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Ein städtebauliches Juwel wurde „herausgeputzt“

10.04.2017

Historisches Rathaus Tübingen:

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Keine touristische Führung durch die Altstadt von Tübingen kommt an ihm vorbei: dem histo-rischen Rathaus am zentralen Marktplatz.

Foto: Universitätsstadt Tübingen

Keine touristische Führung durch die Altstadt von Tübingen kommt an ihm vorbei: dem historischen Rathaus am zentralen Marktplatz. In kleinerer Form bereits 1435 errichtet und in den Jahren 1495/1496 um ein zusätzliches Obergeschoss ergänzt, verfügt das Gebäude in seiner heutigen Form über vier Voll- sowie drei Dachgeschosse. Im Rahmen einer letzten umfassenden Modernisierung in den 1960er-Jahren wurde baujahr-typisch, viel Beton und Stahl in das streng nach funktionalen Aspekten umgebaute Fachwerkgebäude eingebracht – zu Lasten der historischen Anmutung der Innenräume. „Erdrückende“ Auswirkungen auf die Statik machten vor einiger Zeit eine tiefgreifende Sanierung des gesamten Rathauses dringend notwendig. Eine Sanierung, im Rahmen derer auch der ursprüngliche Charakter des Rathauses, Stück für Stück wiederhergestellt werden sollte. Mit dem trockenen Innenausbau, der unter anderem ein ausgefeiltes Konzept für den vorbeugende Brandschutz gemäß heutigen Anforderungen umfasste, sicherte sich die Bohle Innenausbau GmbH & Co. KG, Niederlassung Stuttgart, den Sieg bei der 10. Rigips Trophy in der Wettbewerbskategorie Brandschutzsysteme.

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Am Anfang der Arbeiten standen die Demontage und damit die Beseitigung der Spuren der in den 1960er-Jahren durchgeführten Sanierungsmaßnahmen.

So manche Überraschung wartete auf die an der Sanierungen beteiligten Bauprofis, was angesichts der langen und lebendigen Geschichte des Tübinger Rathauses kaum einen von ihnen verwunderte. Bereits das 1495/1496 ergänzte dritte Obergeschoss errichtete der damalige Bauherr, Eberhard im Barte, ohne nennenswertes Wissen um die Gesamtstatik des Gebäudes. Hinzu kamen die „Sünden“ der 1960er-Jahre. Als vor einigen Jahren im Rahmen von Tragwerksuntersuchungen dann auch noch festgestellt wurde, dass das Gewicht der Stadtarchivbestände im Dachgeschoss, darunter viel historisches Schriftgut, die zulässige Traglast um ein Vielfaches überstieg – erste Schäden an der Fassade waren bereits sichtbar – wurde eine schnellstmögliche Sanierung unumgänglich. Darüber hinaus entsprachen weder die Elektrik noch die energetische Qualität noch der bauliche Brandschutz den heutigen Anforderungen an ein öffentliches Gebäude. Auch die barrierefreie Erschließung war in vielen Bereichen nicht durchgängig umgesetzt.

Einer archäologischen Ausgrabung ähnlich
Dass die Sanierung nicht zu einem plumpen „Alles Neu“-Prozess wurde, sondern mit viel Augenmaß und Flexibilität dazu beigetragen hat, den historischen Charakter der Räume wieder erfahrbar zu machen, ist dem planerischen Ansatz des verantwortlichen Architekturbüros weinbrenner.single.arabzadeh zu verdanken: „Unser Gestaltungsziel war es, jeden einzelnen Raum auf seine Typologie und seine besonders wertvollen Elemente hin zu untersuchen. Diese galt es zu erhalten oder gar zu betonen und auf Ergänzungen mit sensibel ausgesuchten Materialien und Oberflächenfarben zu reagieren“, so BDA-Architekt Jörg Weinbrenner. „Ein Projekt, bei dem, ähnlich einer archäologischen Ausgrabung, auf eine Vielzahl von baulichen Überraschungen bei der Freilegung des Bestandes reagiert werden musste.“

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Zum Vorschein kam viel historische Bausubstanz: alte Balkenlagen genauso wie Mauerwerk mit größeren „Maßtoleranzen“.

Für Besucher des Rathauses wird die Wandlung im Erdgeschoss besonders deutlich: Dessen ursprünglich drei große Hallen wurden im Laufe der Jahrhunderte immer weiter zugebaut, sodass eine nahezu geschlossene Fassade entstand, was zusammen mit einer schweren Holzeingangstür wenig einladend auf Bürger und Touristen wirkte. Heute finden sich hinter der durchgehenden Glasfront in der weitestgehend zurückgebauten Eingangshalle das Rathausfoyer, der Empfang sowie die touristische Information und eine Ausstellungsfläche. Rolf Trautwein, verantwortlicher Projektleiter der Bohle Innenausbau GmbH & Co. KG, erinnert sich gut an die umfangreichen Rückbau- und Sanierungsmaßnahmen. „Im Erdgeschoss ging es vor allem darum, wieder einen großen, offenen und transparent wirkenden Raum zu schaffen. Ein Großteil der alten Trennwände wurde hierfür komplett demontiert. Ansonsten beschränkten sich die neu eingebrachten Konstruktionen auf die Abteilung der öffentlichen Sanitärbereiche sowie die Bekleidung der Deckenflächen mit unterschiedlichen Materialien.“

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In den öffentlich genutzten Räumen des Erdgeschosses sollte die Holzbalken-Geschossdecke (eingestuft nach Bauart IV) brandschutztechnisch auf F 60 ertüchtigt werden. Der Wandanschluss der Brandschutzdecke an die historischen Balken erfolgte mit einem Streifen aus „Glasroc F“-Brandschutzplatten.

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Weitere Aufgaben warteten in den oberen Geschossen: Im ersten Obergeschoss befinden sich der Große Sitzungssaal mit historischem Fachwerk sowie kleinere Besprechungszimmer, Büroräume und eine Cafeteria. Das zweite Obergeschoss beherbergt unter anderem den alten Empfangssaal mit historischen Fresken sowie einen weiteren, circa 70 m² großen, ringsum mit bemaltem Holz getäfelten Sitzungssaal, der zukünftig vom Tübinger Standesamt als schmuckes Trauzimmer genutzt werden soll. In unmittelbarer Nachbarschaft liegt eine kleine Gerichtsstube, in der das Amtszimmer des Oberbürgermeisters untergebracht ist. „Überall traten nach und nach historisches Gebälk und Mauerwerk zutage. Bei der Umsetzung der zahlreichen Wandbekleidungen, Vorsatzschalen, Trenn- und Schachtwände sowie Deckenbekleidungen haben wir eng mit den Planern, dem Bauherrn, unseren Ansprechpartnern bei Rigips und dem Landesamt für Denkmalpflege zusammengearbeitet, da sich die meisten Fragen erst bei laufenden Sanierungsmaßnahmen stellten und gemeinsam vor Ort gelöst werden mussten“, erinnert sich Rolf Trautwein.

Brandschutzanforderungen bis F 60
Trennwände und Wandbekleidungen mit Brandschutzanforderungen bis F 60, deren Installationsebenen viele hundert Meter Haustechnikleitungen und Elektroinstallationen aufnehmen mussten, wurden größtenteils mit einer doppelten Lage „Rigidur H“-Gipsfaserplatten ausgeführt. „Mit F-60-Schachtwänden wurden unter anderem die Löschmittelleitungen sowie die Hydrantenkästen und Lüftungskanäle in den Vorräumen verkleidet. Die Lage der Löschmittelleitungen und die unmittelbar anschließenden Brandschutzelemente ergaben sehr beengte Platzverhältnisse. Hier wurde quasi um jeden Zentimeter Platz ,gerungen’. Kaum hatten wir zum Beispiel in den Vorräumen eine Lösung vor Ort erarbeitet, musste wieder eine neue Wandansicht gezeichnet werden. Dadurch ergaben sich teilweise wieder Anpassungen für die geplanten Einbauschränke, die unsere Kollegen von der Bohle Schreinerei in Bad Waldsee errichten sollten.“

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Als Sichtdecke war darüber hinaus eine Holzlamellendecke vorgesehen. Aufgrund des Gewichtes dieser Sichtdecke von immerhin rund 30 kg/m² wurden zunächst die Noniusabhänger für die Lamellendecke an den Holzbalken der Rohdecke montiert. Erst danach wurde die Unterkonstruktion für die eigentliche Brandschutzdecke zwischen 0 und 250 mm tief abgehängt.

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Ein weiteres kniffliges Detail ergab sich im großen Treppenhaus: Dort trifft der älteste Gebäudeteil auf ein jüngeres, aus dem 17. Jahrhundert stammendes Bauteil, allerdings an keiner Stelle im rechten Winkel. „Hier wurden die Wände nicht in der Flucht der vorhandenen Unterzüge montiert, sondern spitzwinklig unter dem Unterzug, sodass sich ein Teil der Wände neben dem Unterzug befanden. Jedes Mal, wenn die Wand neben dem Unterzug ,weglief’, lagen wir außerhalb der zulässigen Wandhöhe. Hier haben wir dann eine Sonderkonstruktion seitlich am Unterzug befestigt und mit ,Glasroc F 25’-Brandschutzplatten verkleidet, damit waren wir dann wieder in der zulässigen Höhe. Ein hilfreicher Nebeneffekt: Durch diese Sonderkonstruktion konnten auch die Elektroleitungen ohne weitere Maßnahmen zulassungskonform abgeschottet werden“, erklärt Rolf Trautwein.

Brandschutzdecken mit komplexer Haustechnikführung
Ebenso aufwändig und komplex gestalteten sich die Deckenarbeiten, in deren Vorfeld verschiedene Muster zur Begutachtung durch den Planer und Vertreter des Landesamtes für Denkmalpflege erstellt wurden. In den öffentlich genutzten Räumen des Erdgeschosses etwa sollte die Holzbalken-Geschossdecke (eingestuft nach Bauart IV) brandschutztechnisch auf F 60 ertüchtigt werden. „Als Sichtdecke war darüber hinaus eine vom Schreiner gefertigte Holzlamellendecke vorgesehen. Aufgrund des Gewichtes der Sichtdecke von immerhin rund 30 kg/m² haben wir zunächst die Noniusabhänger für die Lamellendecke an den Holzbalken der Rohdecke montiert. Erst danach wurde die Unterkonstruktion für die eigentliche Brandschutzdecke zwischen 0 und 250 mm tief abgehängt und mit einer Lage der hochleistungsfähigen Brandschutzplatten ,Glasroc F’ von Rigips in einer Stärke von 20 mm beplankt. Dann folgte in Abstimmung mit dem Schreiner die Montage der CD-Unterkonstruktion für die Sichtdecken“, so Rolf Trautwein.

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Insbesondere das Thema Haustechnik erforderte Flexibilität und viel Ideenreichtum von Rolf Trautwein und seinem Team. Kabeltrassen und Medienleitungen sollten komplett über den Sichtdecken verschwinden. Vor Ort wurden daher mithilfe der hochleistungsfähigen Brandschutzplatten „Glasroc F“ von Rigips zahlreiche Kabelkanäle zur Leitungsführung auf Maß angefertigt und in die Deckenkonstruktion integriert.

Insbesondere das Thema Haustechnik erforderte Flexibilität und viel Ideenreichtum von Rolf Trautwein und seinem Team. „Kabeltrassen, Medienleitungen, die gesamte Haustechnik sollten komplett über den Sichtdecken verschwinden und mussten zwingend so untergebracht werden, dass die historischen Holzkonstruktionen weder beschädigt noch angebohrt werden mussten, was letztlich eine Bekleidung der Leitungen verlangte.“ In enger Abstimmung mit der Denkmalschutzbehörde habe man hierfür zunächst die genauen Leitungswege festgelegt, so Rolf Trautwein weiter. „Alle Leitungen, die eine Balkenlage oder das Tragwerk querten, mussten bekleidet werden. Wo das aufgrund einer zu geringen Raumhöhe und mangelnder Abhängtiefe nicht möglich war, kamen erneut die ,Rigips Glasroc F’-Platten zum Einsatz, aus denen wir dann vor Ort Kabelkanäle auf Maß angefertigt und oberhalb der Balkenlage verlegt haben. Viele solcher brandschutztechnischen Details finden sich im gesamten Gebäude.“

Hochwertige Optik der Trockenbaukonstruktionen betont die historische Bausubstanz
In den diversen Büroräumen, Besprechungszimmern und Sitzungssälen erhielten die abgehängten Deckenflächen eine 40 mm starke Mineralwolleauflage und eine Beplankung mit „Rigips Bauplatten RB“. „Um die Noniusabhänger an den Holzbalken befestigen zu können, mussten in allen Räumen ,Sondierungsöffnungen’ hergestellt werden, welche vor der Beplankung der Decke wieder verschlossen und verspachtelt wurden.“

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Beplankt wurde die Brandschutzdecke mit einer Lage „Rigips Glasroc F 20“.

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Holzlamellen bilden heute die Sichtdecke im neuen Erdgeschoss des Tübinger Rathauses.

Im Großen Sitzungssaal wurden zwischen den repräsentativen Balkenlagen Deckenfelder aus einer Lage „Rigips Bauplatten RB“ erstellt und in den Lüftungsbereichen mit umlaufenden Schattenfugen versehen. „In anderen Räumen mussten die Sichtdecken sehr exakt an Holzbalken oder die Bestandswände angearbeitet werden, was aufgrund der gegebenen, für ein Bauwerk dieses Alters normalen Maßabweichungen mit erheblichem Aufwand verbunden war“, so Rolf Trautwein. Diese zeitintensiven Arbeiten an den vielen Details zeigt aus Sicht des Trockenbauprofis einmal mehr die Besonderheit dieses einzigartigen Projekts. Auch wenn für ihn und sein Team die brandschutztechnische Ertüchtigung im Vordergrund stand, so mussten doch auch durchgehend hohe Ansprüche an die Optik der Trockenbaukonstruktionen erfüllt werden. „Die dezente Hochwertigkeit der neu eingebrachten Konstruktionen unterstreicht an vielen Stellen die historische Bausubstanz, die den charakteristischen Reiz des Tübinger Rathauses ausmacht.“

Lange Zeit verborgen: der ehemalige württembergische Hofgerichtssaal
Bei aller Vielfalt der ausgeführten Sanierungsmaßnahmen, die Rolf Trautwein und sein Mit-arbeiterteam im Tübinger Rathaus umsetzen und begleiten durften – so wurde in einigen Räumen mithilfe von „Rigidur Estrichelementen“ auch noch ein neuer Fußbodenaufbau inklusive hochwertigem Brand- und Trittschallschutz geschaffen –, erinnert sich der Trockenbauprofi vor allem an eine räumliche Gegebenheit. „Im 1495 nachträglich errichteten dritten Obergeschoss befanden sich zu Beginn unserer Arbeiten noch sieben kleinere Büroräume, die im Zuge der Renovierung in den 1960er-Jahren mittels Trennwänden geschaffen wurden. Erst nachdem wir diese komplett zurückgebaut hatten, zeigte sich die ganze Pracht und Dimension der Fläche: Wir standen inmitten des ursprünglich als Festsaal errichteten württembergischen Hofgerichtssaals, direkt über dem Dienstzimmer des Oberbürgermeisters. Der ursprüngliche und im wahrsten Sinne des Wortes historische Charakter des Raumes prägt nun den hier neu eingerichteten Sitzungssaal.“

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Arbeiten unter historischem Gebälk: Brandschutzwände, Vorwandinstallationen und Sichtdecken mussten exakt an Holzbalken und Bestandswände angearbeitet werden, was aufgrund der gegebenen, für ein Bauwerk dieses Alters normalen Maßabweichungen mit erheblichem Aufwand verbunden war. Im linken Foto sieht man die Montage der Brandschutzdecke in der Lüftungszentrale, rechts wird eine von zahlreichen Öffnungen für die TGA angepasst.

Die Achtsamkeit und die Professionalität, mit denen sich das Team der Bohle Innenausbau GmbH & Co. KG der historischen Bausubstanz und ihren Herausforderungen annahm, überzeugten die Fachjury der 10. Rigips Trophy 2015 I 2016. Für die Experten konnte dieses Sanierungsobjekt im Großen wie im Kleinen als technisch und handwerklich hoch anspruchsvolle Arbeit im historischen Bestand überzeugen, deren Endergebnis sofort ins Auge fällt. Auch die zahlreichen, heute nicht mehr sichtbaren Details, zum Beispiel bei der Führung der Haustechnikleitungen, wurden mit großem Einfallsreichtum und in vorbildlich enger Abstimmung mit den Planern und dem Landesamt für Denkmalpflege gelöst.

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Im großen Ratssaal wurden zwischen den repräsentativen Balkenlagen Deckenfelder aus einer Lage „Rigips Bauplatten RB“ erstellt und in den Lüftungsbereichen mit umlaufenden Schattenfugen versehen.

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Im 1495 nachträglich errichteten dritten Obergeschoss befanden sich zu Beginn der Arbeiten noch sieben kleinere Büroräume, die im Zuge der Renovierung in den 1960er-Jahren mittels Trennwänden geschaffen wurden. Erst nachdem diese komplett zurückgebaut waren, offenbarte sich der einst als Festsaal errichtete württembergische Hofgerichtssaal. Der ursprüngliche und im wahrsten Sinne des Wortes historische Charakter des Raumes prägt nun den hier neu eingerichteten Sitzungssaal.

Fotos: Rolf Trautwein

  Quelle: baumarketing.com GmbH


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