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Digitale Stadtführungen für Gehörlose

10.10.2012

Eine neue App übersetzt Audioguides auch in Gebärdensprache

Von Luise Poschmann

Potsdam (dapd-bln). Die historischen Bauten in der Potsdamer Innenstadt haben viele Geschichten zu erzählen. Warum auch dort ein Brandenburger Tor steht und wer Schloss Sanssouci errichtete, erfahren Touristen und interessierte Einheimische oft durch eine individuelle Stadtführung mit Audioguides. Eine Stimme vom Band liefert den Besuchern alle nötigen Informationen. Für Gehörlose bleiben die Sehenswürdigkeiten jedoch stumm. Um das zu ändern, hat das Start-up-Unternehmen Yopegu eine Applikation für das iPhone entwickelt, die die Rundgänge auch in Gebärdensprache übersetzt. Nach einem erfolgreichen Start in Potsdam soll das Angebot nun auch auf Berlin ausgeweitet werden. "Die Bedürfnisse der Gehörlosen werden oftmals vergessen, weil es keine offensichtliche Behinderung ist", sagt Nadine Lehmann, die bei Yopegu für die Barrierefreiheit zuständig ist. Beim Arzt oder Amtsbesuch werde den tauben Menschen ein Dolmetscher gestellt. "Aber vom kulturellen Leben sind sie oft ausgeschlossen."

Die Muttersprache der Gehörlosen ist die Gebärdensprache

Die 29-Jährige kennt die Situation, wenn für jede Stadtführung ein teurer Übersetzer selbst gebucht werden muss. Ihre Eltern sind taub, sie selbst arbeitet als Gebärdendolmetscherin. Oft werde den Gehörlosen statt eines Audioguides ein Informationsblatt in die Hand gedrückt, erzählt Lehmann. "Doch die eigentliche Muttersprache der Gehörlosen ist die Gebärdensprache", betont sie. Die Grammatik unterscheide sich wesentlich von den grammatischen Regeln der Schriftsprache.

Enger Partner des Projekts ist Joachim Lange, der Vorsitzende des Kreisverbandes der Gehörlosen in Potsdam. Er selbst ist taub und hat die App mit Mitgliedern aus dem Verband getestet. "Es gibt noch viel Nachholbedarf in der Stadt Potsdam", sagt Lange. Doch durch die in die App sei es Gehörlosen nun zumindest möglich, sich ungehindert in der Stadt zu bewegen ohne ortskundige nach interessanten Gebäuden fragen zu müssen - was aufgrund der Sprachbarriere ohnehin schwierig sei, erläutert Lange. Für Menschen mit einer Hörbehinderung stelle das Programm "eine sehr große Erleichterung" dar.Wer ein iPhone besitzt, kann sich das Programm innerhalb kürzester Zeit kostenlos aus dem Internet laden. Die App stellt derzeit sechs teils kostenpflichtige Audioguides zur Verfügung, etwa gleich viele sind in der Produktion. Für die App haben die Entwickler verschiedene Touren in Potsdam gesammelt, digitalisiert und übersetzt. Den Gehörlosen steht unter anderem eine Führung durch den Tropengarten Biosphäre sowie ein Spaziergang entlang der sogenannten Stolpersteine zur Verfügung, die an die Opfer des Nationalsozialismus erinnern. Vor Ort können die Führungen für zwei bis drei Euro gebucht werden.

Die App spricht eine neue Zielgruppe an

"Es ist schlicht erstrebenswert, allen Menschen das gleiche Service-Level zukommen zu lassen", sagt der Vertriebsleiter Tobias Dombrowski. "Für die Unternehmen selbst ergeben sich aber auch Vorteile", betont der 26-Jährige. Sie könnten eine völlig neue Zielgruppe erreichen und bekämen zudem eine gemeinsame Plattform. "Das ist auch ein gegenseitiger Werbungseffekt", sagt Dombrowski. Was in Potsdam noch recht überschaubar ist, soll in wenigen Wochen auch in der Millionenstadt Berlin funktionieren. Dort ist das Unternehmen schon mit rund 40 Einrichtungen in Vertragsverhandlungen.Dann werde auch die Entwicklung der App für andere Mobiltelefone als das iPhone vorangetrieben, sagt der technische Leiter Kevin Lücke. Doch auch bisher sei das Programm gut angenommen worden: Rund 1.000 Nutzer hätten sich die App bereits heruntergeladen. "Mit der App werden die Gehörlosen einfach ein Stück freier in ihrer kulturellen Teilhabe", meint Lücke. Allein dies sei schon ein großer Gewinn.

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Foto: Klaus-Dietmar Gabbert / dapd

  Quelle: dapd


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