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Dürfen „Newcomer“ ausgeschlossen werden?

01.06.2021

von RA Michael Werner

Das OLG Schleswig hat mit Beschluss vom 10.12.2020 – 54 Verg 4/20 – u. a. folgendes entschieden:

• Der Auftraggeber darf für die wirtschaftliche/finanzielle und die technische/berufliche Leistungsfähigkeit eine mindestens dreijährige Geschäftstätigkeit der Bieter und der von ihnen eingesetzten anderen Unternehmen bei der zu vergebenden Leistung im Zeitpunkt der Abgabe des Angebots als Mindesteignungskriterium verlangen, wenn dies durch den Auftragsgegenstand gerechtfertigt ist.

• Von den Bietern kann bei einem komplexen Großbauvorhaben und einem hohe Anforderungen an die Ausführung und Koordinierung erfordernden Gewerk eine dreijährige Geschäftstätigkeit als Mindesteignungsvoraussetzung verlangt werden.

Ein öffentlicher Auftraggeber (AG) hatte im April 2020 für den Neubau eines Laborgebäudes das Baulos zur Installation von Gasanlagen zur Druckluft- und Laborgasversorgung europaweit im offenen Verfahren ausgeschrieben. Die Auftragsbekanntmachung enthielt u. a. als Mindeststandard bei der Eignung den Satz: Voraussetzung für die Auftragserteilung ist eine mindestens 3 Jahre bestehende Geschäftstätigkeit der Bieter und der von ihnen eingesetzten anderen Unternehmen zum Zeitpunkt der Angebotsabgabe.“ An der Ausschreibung beteiligt sich der Bieter A, dessen Unternehmen erst in 2019 gegeründet wurde. Weil A für die Jahre 2018 und 20198 keine Umsätze vorweisen konnte, hatte er im geforderten Formblatt 124 (Eigenerklärung zur Eignung) zweimal Null Euro eingetragen. Der AG hatte darauf das Angebot des A von der Wertung ausgeschlossen, wogegen sich der A wehrte.

Das OLG gibt hier dem AG Recht; dieser habe das Angebot des A nach § 16b EU Abs. 1 VOB/A wegen mangelnder Eignung des A von der Wertung ausschließen dürfen. Nach § 16b EU Abs. 1 VOB/A sei bei dem – hier vorliegenden - offenen Verfahren die Eignung der Bieter zu prüfen, wobei anhand der vorgelegten Nachweise die Angebote der Bieter auszuwählen seien, deren Eignung die für die Erfüllung der vertraglichen Verpflichtungen notwendigen Sicherheit biete. Dies sei nach § 6 Abs. 1 EU VOB/A dann der Fall, wenn die Bieter die erforderliche Fachkunde und Leistungsfähigkeit besäßen, keine Ausschlussgründe gemäß § 6e EU VOB/A vorlägen und die Bieter über ausreichende technische und wirtschaftliche Mittel verfügten. Für die Beurteilung der Eignung der Bieter am Maßstab von auftraggeberseitig gestellten Mindestanforderungen seien allein die in der Auftragsbekanntmachung festgelegten Eignungskriterien maßgeblich, wie § 6 EU Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 VOB/A und § 122 Abs. 4 GWB entnommen werden könne.

Die Eignungskriterien der Fachkunde und Leistungsfähigkeit dürften ausschließlich die Befähigung und Erlaubnis zur Berufsausübung, die wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit und die technische und berufliche Leistungsfähigkeit betreffen. Alle Eignungskriterien, die Auftraggeber für den konkreten Auftrag stellten, müssten unter eine dieser drei Kategorien untergeordnet werden können und mit dem Auftragsgegenstand in Verbindung und zu diesem in einem angemessenen Verhältnis stehen. Eignungskriterien, die diesen Kategorien nicht zugeordnet werden können, seien unzulässig. Die Eignungsprüfung erfolge auf Grundlage der nach § 6a EU VOB/A durch den Bieter vorzulegenden Unterlagen, wobei diese Vorschrift eine abschließende Aufzählung von Angaben enthalte, die der öffentliche Auftraggeber vom Unternehmer zum Nachweis der Eignung verlangen dürfe.

Für die wirtschaftliche/finanzielle und die technische/berufliche Leistungsfähigkeit habe hier der AG eine mindestens dreijährige Geschäftstätigkeit der Bieter und der von ihnen eingesetzten anderen Unternehmen bei der zu vergebenden Leistung vergleichbaren Leistungen im Zeitpunkt der Abgabe des Angebots als Mindesteignungskriterium nach den §§ 6, 6a EU VOB/A verlangen dürfen.

Das vom AG festgelegte Eignungskriterium der mindestens dreijährigen einschlägigen Geschäftstätigkeit stehe im Hinblick auf die wirtschaftliche/finanzielle und die technische/berufliche Leistungsfähigkeit der Bieter und von diesen eingesetzter Nachunternehmer mit dem Auftragsgegenstand in Verbindung und zu diesem auch in einem angemessenen Verhältnis, § 6 EU Abs. 2 Satz 3 VOB/A.

Die hier zu vergebende Leistung erfordere in wirtschaftlich/finanzieller und technisch/beruflicher Hinsicht eine besondere Erfahrung und Leistungsfähigkeit des Auftragnehmers, die der AG in seinem auftragsbezogenen Leistungsprofil habe verlangen dürfen: Unstreitig habe die zu vergebende Leistung im Rahmen des großen und komplexen Bauvorhabens des Neubaus eines zu Forschungszwecken genutzten Laborgebäudes mit speziellen Sicherheitsanforderungen fachlich hohen Anforderungen zu entsprechen und erfordere die Koordination einer Vielzahl von Schnittstellen mit anderen Gewerken des Bauvorhabens über einen längeren Zeitraum. Ferner fielen für die Durchführung des Auftrages vom Auftragnehmer in erheblichem, im Verhältnis zum Nettowerklohn etwa hälftigem Anteil Kosten für die Beschaffung von Material (z. B. vier Schraubenkompressoren, Druckluftbehälter, Adsorptionstrockner, zentrale Gasflaschenanlage für Sauerstoff, Stickstoff und Kohlendioxid, 1500 m Druckluftversorgungsleitungen aus Spezial-Kupferrohr und Edelstahl, 775 m Laborgasversorgungsleitungen aus Spezial-Kupferrohr und Edelstahl, 400 m Begasungsleitungen für Wasserstoffperoxid) an, die vom Auftragnehmer vorzufinanzieren seien.

Es könne aber – von Ausnahmen abgesehen – davon ausgegangen werden, dass jedenfalls bereits drei Jahre auf dem auftragsspezifischen Markt geschäftlich tätige Unternehmen im Vergleich zu anderen Unternehmen eher sowohl die wirtschaftliche/finanzielle Ausstattung zur (Vor-)finanzierung des Auftrages als auch die technischen Kenntnisse, die Erfahrung sowie sachliche und personelle Organisationsstruktur zu der ordnungsgemäßen Erledigung des technisch und wegen der Abstimmung mit den anderen Gewerken auch organisatorisch anspruchsvollen Auftrages hätten. Dementsprechend könne von den Bietern bei einem komplexen Großbauvorhaben und einem – wie hier – hohe Anforderungen an die Ausführung und Koordinierung erfordernden Gewerk eine dreijährige Geschäftstätigkeit als Mindesteignungsvoraussetzung verlangt werden. Das besondere Anforderungsprofil der zu vergebenden Leistung rechtfertige es, weniger als drei Jahre auf dem auftragsspezifischen Markt tätige Unternehmen vom Wettbewerb auszuschließen.

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Anmerkung:
Die Entscheidung zeigt, dass sog. „Newcomer“, d. h. Unternehmen, die noch nicht sehr lange am Markt tätig sind, grundsätzlich vom AG ausgeschlossen werden können, da das Interesse des AG an einem erfahrenen und zuverlässigen Bieter insoweit vorgeht. Dies allerdings nur unter der Voraussetzung, dass der AG in der Bekanntmachung die geforderten Eignungskriterien unmissverständlich aufführt. Wenn es der Auftragsgegenstand rechtfertigt, sollte dabei der AG bei den Eignungskriterien eine Kombination von z. B. „mindestens dreijähriger vergleichbarer Geschäftstätigkeit“ und „Mindestjahresumsatz“ wählen, da nur diese Zusammenschau von Dauer und Umfang einen tragfähigen und rechtssicheren Rückschluss auf die Leistungsfähigkeit des Bieters zulässt.

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