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Die Industrialisierung schwimmender Windturbinen ist der Schlüssel zu ihrem Erfolg

29.07.2021

von Eize de Vries

Die WindEnergy Hamburg 2022 im kommenden Jahr wird auch neueste Fortschritte im Bereich der schwimmenden Windkraftanlagen präsentieren – radikale Neuerungen neben inkrementellen Entwicklungen, Hardware neben Software und ein sich rapide entfaltendes Supply-Chain- und Service-Netzwerk.

Schwimmende Windturbinen sind im Vergleich zu auf dem Meeresboden aufsitzenden Anlagen nach wie vor ein relativ kleines Segment des Offshore-Bereichs. Aber das Segment, die Turbinengrößen und die Projektumfänge wachsen, und die Technologie reift zusehends. Besonders hoch sind die Erwartungen hinsichtlich der Chancen des Produktmarkts in Ländern und Regionen, deren Küstengewässer tiefer als 50 - 60 m sind. Bei manchen schwimmenden Plattformen sinkt die anvisierte Einsatztiefe sogar auf 40 m und darunter. Schwimmende Windturbinen könnten sich also als ernst zu nehmende, direkte Konkurrenz zu fest installierten Lösungen etablieren.

Systeme
Inzwischen gibt es schwimmende Plattformen mit einer oder mehreren Windturbinen als Luv- oder Lee-Läufer, und jede Ausführung stellt andere Anforderungen an die Schwimmplattform. Zu den technischen Herausforderungen, an denen derzeit gearbeitet wird, gehören Einzelpunkt- und Mehrpunkt-Verankerungssysteme, Spezialanker, -seile und -ketten sowie flexible Stromübertragungskabel. Eine besondere Herausforderung und ein zentrales Ziel ist dabei die Senkung der Stromgestehungskosten, die die Branche durch die industrielle Serienfertigung schwimmender Turbinen erreichen will. Ein Beispiel eines industrialisierten Schwimmplattform-Konzepts ist die TetraSpar von Henrik Stiesdal, eine leichte Dreibein-Konstruktion aus in Dreiecken angeordneten Stahlrohren, die überwiegend aus der Standardproduktion kommen. Der vor kurzem fertig gestellte Prototyp, ausgestattet mit einer direkt angetriebenen 3,6-MW-Turbine von Siemens Gamesa, wird demnächst in 200 m tiefem Wasser vor der norwegischen Küste in den Testbetrieb gehen.

Die Abteilung für Windenergie an der dänischen DTU hat beträchtliches Know-how in der Konstruktion und Beurteilung schwimmender Plattformen aufgebaut, meint der Leiter des Fachbereichs für Windturbinen-Design Kenneth Thomsen: „Wir haben fast alle derzeitigen Schwimmplattform-Konzepte, von Hywind bis zur TetraSpar und zu selbst ausrichtenden Lee-Läufern, mit unserem Simulationstool HAWC2 untersucht.

Die Dynamik ist bei allen Schwimmplattform-Turbinen-Kombinationen ein Wechselspiel zwischen der Rotorlast, den Wellenkräften und der Steuerung – unter den jeweiligen standortspezifischen Bedingungen. Die Dämpfung hat dabei eine Schlüsselfunktion; um sie genau abzustimmen, benötigt man nach wie vor Modelltests.“

Er berichtet von fünf Modelltest-Projekten, die die DTU in Zusammenarbeit mit der DHI mit einem Modell der hochschuleigenen 10-MW-Referenzturbine im Maßstab 1:60 in Kombination mit verschiedenen Schwimmplattformen durchgeführt hat. Bei diesen Tests konnten die Forscher wertvolle Erkenntnisse zur Modellkalibrierung für zukünftige Konstruktionsstudien gewinnen.

„Schwimmende Windturbinen bilden heute die Speerspitze der Entwicklung der Offshore-Windenergie. Unsere Simulationssoftware-Suite, heute der Branchenstandard, wurde speziell für die präzise Konstruktion von Schwimmanlagen-Konfigurationen entwickelt und wird seit 15 Jahren in Demonstrationsprojekten eingesetzt. Die WindEnergy Hamburg 2022 bietet der Windenergie-Abteilung der DTU eine wichtige Präsentationsplattform für unser Know-how, unsere Testeinrichtungen und kommerzielle Lösungen“, so Thomsen.

Demonstrationsprojekte
Zwei große Hersteller, Siemens Gamesa und Vestas, haben bislang den größten Teil der Windturbinen für Demonstrationsprototypen und das erste halbkommerzielle Offshore-Windprojekt mit schwimmenden Plattformen geliefert. Dabei wuchsen die Turbinengrößen von anfänglich kleinen Einzelanlagen mit Nennleistungen von 2 bis 2,3 MW auf die heutigen halbkommerziellen Schwimmpark-Projekte mit drei bis fünf Windturbinen in Größen von je 6 bis 10 MW an. Vollkommerzielle Projekte mit noch größeren Turbinen sind der nächste Schritt, den die Branche nun ins Auge fasst.

Siemens Gamesa debütierte 2009 im schwimmenden Segment mit dem Demonstrationsprojekt Hywind vor der norwegischen Küste. Die Anlage besteht aus einer Spar-Plattform und einer 2,3-MW-Windturbine des Typs SWT-2.3-82 VS mit variabler Drehzahl. Das zweite Projekt dieser Art, Hywind Scotland, folgte im Jahr 2017 mit einem Schwimmpark aus fünf 6-MW-Direktantriebsturbinen der Reihe SWT-6.0-154, ebenfalls auf Spar-Schwimmplattformen. Dazu kommen zwei weitere Projekte aus insgesamt 14 Turbinen des Typs SG 8.0-167, nämlich Hywind Tampen (11 Windturbinen) vor Norwegen und ein drei Turbinen umfassendes Projekt vor der französischen Küste.

Jesper Möller, Leiter Offshore BoP (Balance of Plant), meint dazu, die übergeordnete Strategie seines Unternehmens bestehe darin, für schwimmende Windkraftanlagen bewährte Turbinentechnik einzusetzen und lediglich die Steuerungssoftware an die Anforderungen schwimmender Plattformen anzupassen: „Kurz- und mittelfristig wird der Markt für schwimmende Windenergieanlagen ein begrenztes Volumen haben. Unser Produktmarkt-Fokus liegt weiterhin auf der Steigerung der Turbinengrößen für die Massenfertigung. Es ist noch immer schwierig, die Zukunft und das Entwicklungstempo vorherzusagen. Unsere Maxime lautet: Wir geben uns keinen Wunschträumen hin und behalten die praktische Tatsache im Auge, dass kleine und große Projekte den gleichen Zeitaufwand mit sich bringen. Unterdessen versuchen wir, möglichst viele Turbinen für schwimmende Anlagen zu verkaufen und unsere führende Position bei diesen Entwicklungen beizubehalten, wobei wir auf unsere bestehende Angebotspalette setzen.“

Produktionstempo
Möller fügt hinzu, ein essenziell wichtiger Aspekt bei schwimmenden Plattformen sei die Industrialisierung dieses Anlagentypus im Tempo der Turbinenproduktion. Siemens Gamesa unterstützt die Inhaber von Konzepten für schwimmende Anlagen darin, sich mit dem Industrialisierungsprozess vertraut zu machen. Ein weiteres wichtiges Thema, so Möller, ist der für schwimmende Anlagen noch akzeptable technische Komplexitätsgrad im Hinblick auf Reparaturen bzw. den Austausch wichtiger Komponenten als integralem Bestandteil des Betriebslebenszyklus. Er erwähnt drei miteinander verbundene Lösungsansätze und Strategien:

„Erstens ist hier die Entwicklung spezieller Ausrüstung zu nennen, mit der man Reparaturen am Standort durchführen kann; der zweite Aspekt ist die Entwicklung spezieller 3D-kompensierter Schwimmkrane für komplexere Instandsetzungsarbeiten; und der dritte die Möglichkeit, defekte Anlagen zu einem Komplettaustausch zur Küste zu schleppen. Mit dem Gesetz Murphys muss man immer rechnen. Ein kritischer Fall wäre es beispielsweise, wenn sich eine defekte Windturbine an einer besonders ungünstigen Stelle innerhalb eines Windparks befindet bzw. wenn innerhalb von Windparks Probleme mit der Vertäuung bzw. Verankerung auftreten. In einem solchen Fall müssten unter Umständen mehrere Windturbinen abgeschaltet werden, um eine einzige reparieren zu können.“

Möller geht davon aus, dass es innerhalb der nächsten 8-10 Jahre auch schwimmende Sammelstationen für Windstrom geben wird, die für eine Einspeisungsspannung von 132 kV statt des bisherigen Quasi-Standards von 66 kV für die Verbindungen zwischen den einzelnen Windturbinen eines Windparks ausgelegt sind. Im Idealfall sollten die Verbindungskabel aus kurzen, hochflexiblen, aber kostenintensiven Abschnitten an kritischen Stellen und starren, kostengünstigeren Kabeln für größten Teil der Verbindungen bestehen. „Es ist noch viel Arbeit zu tun, und wir müssen ständig nach noch intelligenteren Lösungen suchen. Dies könnte längerfristig beispielsweise dazu führen, dass Siemens Gamesa hybride Windturbinenlösungen für schwimmende Anlagen entwickelt. Kurz- und mittelfristig gibt es noch keine dedizierten Windturbinen für schwimmende Anlagen. Was jedoch vielversprechend für die Zukunft schwimmender Windkraftanlagen ist: Kombinationen aus immer größeren Windturbinen und entsprechend größeren Plattformen lassen sich gut skalieren. Im Zusammenhang mit der zunehmenden Industrialisierung wird dies eine Schlüsselrolle bei der Senkung der Investitionskosten und der Stromgestehungskosten schwimmender Turbinen spielen“, so Möller.

Unterschiedliche Konstruktionen
Vestas stieg Ende 2011 mit einem Aggregat des Typs V80-2.0 MW für den Halbtaucher-Plattformprototypen WindFloat von Principle Power in den Markt für schwimmende Windturbinen ein. Installiert wurde die Anlage vor dem portugiesischen Ort Aguçadoura. Die V164-8.0 MW hatte vergangenes Jahr ihr Debüt mit drei Exemplaren für WindFloat Atlantic in Portugal. 14 weitere V164-Turbinen mit unterschiedlichen Schwimmplattformen sind für vier unterschiedliche Projekte geplant, die zwischen diesem Jahr (fünf Anlagen) und 2023 realisiert werden sollen.

Pablo Necochea ist leitender Ingenieur für schwimmende Windturbinen bei Vestas. Er erklärt, dass bei schwimmenden Anlagen mit 10,0-MW-Windturbinen des Typs V164-9.5 sowohl der Turm als auch die Steuerung modifiziert werden, während die Gondel und der Rotor unverändert übernommen werden: „Ein entscheidender Aspekt unseres Engagements besteht darin, die einzelnen Konstrukteure von Schwimmplattformen bei der Optimierung ihrer Konstruktion zu unterstützen, sodass optimal abgestimmte Lösungen aus Windturbinen und schwimmender Basis entstehen. Die wichtigste Anpassung des Turms besteht in einer Erhöhung der Wandstärke. Die zusätzliche Masse schafft zusätzliche Freiheit und Flexibilität beim Design der Schwimmplattform, insbesondere in Bezug auf verbessertes Verhalten im Betrieb und die Reduzierung von Masse und Kosten. Bei den Modifizierungen der Steuerung geht es um die Optimierung des dynamischen Systemverhaltens und die Einbeziehung aktiver Schwimmlösungen.“

Es sei ein häufiger Irrtum, Konzepte mit reduzierter Beweglichkeit als überlegen zu betrachten. Vielmehr ermöglichten größere Neigungsradien insgesamt leichtere und kostengünstigere Lösungen. Dabei komme es auf die Kooperation zwischen dem Windturbinen-OEM, dem Konstrukteur der Schwimmplattform und dem Bauherrn als Geldgeber an.

Die Investitionskosten (CAPEX) schwimmender Windturbinen seien der größte Einzelposten der Gesamtsystemkosten, so Necochea. „Der entscheidende Faktor ist die zielstrebige Industrialisierung schwimmender Konstruktionen mit dem Ziel, das Marktvolumen zu steigern und die Kosten massiv zu senken. Die Schiffbauindustrie und andere Branchen besitzen bereits umfangreiches Know-how in der serienmäßigen Herstellung großer Stahlkonstruktionen. Andererseits spielt auch Beton eine Rolle, etwa in Märkten, wo eine lokale Fertigung vorgeschrieben ist. Die derzeitige Bevorzugung der Turbinenserie V164 gegenüber dem neueren Schwestermodell V174-9.5 MW ist mit den positiven Erfahrungen zu erklären, die man mit dem älteren Typ im Offshore-Bereich gesammelt hat, also mit der Bekanntheit des Modells; abgesehen davon spielt auch die lange Vorlaufzeit bei heutigen schwimmenden Windturbinenprojekten eine Rolle“, schließt Necochea.

Groß... und noch größer
Auf der anderen Seite des Atlantik entwickelt unterdessen General Electric (GE) eine 12-MW-Lösung, bei der die Haliade-X-Windturbinenfamilie von GE mit Nennleistungen zwischen 12 und 14 MW mit der Tension-Leg-Schwimmplattform PelaStar des US-Partners Glosten kombiniert wird.

Wiederum eine andere Entwicklungsperspektive, die an eine nahezu ein Jahrhundert alte Multirotor-Idee anknüpft, nimmt derzeit in China Gestalt an, wo der 15-MW-Prototyp „Nezzy2“ des norddeutschen Ingenieurunternehmens Aerodyn Engineering gebaut wird. Das ungewöhnliche Design besteht aus zwei nahe beieinander angeordneten, in Gegenrichtung rotierenden 7,5+-MW-Downwind-Turbinen mit jeweils einem Durchmesser von mindestens 160 Metern. Weitere interessante Neuerungen sind das Einpunkt-Verankerungssystem der Plattform, der Wegfall des Windrichtungsnachführungsystems und der ungewöhnliche Y-förmige, hohle Schwimmkörper aus Beton. 

  Quelle: www.windenergyhamburg.com


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