspekte zum Tragen kommen sollen: • Sie können beim Zuschlag berücksichtigt werden, indem der entsprechende Bieter z. B. zusätzliche Punkte erhält. • Es kann sich um besondere Bedingungen für die konkrete Vertragsausführung handeln, so dass sie in dem eigentlichen Vertrag vorgesehen werden müssen. • Sie können als Eignungskriterien vorgesehen sein. Diese Alternative ist jedoch abzulehnen, da KMU besonders belastet werden, weil für sie der Nachweis wesentlich aufwändiger zu führen ist.
b) Momentan verlangt das GWB, dass ein öffentlicher Auftrag nur an gesetzestreue Unternehmen vergeben werden darf. Da hierzu nun auch die Einhaltung des Mindestlohngesetzes gehört, ist eine explizite Verpflichtung zur Einhaltung dieses Gesetzes nicht notwendig. Da der Bundesgesetzgeber mit dem Mindestlohngesetz eine bundesweit geltende Regelung geschaffen hat, erübrigen sich die Vorschriften dazu in den Landesvergabegesetzen. Daher ist es aus Sicht der Wirtschaft dringend erforderlich, die verschiedenen Mindestlohngrenzen in den Tariftreue- und Vergabegesetzen der Länder abzuschaffen.
c) In der Praxis wird in der weit überwiegenden Zahl der Vergabeverfahren das Wirtschaftlichkeitsprinzip auf das Kriterium des niedrigsten Preises verengt, obwohl die rechtliche Regelung ein anderes Vorgehen vorsieht. Zwar gibt es durchaus Fälle, in denen der Preis allein ausschlaggebend ist, diese sollten aber einschränkend z. B. in der Gesetzesbegründung aufgeführt werden (wie Verbrauchsmaterialien).
4. Kommunale Handlungsspielräume sollen erhalten bleiben Mit den Regelungen zur Inhouse-Vergabe und der interkommunalen Zusammenarbeit verfügen die öffentlichen Auftraggeber über ein breites Spektrum an Maßnahmen, um Beschaffungen dem Markt zu entziehen. Daher dürfen diese Vorschriften allenfalls 1:1 aus den Richtlinien umgesetzt werden.
5. Der bürokratische Aufwand für Auftraggeber und Auftragnehmer soll so gering wie möglich gehalten werden a) Eine Priorität des offenen Verfahrens – wie bisher – im deutschen Recht ist nicht mehr zwingend notwendig, denn das nichtoffene Verfahren setzt immer einen Teilnahmewettbewerb voraus. Dies käme den Bietern insofern entgegen, als sie weniger Aufwand für ein Angebot treiben müssen und sich die Chance auf den Auftrag erhöht.
Der erweiterte Anwendungsbereich für das Verhandlungsverfahren kann vor diesem Hintergrund nur akzeptiert werden, falls das Verfahren nach Teilnahmewettbewerb betroffen ist.
b) Wie bereits oben erwähnt erhöht sich der Aufwand für die Beteiligung eines Unternehmens an einem Vergabeverfahren insbesondere durch die strategischen Ziele. Öffentliche Auftraggeber beziehen sich häufig einfach auf Labels, ohne konkret anzugeben, welche Anforderungen sie von den Bietern verlangen. Eine inhaltliche Prüfung, ob das vorgegebene Label auch tatsächlich die vom Auftraggeber geforderten Eigenschaften abdeckt, findet häufig nicht statt. Daher muss der öffentliche Auftraggeber in den Vergabeunterlagen seine konkreten Anforderungen an den Ausschreibungsgegenstand bzgl. Nachhaltigkeit definieren, vgl. EuGH-Urteil (Rechtssache C-368/10) und BVerwG-Urteil (Az. 8 CN 1.12). Werden die Anforderungen von einem Label abgedeckt, so kann er dieses beispielhaft nennen.
Es gibt jedoch zurzeit keine sichere Übersicht der geeigneten Labels. Zudem besteht die Problematik der Vergleichbarkeit bei vermeintlich gleichwertigen, aber vom Auftraggeber nicht erwähnten Labels.
c) Die Diskussion über das öffentliche Auftragswesen findet immer noch ohne jegliche Kenntnis statistischer Angaben zur Anzahl von Vergabeverfahren und ihrer finanziellen Volumen statt. Das gilt für Unter- und Oberschwellenvergaben auf allen föderativen Ebenen. Hier muss dringend Abhilfe geschaffen werden. So wäre z. B. ein entsprechendes Tool bei den Vergabeplattformen denkbar, die in den Bundesländern und den Kommunen genutzt werden. Notwendig wären Angaben zu dem Veröffentlichungsmedium, dem Auftragswert und der Vergabeart. Ob hier die Vorschläge des Beschaffungsamts des Bundesinnenministeriums zugrunde gelegt werden können, sollte geprüft werden.
Der DIHK unterstützt das BMWi in seinen Bemühungen, gegenüber der EU-Kommission die Vergabepraxis in Deutschland mit vielen kleineren Aufträgen zu rechtfertigen. Denn dadurch bleibt das öffentliche Auftragswesen auch für KMU interessant.
6. Öffentliche Aufträge im Inland und im EU-Ausland sollen für deutsche Unternehmen gleichermaßen attraktiv werden. Europa- und bundesweit soll das Vergabeverfahren daher möglichst einheitlich sein a) Diese Leitlinie ist ein guter Ausgangspunkt für ein umfassendes Bundesvergabegesetz! Dann könnte auch endlich eine Regelung zu einem Rechtsschutz unterhalb der EU-Schwellenwerte aufgenommen werden. Die hierzu immer wieder geäußerte Befürchtung, dass dann öffentliche Investitionen gar nicht mehr realisiert werden könnten, wird durch die Statistiken zum Rechtsschutz unterhalb der EU-Schwellenwerte in Sachsen und Thüringen nicht bestätigt. Gleiches gilt für das Argument, dass die Vergabekammern dann personell weiter aufgestockt werden müssten.
b) Eine durchgängige Normierung hätte zudem den Vorteil, dass gleiche Sachverhalte auch gleich bezeichnet würden, so dass die unterschiedlichen Bezeichnungen der Vergabearten für den Ober- und den Unterschwellenbereich wegfielen. Dies macht auch vor dem Hintergrund einer durchgängigen elektronischen Vergabe Sinn, weil es erheblich aufwändiger ist, die geringen Unterschiede für die Vergabeverfahren unterhalb und oberhalb der EU-Schwellenwerte technisch abzubilden, als durchgängig die im Wesentlichen gleichlaufenden Verfahren technisch umzusetzen.
c) Die Landesvergabegesetze widersprechen den drei Kriterien des europäischen Primärrechts – Wettbewerb, Nichtdiskriminierung und Transparenz - und führen zu einer Verteuerung der Beschaffungen. Als Rechtsgrundlage für die umfangreichen Regelungen wird § 97 Abs. 4 GWB angesehen, der Freiräume allerdings nur in Bezug der auftragsbezogenen Eignungsvorgaben schafft. Es ist dringend erforderlich, dass der Bundesgesetzgeber diese Rechtsgrundlage wenn nicht abschafft, so doch klarstellt, wo die Grenzen der Landesgesetze liegen.
7. Kleine und mittlere Unternehmen dürfen im Wettbewerb um öffentliche Aufträge nicht benachteiligt werden a) Bei der Umsetzung der losweisen Vergabe sollte von der Vorgabe der 1:1-Umsetzung insofern abgesehen werden, als die deutsche Formulierung zur Losvergabe beibehalten werden soll. Sie hat sich bewährt und ist durch das Gutachten des BMWi dazu und dem daraus resultierenden Berechnungstool praxisnah ausgefüllt worden. Die Formelberechnung sollte und müsste durch eine finanzielle Unterstützung des BMWi auf weitere Branchen ausgedehnt werden.
Art. 46 Abs. 2 S. 1 2014/24/EU sollte in deutsches Recht übernommen werden.
b) Um innovative Lösungen anbieten zu können, sollten Newcomer an öffentlichen Aufträgen ungehinderter teilnehmen können. Mit der Anforderung an den Nachweis von Umsätzen aus vergangenen Geschäftsjahren werden sie aber grundsätzlich ausgeschlossen. Hier wird einmal auf die Rechtsprechung verwiesen, wonach für den Mindestumsatz maximal das Zweifache des Auftragswerts als Angaben zulässig ist. Darüber hinaus muss aber auch eine Ausnahme für Newcomer vorgesehen werden.
8. Ein weitgehend digitalisierter Beschaffungsprozess wird angestrebt a) Die maximale Einführungsfrist sollte ausgeschöpft werden. Dringend notwendig sind die zügige Weiterarbeit am X-Vergabe-Standard und die begleitende Transparenz wegen der kurzen Umsetzungsfristen. Der IT-Planungsrat muss durch entsprechende Beschlussfassung diesen Standard verbindlich machen, damit es keinen Wildwuchs bei den Anbietern von Vergabeplattformen gibt.
Alle E-Vergabeplattformen sollten zumindest die Bekanntmachungen automatisch in www.bund.de veröffentlichen.
b) Der DIHK unterstützt die Verknüpfung von eCertis und der EEE sowie mit den Präqualifizierungsverfahren. So kann für die bietenden Unternehmen der Aufwand für die Beibringung der Eignungsnachweise erheblich reduziert werden.
c) Parallel zum Vergabepaket hat die EU-Kommission auch die Richtlinie zur elektronischen Rechnung im öffentlichen Auftragswesen in Kraft gesetzt (2014/55/EU). Unabhängig davon, wann der für die Anwendung notwendige technische Standard verfügbar ist, sollte die Umsetzung in deutsches Recht mit der Umsetzung des EU-Vergabepakets einhergehen.
9. Wirtschaftsdelikten muss wirksam entgegengewirkt werden Nur geeignete Unternehmen, auch im Sinne von „gesetzestreu“, dürfen öffentliche Aufträge ausführen. Gleichwohl darf es eine generelle Unterstellung der „Gesetzesuntreue“ nicht geben. Vor diesem Hintergrund sind die entsprechenden Regelungen in Hamburg und Schleswig-Holstein nicht als „Blau-Pause“ geeignet – zumal es erhebliche Zweifel an ihrer Verfassungsmäßigkeit gibt.
Der DIHK hat ins seinem Positionspapier dazu umfangreiche Ausführungen gemacht.
Nach einem bundesweiten Register müssen die Landesregister abgeschafft werden.
10. Die EU-Richtlinien werden „eins zu eins“ in das deutsche Recht umgesetzt Die Regelung zur Ausübung von Dienstleistungen im Rahmen des Katastrophenschutzes, die einseitig gemeinnützige Einrichtungen bevorzugt, darf nicht zulasten privater Anbieter von Rettungsdiensten bzw. Krankentransporten gehen.
Eine klare Definition der sozialen Dienstleistungen ist dringend erforderlich, um hier so weit wie möglich den Markt zu eröffnen, der auch bei vielen sozialen Dienstleistungen – grenzüberschreitend – vorhanden ist.
Ansprechpartnerin: Annette Karstedt-Meierrieks, Tel.: 030 / 203 08 27 06 E-Mail: karstedt-meierrieks.annette@dihk.de
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