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(K)Ein Grund zur Freude?

21.09.2020

Massive Erleichterungen im Unterschwellenbereich beschlossen

„Jetzt gilt es, Bürokratie weiter abzubauen und so langfristig Projekte schneller auf die Straße zu bringen“, so beschreibt der wirtschaftspolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Dr. Joachim Pfeiffer, das Ziel der Handlungsleitlinien. Und die Lockerungen erlauben ohne Frage schnellere Vergaben unter Anwendung vermeintlich leichter zu handhabender Verfahren. Die eigentliche Beschleunigung wird hierbei jedoch weniger über einen „Bürokratieabbau“, als vielmehr über Wettbewerbsbeschränkungen erreicht:

Denn im Grundsatz bleiben sämtliche Verfahrensregelungen unverändert, sodass die auch bislang erforderlichen, „bürokratischen“ Abläufe weitgehend unverändert sind. Dies betrifft insbesondere die regelmäßig und auch weiterhin aufwändige Vorbereitung der Vergabeunterlagen, einschließlich der Leistungsbeschreibung, und auch die Angebotsauswertung, die natürlich unverändert durchzuführen ist.

Im Wesentlichen wird die „Beschleunigung“ somit dadurch erreicht, dass das Bieterfeld durch Heraufsetzen der Wertgrenzen für Direktvergaben, freihändige und beschränkte Vergaben, verkleinert wird. Frei nach dem Motto: Weniger Angebote, weniger Aufwand.

Liefer- und Dienstleistungsaufträge dürfen fortan bis zu einem Schätzwert von EUR 100.000,00 (netto) im Wege der Beschränkten Ausschreibung ohne Teilnahmewettbewerb oder der Verhandlungsvergabe mit oder ohne Teilnahmewettbewerb, Direktaufträge bis zu einem Schätzwert von EUR 3.000,00 (netto) vergeben werden Bauaufträge mit einem geschätzten Auftragswert von bis zu EUR 1,0 Mio. (netto) dürfen nun im Rahmen einer Beschränkten Ausschreibung ohne Teilnahmewettbewerb vergeben werden. Zum Vergleich: Bisher lag die Wertgrenze hierfür gem. § 3a Abs. 2 VOB/A je nach konkreter Leistung zwischen EUR 50.000,00 und EUR 150.000,00 (netto). Freihändige Vergaben können nach den neuen Handlungsleitlinien nun bis zu einem geschätzten Auftragswert von EUR 100.000,00 (netto) durchgeführt werden. Direktaufträge können fortan bis zu einem Auftragswert von EUR 5.000 (netto) vergeben werden.

Beschleunigung zu Lasten des Wettbewerbs

Laut dem BMWi sei Zweck der Handlungsleitlinien die beschleunigte Umsetzung von konkreten Investitionsprojekten. Übergeordnetes und begrüßenswertes Ziel ist somit die Milliarden an Fördermitteln möglichst zügig im Markt zu platzieren. Jedoch darf auch bei diesem im Kern löblichen Ansatz keinesfalls vergessen werden, dass durch die Erleichterung von tendenziell wettbewerbsbeschränkenden Verfahrensarten der Staat nicht das wirtschaftlichste Angebot am Markt ermitteln und auswählen kann.

Daher sollten sich öffentliche Auftraggeber auch zukünftig die Frage stellen, ob es wirklich immer sinnvoll ist, von den Erleichterungen Gebraucht zu machen. Denn natürlich wird der Auswertungsaufwand durch weniger Angebote reduziert; gleichzeitig ist jedoch mit weniger Wettbewerb und tendenziell höheren Preisen zu rechnen. Weiteres erklärtes Ziel der Lockerungen soll es sein, dass kleine und mittlere Unternehmen, Startups und Innovationen durch die Vereinfachungen gefördert werden. Ob dies durch extensive Marktbeschränkungen gelingen kann, ist derweil fraglich, denn hierfür müssten die innovativen, jungen Unternehmen den Auftraggebern überhaupt erst bekannt sein, was in aller Regel nicht der Fall sein wird.

Dies verdeutlicht einen weiteren Nachteil der Leitlinien:

Unternehmen müssen fortan noch aktiver und regelmäßiger Aufträge recherchieren, um überhaupt erst auf sich aufmerksam zu machen. Denn nur dann, wenn der Auftraggeber ein Unternehmen kennt, kann er es auch zur Angebotsabgabe auffordern. Ob dies wirklich innovative Startups fördert oder nicht vielmehr bestehende Strukturen festigt, bleibt abzuwarten.

Unterbesetzte Vergabestellen bleiben der „Flaschenhals“

Bei allem Verständnis für die Maßnahmen, die angesichts der Corona-Pandemie sicher kurzfristig erforderlich sind, sollte die eigentliche Ursache nicht aus den Augen verloren werden: Die jahrelange, chronische Unterbesetzung der Vergabestellen führte zu einem „Flaschenhals“, der nun im „Notfallmodus“ und auf Kosten des Wettbewerbs zumindest etwas vergrößert werden soll.

Höchste Zeit also, diesem Missstand Herr zu werden, damit das nun hastig eingeführte Provisorium nicht zur Regel gerät. Denn weniger Angebote bedeuten nicht nur weniger Aufwand, sondern vor allem weniger Wettbewerb.

  Quelle: SUPPLY-Magazin 4/2020


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