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Dürfen Besondere Vertragsbedingungen grundlegend von der VOB/B abweichen?

09.08.2022

Die Vergabekammer (VK) Südbayern hat mit Beschluss vom 14.02.2022 – 3194.Z3-3_01-21-44 - u.a. folgendes entschieden:
1. Versucht ein Auftraggeber in einem europaweiten Vergabeverfahren über Bauleistungen entgegen § 8a EU VOB/A 2019 statt der VOB/B ein weitgehend abweichendes vertragliches Regelwerk zur Anwendung zu bringen, kann der Verstoß gegen § 8a EU VOB/A 2019 im Vergabenachprüfungsverfahren geltend gemacht werden, da es sich (auch) um eine vergaberechtliche Norm handelt.
2. Eine zivilrechtliche Prüfung von Vertragsklauseln in Form einer AGB-Inhaltskontrolle findet im vergaberechtlichen Nachprüfungsverfahren nicht statt.


Ein öffentlicher Auftraggeber (AG) hatte eine Baumaßnahme europaweit ausgeschrieben, wobei der Preis einziges Zuschlagskriterium war. Die Leistungsbeschreibung enthielt (unter Abschnitt B – Bauvertrag) umfassende Regelungen und Vertragsbedingungen zur Bauausführung, die in einer Vielzahl von Punkten von den Regelungen der VOB/B abwichen und sich teilweise am Bauvertragsrecht des BGB (§ 650a ff. BGB) orientierten.
Die Abweichungen umfassten z.B. den Ausschluss der Null-Abschnitte und der Abrechnungsbestimmungen der VOB/C, das Recht des AG zur Ersatzvornahme ohne vorherige Auftragsentziehung abweichend von § 4 Abs. 7 VOB/B, die Berechtigung des AG, neue Vertragsfristen nach billigem Ermessen festzulegen, die Verpflichtung des Auftragnehmers zur Behinderungsanzeige selbst bei Offenkundigkeit, die Verlängerung der Frist des § 6 Abs. 7 VOB/B auf 6 Monate, den Ausschluss von § 7 und 12 Abs. 6 VOB/B und den Ausschluss von Teilabnahme und fiktiver Abnahme. Bieter A rügte darauf, dass die Ausschreibungsunterlagen gegen § 8a VOB/A verstoßen würden, da sie gravierende Abweichungen und Ergänzungen zu den Regeln der VOB/B aufwiesen. Es sei ihm deshalb unmöglich, ein Angebot abzugeben. Nach Nichtabhilfe seiner Rüge beantragte A Nachprüfung.
Die VK gibt Bieter A Recht, da die Vergabeunterlagen eklatant gegen § 8a EU VOB/A verstießen. Vor dem Hintergrund der Kalkulationsrelevanz könnten Verstöße eines Auftraggebers gegen § 8a EU VOB/A ohne Weiteres im Vergabenachprüfungsverfahren geltend gemacht werden, da es sich (auch) um vergaberechtliche Normen handele. Jedenfalls wenn die Abweichungen von der VOB/B zu einer Verschärfung der Regelungen zu Lasten des Bieters führten oder führen könnten, sei die Norm bieterschützend. Gem. § 8a EU Abs. 1 VOB/A sei in den Vergabeunterlagen vorzuschreiben, dass die Allgemeinen Vertragsbedingungen für die Ausführung von Bauleistungen (VOB/B) und die Allgemeinen Technischen Vertragsbedingungen für Bauleistungen (VOB/C) Bestandteile des Vertrags werden. Nach § 8a EU Abs. 2 Nr. 1 S. 1 VOB/A müssten die Regelungen der VOB/B grundsätzlich unverändert bleiben. Auf diese Weise solle vermieden werden, dass durch die abweichenden Vereinbarungen der Parteien ein Eingriff in die Regelungen der VOB/B vorgenommen werde und die VOB/B ihre Privilegierung als Allgemeine Geschäftsbedingung (§ 310 Abs. 1, Satz 3 BGB) verliere.
Von diesem Grundsatz seien folgende Ausnahmen möglich: Gem. § 8a EU Abs. 2 Nr. 1 S. 2 VOB/A könnten Auftraggeber, die ständig Bauleistungen vergeben, die Regelungen der VOB/B für die bei ihnen allgemein gegebenen Verhältnisse durch „Zusätzliche Vertragsbedingungen“ ergänzen. Diese Zusätzlichen Vertragsbedingungen dürften den Regelungen der VOB/B gem. § 8a EU Abs. 2 Nr. 1 S. 3 VOB/A allerdings nicht widersprechen. Ferner könnten nach § 8a EU Abs. 2 Nr. 2 VOB/A die Regelungen der VOB/B durch „Besondere Vertragsbedingungen“ ergänzt werden, wobei sich Abweichungen auf die Fälle beschränken sollten, in denen in der VOB/B eine besondere Vereinbarung ausdrücklich vorgesehen sei und auch nur soweit es die Eigenart der Leistung und ihre Ausführung erforderten.


Es spreche im vorliegenden Fall viel dafür, dass die vertraglichen Regelungen (unter B –Bauvertrag) der Vergabeunterlagen als „Zusätzliche Vertragsbedingungen“ i. S. d. § 8a EU Abs. 2 Nr. 1 S. 2 VOB/A anzusehen seien, da sie ersichtlich für eine Vielzahl von Bauvergaben des AG konzipiert worden seien. Derartige Zusätzliche Vertragsbedingungen würden regelmäßig als Allgemeine Geschäftsbedingungen gem. § 305 Abs. 1 BGB einzustufen sein, mit der Konsequenz, dass die einzelnen Regelungen der Inhaltskontrolle nach §§ 307 ff. BGB unterfielen, falls keine Privilegierung durch die Vereinbarung der VOB/B als Ganzes eingreife. Zusätzliche Vertragsbedingungen dürften den Allgemeinen Vertragsbedingungen der VOB/B gem. § 8a EU Abs. 2 Nr. 1 S. 3 VOB/A jedoch nicht widersprechen, sondern die VOB/B-Regelungen allenfalls konkretisieren oder näher ausgestalten. Eine Konkretisierung der VOB/B-Regelungen komme z.B. dort in Betracht, wo die VOB/B unbestimmte Rechtsbegriffe verwende. Für nähere Ausgestaltungen sei insbesondere dort Raum, wo die Regelungen der VOB/B eine gesonderte Abrede zwischen den Parteien voraussetzten. Dies sei z.B. der Fall bei Regelungen zu Ausführungsfristen, die nach § 5 Abs. 1 VOB/B einer Vereinbarung zwischen den Parteien bedürften oder bei einer Vertragsstrafe gem. § 11 VOB/B. Eine Konkretisierung bzw. Ausgestaltung der VOB/B komme auch dort in Betracht, wo die Regelungen der VOB/B sogenannte Öffnungsklauseln ("wenn nichts anderes vereinbart ist") enthielten.
Die hier vom AG getroffenen Regelungen gingen jedoch weit über diese zulässigen Konkretisierungen oder in der VOB/B vorgesehenen Ausgestaltungen hinaus. Vom AG gewollt seien hier keine punktuellen Abweichungen von den Regelungen der VOB/B oder dort vorgesehene Ausgestaltungen oder Konkretisierungen, sondern ein tiefgreifend geändertes Regelwerk, das sich teilweise maßgeblich am Bauvertragsrecht des BGB orientiere. Ein solches gegenüber der VOB/B tiefgreifend geändertes Regelwerk lasse § 8a EU Abs. 2 Nr. 1 S. 3 VOB/A bei öffentlichen Bauausschreibungen aber gerade nicht zu.


Für die vergaberechtliche Beurteilung sei es ohne Belang, ob die etwaigen Regelungen etwa dem gesetzlichen Leitbild des BGB-Bauvertragsrechts entsprächen oder einer AGB-Inhaltskontrolle nach §§ 307 ff. BGB standhalten würden. Dies sei von der Vergabekammer nicht zu entscheiden, sondern Sache der ordentlichen Gerichte. Intention des § 8a EU VOB/A sei vielmehr, dass sich derartige Fragen in einem Vergabeverfahren überhaupt nicht stellen sollten.

Anmerkung:
Die Vorschrift des 8a EU VOB/A hat letztlich das Ziel, dafür zu sorgen, dass die VOB/B in ihrer Eigenschaft als Allgemeine Geschäftsbedingung (AGB) als Ganzes Anwendung findet und damit nach der BGH-Rechtsprechung eine gesonderte AGB - Inhaltskontrolle der einzelnen Regelungen der VOB/B nach 307 ff. BGB gerade nicht stattfindet, da die VOB/B als eine zwischen den Parteien ausgewogene Regelung gilt. Im Vergabeverfahren soll durch § 8a EU VOB/A dem Interesse des Bieters Rechnung getragen werden, unabhängig von Unsicherheiten über die Geltung der Regelungen der VOB/B und der Frage der Inhaltskontrolle von AGB sein Angebot kalkulieren zu können. Von jedem Auftraggeber selbst zusammengestellte Bauverträge müssten dagegen, auch wenn sie sich am Leitbild des Bauvertragsrechts des BGB orientieren und keine die Auftragnehmer unangemessen beeinträchtigenden Regelungen enthalten, von den Bietern im Einzelfall aufwändig kalkulatorisch bewertet werden. Auch dies soll 8a EU VOB /A vermeiden.

  Quelle: RA Michael Werner


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