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E-Vergabe: Versendung der Vorabinformation über das Vergabeportal?

10.08.2021

von RA Michael Werner

Die Vergabekammer (VK) Saarland hat mit Beschluss vom 22.03.2021 – 1 VK 6/20 – u. a. folgendes entschieden:

• Die Vorabinformation gem. § 134 Abs. 1 GWB kann mittels der Vergabeplattform übersendet werden.

• Bereits das Einstellen auf der Vergabeplattform durch den Auftraggeber setzt die kurze Wartefrist des § 134 Abs. 2 Satz 2 GWB (10 Kalendertage) in Gang; auf den Zugang kommt es nicht an.

• Jedoch läuft die Wartefrist nur, wenn die Vorabinformation dem Bieter über eine gesicherte Kommunikationsfunktion übermittelt wird, die einem ausschließlich dem Bieter zugänglichen E-Mail-Postfach ähnelt.

• Der bloße Hinweis auf eine neu eingegangene Nachricht ist noch keine Vorabinformation.

Ein öffentlicher Auftraggeber (AG) hatte Reinigungsleistungen auf Verkehrsflächen von Bundesautobahnen im offenen Verfahren europaweit ausgeschrieben. Die Abwicklung des gesamten Verfahrens erfolgte über eine elektronische Vergabeplattform. Am 22.10.2020 wurde die Vorabinformation gemäß § 134 GWB dem Bieter A über die gesicherte Kommunikationsschiene der Vergabeplattform zur Verfügung gestellt.

Eine automatisch generierte Mail setzte den A davon in Kenntnis, dass eine Nachricht auf dem Vergabeportal eingestellt sei. Parallel wurde das Schreiben auch per Post versandt und ging A am 26.10.2020 zu. In diesem Schreiben wurde angekündigt, den Zuschlag auf das Angebot des Bieters B frühestens am 03.11.2020 zu erteilen, d. h. 10 Kalendertage nach Absendung der Vorinformation. Darauf rügte A, dass der für 03.11.2020 angekündigte Zuschlag die 15-Tages-Frist des § 134 Abs. 2 Satz 1 GWB, die für Briefpost gelte, nicht einhalte. Der AG half der Rüge nicht ab und erteilte am Morgen des 03.11.2020 dem B den Zuschlag. In Unkenntnis der erfolgten Zuschlagserteilung stellte A ebenfalls noch am 03.11.2020 Antrag auf Nachprüfung.

Die VK weist den Antrag des A als unzulässig zurück. Der Nachprüfungsantrag sei nicht statthaft, da sich das Vergabeverfahren bereits mit wirksamer Zuschlagserteilung am 03.11.2020, mithin vor Einreichung des Nachprüfungsantrags am selben Tage, erledigt habe. Ein wirksam erteilter Zuschlag könne nicht aufgehoben werden (§ 168 Abs. 2 Satz 1 GWB). Der Zuschlag sei auch nicht nach § 135 Abs. 1 Nr. 1 GWB unwirksam, da ein Verstoß gegen die gesetzlich angeordnete Wartefrist des § 134 Abs. 1 GWB nicht vorliege.

Gemäß § 134 Abs. 2 GWB dürfe ein Zuschlag erst nach der vorgesehenen Wartefrist erteilt werden. Werde die Information auf elektronischem Weg versendet, betrage die Frist zehn Kalendertage. Der Beginn des Fristlaufs setze voraus, dass der Bieter nach § 134 GWB in Textform informiert worden sei. Maßgeblich sei nach dem Wortlaut der Vorschrift in § 134 Abs. 2 Satz 3 GWB die Absendung durch den Auftraggeber. Auf den Zugang komme es dabei nicht an; vielmehr komme es darauf an, dass das Einstellen der Information im persönlichen Nutzerkonto – im vorliegenden Fall bei gleichzeitiger Benachrichtigung per Mail – den Anforderungen genüge, die § 134 GWB für das elektronische Versenden aufstelle. Dies sei hier der Fall. Zeitgleich mit der elektronischen Benachrichtigung an A vom 22.10.2020 sei das Informationsschreiben des AG, das die inhaltlichen Anforderungen des § 134 Abs. 1 GWB erfülle, in das elektronische Postfach des A auf der Vergabeplattform eingestellt worden. Dieses Einstellen in das elektronische Postfach erfülle die Voraussetzung des „Absendens“ nach § 134 Abs. 2 Satz 3 GWB, so dass der Fristenlauf in Gang gesetzt worden sei.

Das Tatbestandsmerkmal des Absendens sei dabei im Kontext der digitalen Abwicklung des Vergabeverfahrens zu verstehen. Nach dem Wortlaut bedeute Absenden „wegschicken“, „abschicken“ oder „übermitteln“. Die Rechtsprechung definiere für das Vergaberecht das Versenden – im Jahre 2004 noch für den Fall eines schriftlichen Dokuments oder Fax – als ein Entäußern aus dem eigenen Machtbereich derart, dass bei regelgerechtem Verlauf mit dem ordnungsgemäßen Zugang beim Empfänger zu rechnen sei. Werde das Verfahren vollständig über eine Vergabeplattform digital abgewickelt, könne das Versenden auf elektronischem Weg im Sinne des § 134 Abs. 2 Satz 2 und 3 GWB nicht ausschließlich auf das Absenden einer herkömmlichen E-Mail oder eines Fax beschränkt werden. Versenden in elektronischer Form sei dabei nicht das physische Versenden, sondern bedeute das elektronische „auf den Weg bringen“ der Information in Textform, d. h. das Verlassen des Machtbereichs des Sendenden derart, dass die Information durch diesen nicht mehr einseitig verändert oder gelöscht werden könne. Dabei müsse zu erwarten sein, dass bei regelgerechtem Verlauf die Information in den Machtbereich des Empfängers gelange. In diesem Sinne müsse es dem Empfänger möglich sein, jederzeit und ohne Zutun des Absendenden auf die im Postfach eingelegte Information zuzugreifen. Dies sei jedenfalls dann der Fall, wenn die maßgebliche Information in einem nur persönlich zugänglichen Raum des Empfängers („Online-Konto“) eingestellt werde.

Hier sei die Information am 22.10.2020 – 07:26 Uhr – auf die Vergabeplattform eingestellt, der Bieter A am gleichen Tage hierüber per Mail benachrichtigt worden. Laut Dokumentation der Vergabeplattform sei – ohne dass es hierauf entscheidend ankomme – die Information schon am gleichen Tage von der Antragstellerin abgerufen bzw. geöffnet worden (22.10.2020 – 07:53 Uhr). Der spätere Zugang des Papierschreibens am 26.10. spiele für den Beginn des Fristenlaufs in der beschriebenen Konstellation keine Rolle mehr, denn das Informationsschreiben sei bereits am 22.10. elektronisch auf den Weg gebracht, der AG habe daher unter Berufung auf die elektronische Versendung zu Recht den Zuschlag nach der verkürzten Frist von mindestens 10 Tagen im Informationsschreiben angekündigt.

Anmerkung:
Die Frage, auf welche Weise das Vorabinformationsschreiben des AG unter Wahrung der im elektronischen Verfahren geltenden 10-Tages-Frist den Bietern rechtswirksam zugesandt werden kann, ist umstritten. Einerseits ist die Argumentation des VK Saarland nachvollziehbar, dass das gesamte Vergabeverfahren elektronisch über eine Vergabeplattform abzuwickeln ist (§ 97 Abs.5 GWB, § 8 VgV) und somit auch die Vorabinformation nach § 134 GWB wirksam über diese Plattform versandt werden muss. Andererseits war jedoch die VK Südbayern (Beschluss v. 29.03.2019 – Z3-3-3194-1-07-03/19) mit ebenfalls guten Argumenten der Auffassung, dass die Vorabinformation gerade nicht allein über die Vergabeplattform übermittelt werden kann, da diese Information eine Bringschuld des AG an den Bieter und keine Holschuld des Bieters sei, d. h. der AG müsse – z.B. durch Mail oder Fax – den Bieter selbst und direkt informieren.

Vor diesem Hintergrund kann daher Auftraggebern nur geraten werden, auf „Nummer Sicher“ zu gehen und die Vorabinformation sowohl über die Vergabeplattform als auch z.B. per direkter Mail an die Bieter zu versenden.

  Quelle:


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