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Die Bedeutung von Teilqualifikationen für die Baubranche

20.06.2022

So kann die Branche dem Fachkräftemangel begegnen

In Deutschland wird bei der Berufsausbildung eine abgeschlossene Lehre oft als Königsweg in den Arbeitsmarkt angesehen. Eine neue Studie zeigt nun aber, dass sehr viele Firmen sich bei der Suche nach Fachkräften auch schon mit einem Teil der Qualifikationen zufriedengeben, die normalerweise zu einem Berufsbild gehören.

Eine Studie im Auftrag der Bertelsmann Stiftung wertete 860.000 Online-Stellenanzeigen der Bauwirtschaft und der Gastronomiebranche mithilfe eines Algorithmus automatisch aus. Sie ergab, dass in mehr als zwei Dritteln der Jobanzeigen zwar mehrere Teilqualifikationen gefragt sind – aber kein volles Berufsprofil. Andersherum erwarteten Betriebe bei „Hilfskräften“ mehr Kompetenzen als der Begriff „ungelernt“ vermuten lasse.

So fragten etwa Betriebe auf der Suche nach Fachkräften im Straßen- und Asphaltbau in vier von fünf Fällen nicht nach einer vollständigen Ausbildung, sondern gaben sich im Schnitt mit knapp vier von sechs Teilqualifikationen zufrieden. Besonders gefragt waren vor allem Arbeiter, die Straßen instand setzen können.

Die Daten zeigen, dass die Offenheit der Wirtschaft für Ungelernte offenbar tatsächlich ernst zu nehmen ist. Schon 2020 hatten in einer repräsentativen Umfrage vier von fünf Unternehmen angegeben, dass sie bereit seien, Menschen ohne Abschluss einzustellen, die aber Kompetenzen in einer oder mehreren Teilqualifikationen nachweisen können.

Martin Noack erklärt die Ergebnisse

„Die Studie zeigt, dass auf dem Arbeitsmarkt die traditionelle Zweiteilung in ausgelernte Fachkräfte und ungelernte Hilfskräfte keine Gültigkeit mehr hat“, sagte Martin Noack, Weiterbildungsexperte der Bertelsmann Stiftung.

Die Arbeitsteilung in der Wirtschaft und die Spezialisierung der Betriebe hätten dazu geführt, dass immer häufiger Kompetenzprofile zwischen den beiden Extremen „voll ausgebildet“ und „ungelernt“ gefragt seien. Es brauche daher einen flexiblen Weg, damit Menschen ihre im Job durch Erfahrungen erworbenen Kompetenzen nachweisen könnten, so Noack.

Angesichts des Fachkräftemangels und der zusätzlichen Umstrukturierung des Arbeitsmarktes könnten diese Ergebnisse neuen Schwung in die Debatte um die defizitäre berufliche Weiterbildung in Deutschland bringen und den Streit um Teilqualifikationen vielleicht sogar beenden.

Künftig Arbeiten ohne Abschluss?

Dabei bieten auch Fachkräfte ohne Abschluss ein enormes Potenzial. Seit 2014 ist die Zahl der Menschen ohne Berufsabschluss zwischen 20 und 34 Jahren von 230.000 auf 2,16 Millionen gestiegen. Experten sprechen schon lange von einem kommenden Neustart in der Weiterbildung. Beispielsweise verfügt unser Nachbarland Dänemark schon sein einiger Zeit über ein landesweites modulares Weiterbildungssystem.

Arbeitgeber in Deutschland hatten in den vergangenen Jahrzehnten auch immer wieder versucht, die Berufsausbildung in Module aufzuspalten. Es blieb jedoch meist bei Modellprojekten. Bayern und Baden-Württemberg sind die einzigen Bundesländer, in denen diese Bewegung schon etwas weiter vorangeschritten ist.

Auch die Bundesagentur für Arbeit hat inzwischen Teilqualifikationen festgelegt und fördert auch den Erwerb durch Unqualifizierte. Vor allem die Gewerkschaften halten allerdings immer noch an einer ganzheitlichen Ausbildung fest – auch aus Angst vor der Entstehung neuer Billiglohngruppen. Die Auswertung der besagten Studie hat aber nun gezeigt, dass teilqualifizierte Arbeitskräfte vielleicht die gefragtesten in der Branche sind.

In Zukunft könnte eine automatisierte Auswertung der Stellenanzeigen auch den Jobzentren und sonstigen Beratern das Leben erleichtern, so die Experten. Denn erstmals sei es so möglich, den Bedarf der Betriebe bis in die Teilqualifikationen hinein möglichst genau abzuschätzen und das sowohl qualitativ als auch quantitativ.

  Quelle: www.handelsblatt.com


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