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Die Baubranche ohne Bauarbeiter ist keine Wirtschaft

13.06.2022

Ja, die Ukrainekrise und die steigenden Rohstoffpreise sind aktuell die größten Probleme der Baubranche. Aber der Fachkräftemangel, der bereits seit langem als großes Problem angesehen wird, hat sich dadurch keinesfalls verringert.


Für die geplante Wohnungsbauoffensive der Bundesregierung und die energetische Sanierung, die ebenfalls damit einhergeht, braucht es nicht nur alle aktuellen, sondern auch zusätzliche Arbeitskräfte. Allerdings sind diese auf dem Bau schon lange Mangelware.


Mit riesigen Erwartungen an die Baubranche startete dieses Jahr bereits. 400.000 neue Wohnungen jährlich, eine Dämpfung des Mietpreisanstiegs und die Klimaziele, die nur durch Sanierung der aktuellen Gebäudebestände zu erreichen ist. Axel Gedaschko, Präsident des Spitzenverbands der Wohnungswirtschaft (GdW), zeigt sich besorgt über den Stand der Fachkräfte im Bau. „Die Generation der Babyboomer geht in Rente, allein diese Lücke gilt es erst einmal auszufüllen. Vom Aufbau neuer, zusätzlicher Kapazitäten zu träumen ist deshalb aus heutiger Sicht weltfremd.“, sagt er.


Akuter Fachkräftemangel in vielen Bereichen der Baubranche


In der Bau- und Ausbaubranche herrscht schon heute akuter Fachkräftemangel. Allein im Berufsfeld Sanitär, Heizung und Klimatechnik sind im Moment nur 18 Prozent der freien Stellen besetzt. Die entsprechenden Berufsverbände warnten kürzlich in einem gemeinsamen Aufruf mit der IG Metall, dass schon heute 190.000 Elektroinstallateure, Sanitärtechniker, Metallbauer oder Schreiner fehlen. Allerdings setzen momentan auch der Ukrainekrieg, Lieferengpässe und der starke Preisauftrieb der Branche zu. Die Bauunternehmen, die regelmäßig für ein Beschäftigungsbarometer von dem ifo-Institut befragt werden, waren deshalb zuletzt bei Neueinstellungen eher zurückhaltend.


Kurzarbeit und Projektabsagen trotz Fachkräftemangel


Ifo-Experte Klaus Wohlrabe berichtet von einer Vielzahl von Stornierungen in der Baubranche. Zusammen mit den Lieferengpässen bei den Baustoffen lasse das die Unternehmen bei der Personalplanung vorsichtiger werden. „Paradoxerweise gibt es aber weiterhin einen großen Fachkräftemangel“, so Wohlrabe. Rund 38 Prozent der befragten Firmen klagten über entsprechende Probleme.


Das Dilemma kennt auch GdW-Chef Gedaschko. Es gebe Gewerke, in denen bereits sehr viele Fachkräfte fehlten – etwa in der technischen Gebäudeausstattung, für Wärmepumpen und in der Photovoltaik. „Auf der anderen Seite kommt es durch die Absage von Neubau- und Modernisierungsprojekten aufgrund der aktuell sehr schlechten Baubedingungen zunehmend zu Kurzarbeit“, erklärt er das Problem.
Der hessische Bauunternehmer Thomas Reimann von der Alea Hoch- und Industriebau AG fürchtet währenddessen, dass diese Maßnahme schon bald nicht mehr ausreichen könnte. Er sieht schwierige Monate oder sogar Jahre auf den Bau zukommen. So erzählt er bereits von zahlreichen, kürzlich bei ihm eingegangenen Bewerbungen hochqualifizierter Facharbeiter, deren bisherige Unternehmen Kapazitäten abbauen oder ganz schließen.


„Dauerbaustelle Fachkräftemangel“ vermeiden


Bislang seien überwiegend Projektentwickler und Bauunternehmer betroffen, Reimann befürchtet aber, dass auch die Ausbaugewerke in eine Krise rutschen könnten. Fensterbauer, Elektrotechniker oder Installateure seien zwar im Moment noch schwer zu bekommen, innerhalb des nächsten Jahres sei die Wahrscheinlichkeit aber hoch, dass auch von ihnen viele nach Arbeit rufen werden. Er fordert daher einen dringenden Abbau bürokratischer Hürden: kurze Wege, schnelle Genehmigungen und deutlich weniger Vorschriften. „Die Politik muss das nun endlich angehen, sonst müssen wir über ausreichend Wohnraum in den nächsten Jahren nicht mehr reden.“


In der Politik geht man derzeit eher von einem längerfristigen Personalproblem als von Überfluss aus. Beim Tag der Bauindustrie warnte die Staatssekretärin im Arbeitsministerium, Leonie Gebers (SPD), kürzlich vor einer „Dauerbaustelle“ des Fachkräftemangels im Bau. Das dürfe nicht passieren. Sie rief die Unternehmen auf, Praktikumsplätze anzubieten, in den Schulen und den sozialen Medien über Bauberufe zu werbe und Allianzen mit Kammern oder Arbeitsagenturen zu schmieden.


Möglichkeiten dem Fachkräftemangel zu begegnen


GdW-Chef Gedaschko betont, dass neben dem Versuch, Arbeitskräfte aus dem Ausland zu gewinnen, auch Anstrengungen unternommen werden müssten, mit weniger Personal auszukommen – durch Automatisierung, Robotik und einen großflächigeren Einsatz von industriell gefertigten Bauelementen.


Auch IW-Ökonom Voigtländer fordert, schnellstmöglich die Bauordnungen zu überprüfen und zu vereinfachen, um Potenziale für günstigeres und serielles Bauen zu schaffen. „Damit könnte dann auch mit weniger Personal gebaut werden“, erklärt er.


Was die Anwerbung von Fachkräften aus dem Ausland angeht, hat sich für die Baubranche vor allem die Westbalkanregelung ausgezahlt. Diese war auf dem Höhepunkt der Flüchtlingsmigration nach Deutschland in Kraft getreten und diente ursprünglich dem Ziel, das Asylverfahren zu entlasten. Seither haben Bürger aus Albanien, Bosnien-Herzegowina, dem Kosovo, der Republik Nordmazedonien, Montenegro und Serbien Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt, wenn sie ein konkretes Jobangebot vorweisen können. Eine vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) im Auftrag des Arbeitsministeriums vorgenommene Evaluation der Regelung zeigt, dass mit 44 Prozent ein Großteil der so eingereisten Arbeitskräfte für die Baubranche tätig war.


Wegen der großen Nachfrage hatte die Regierung die ursprünglich bis Ende 2020 befristete Regelung bereits um drei Jahre verlängert. Das Arbeitsministerium kündigte an, das Instrument in dieser Wahlperiode zu entfristen.


Bessere Arbeitsbedingungen im Bau


Als „beste Werbung für einen Job in der Baubranche“ sieht Staatssekretärin Gebers allerdings gute Arbeitsbedingungen – also Arbeitsschutz und eine angemessene Entlohnung. Tatsächlich werden in der Baubranche die Jobs viel häufiger gewechselt als in der Gesamtwirtschaft insgesamt. Im Hoch- und Tiefbau etwa beträgt die jährliche Fluktuationsquote nahezu 50 Prozent. Die Ursachen sind dabei meist gesundheitliche Gründe oder ein als zu niedrig empfundenes Gehalt. So hatten sich die Bau-Arbeitgeber und die Gewerkschaft IG Bau jüngst erst in einem langen Tarifkonflikt über einen Branchenmindestlohn befunden, der erst nach einer Schlichtung beendet wurde.

  Quelle: www.handelsblatt.com


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