Vom Smart Home zum klugen Quartier:
In Deutschland wird wieder mehr gebaut. Die heute entstehenden und zu sanierenden Häuser sollen nicht nur bezahlbar, sondern auch klimafreundlich und fit für die digitale Zukunft sein. Das Smart Home sollte diese Ansprüche vereinen. In der anwendungsnahen Forschung der Zuse-Gemeinschaft lassen sich die verschiedenen Ansprüche schon gemeinsam umsetzen – mit Erfolg und reif für den Einsatz in der Praxis.
Der Standort des ZAE Bayern in Würzburg.
Foto: Zuse-Gemeinschaft
Die Hitzewelle der vergangenen Wochen hat uns gezeigt: Ein intelligentes Kälte- und Wärmemanagement wird zu Hause, im Büro oder in Gewerbegebäuden immer wichtiger. Was sich an Energieeinsparung und Komfortzuwächsen gewinnen lässt, wenn man Künstliche Intelligenz mit klassischer Beschattungstechnik kombiniert, zeigt ein vom Bundesforschungsministerium gefördertes Projekt an den Deutschen Instituten für Textil- und Faserforschung (DITF).
Dabei werden Algorithmen, die sich am typischen Nutzerverhalten orientieren, mit dem tatsächlichen Wohn- und Arbeitsleben ebenso abgeglichen wie mit Wetterdaten. Als außen liegenden Sonnenschutz kommen Textilscreens zum Einsatz, ein fein strukturiertes Gewebe, das Aufheizen verhindert und den Blick nach draußen erlaubt. „Unsere vorläufigen Ergebnisse zeigen: Um deutliche Energieeinsparungen zu erzielen, brauchen wir Sonnenschutz und Regelungstechnik nicht neu erfinden. Vielmehr liegt die Kunst darin, das Verhalten des Einzelnen und dessen Wünsche an Licht und Temperatur mit dem Optimum in Sachen Energieverbrauch zu kombinieren“, erläutert DITF-Bereichsleiter Christoph Riethmüller.
Wie wichtig ein kluges Wärme- und Kältemanagement im und um das Haus nicht nur für die Verbraucher, sondern auch für die Energiewende ist, zeigt ein Blick auf die Statistik: Rund ein Drittel des deutschen Endenergiebedarfs entfällt auf Raumwärme und Warmwasser.
Einen bisher verhältnismäßig kleinen aber im vergangenen Jahrzehnt stark gestiegenen Verbrauch hat die Klimakälte. Hingegen sind die Einsparpotenziale riesig und bislang kaum genutzt. So hat sich die Bundesregierung das Ziel gesetzt, den Wärmebedarf der Gebäude in Deutschland bis 2020 gegenüber 2008 um 20 Prozent zu senken – erreicht ist bislang nur ein Rückgang von 7 Prozent.
Wetterprognosen fließen in Betrieb des Kältespeichers ein Entscheidend für Energieeffizienz am Haus ist die Gebäudehülle. Wie sich Einsparungen mit hohem Komfort und ästhetischem Anspruch kombinieren lassen, zeigt das Bayerische Zentrum für angewandte Energieforschung (ZAE Bayern) an seinem Standort Würzburg. Ein Element: Die Kühlung des Gebäudes durch regeneratives Rückkühlen von Wasser auf dem Dach, das aus einem Kältespeicher mit 100 m³ Fassungsvermögen stammt, aufs Dach gepumpt und dort versprüht oder verrieselt wird, bevor es wieder in den Speicher abfließt. In einem zweiten Kreislauf bedient es dann den Kühlkreis des Gebäudes. „Mit Hilfe des großen Speichers können wir die Anlage an der 3-Tage-Prognose des Deutschen Wetterdienstes (DWD) ausrichten und optimal auf das Wetter reagieren“, erläutert Dr. Hans-Peter Ebert, Bereichsleiter Energieeffizienz am ZAE. Denn die DWD-Daten werden zusammen mit weiteren Gebäudedaten in eine digitale Plattform des ZAE eingespeist und ausgewertet. „Die Energieeffizienz für die Gebäudekühlung ließ sich mit der Technik um bis zu 30 Prozent steigern“, erläutert Ebert. Erfolgreich übernommen hat man solche Kältespeicher der Würzburger Forscher zwar schon beim Solar Decathlon, einem globalen Hochschulwettbewerb für solares Bauen, der aktuell wieder läuft. Die Umsetzung im kommerziellen Maßstab steht für die kostengünstige Technologie aus dem smarten Gebäude des ZAE aber bislang noch aus.
Digitale Plattform für Solarstrom und Wasserstoff in Oldenburg Ist das Smart Home sinnvoll mit ähnlichen Gebäuden über eine digitale Infrastruktur in seiner Umgebung vernetzt, spricht man von smarten Quartieren. Wie solche Viertel funktionieren, zeigt das Informatikinstitut OFFIS als Koordinator der digitalen Plattform im Energetischen Nachbarschaftsquartier Fliegerhorst Oldenburg, einem großen Neubaugebiet. Basis dieser Plattform ist eine zukunftsfähige Energieversorgung für die rund 110 Wohneinheiten mit einem Schwerpunkt auf Solarstromproduktion und Nutzung im Quartier über Häusergrenzen hinweg. „Intelligente Stromzähler als Teil unserer Planungen werden im Quartier zudem als sichere Schnittstelle für weitere Dienstleistungen rund ums Smart Home unverzichtbar.
Regeneratives Rückkühlen von Regenwasser auf dem Dach.
Foto: ZAE Bayern
Zu solchen Dienstleistungen können in Zukunft Geräte der Wohnungswirtschaft wie Brandmelder und Aufzüge oder auch Anwendungen der Telemedizin gehören“, erläutert Dr. Sven Rosinger von OFFIS den Stellenwert der digitalen Plattform. Eine Technikinsel im Wohnquartier bietet Raum für projektbezogene Aufbauten, so zur künftigen Produktion von Wasserstoff. Vision des Projekts: Bis 2028 gehören 75 Prozent der Anwohner und praktisch alle Gewerbetreibenden zur geplanten Energiegenossenschaft und versorgen sich bei Strom, Wärme und Mobilität komplett klimaneutral. „Wir wollen zeigen, wie die eingesetzten Technologien in anderen Regionen mit ähnlichen Voraussetzungen ebenfalls Quartiere smart und klimafreundlich machen können“, erklärt Rosinger die Stoßrichtung des Projekts, in dem Forschung und Umsetzung Hand in Hand gehen. Denn Baubeginn soll 2020 sein, das Forschungsprojekt läuft bis Ende 2022. Es ist ein Mosaikstein, damit Deutschland die Ziele bei Digitalisierung und Energiewende bald erreicht. |