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Ein- und Ausbaukosten: Haftung des Verkäufers?

05.03.2013

In Bauunternehmerkreisen hat in den letzten Monaten die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs sowie des Bundesgerichtshofs zu den Ein- und Ausbaukosten für erhebliche Irritationen gesorgt. Im Kern geht es dabei um die Frage, inwieweit der Käufer, also insbesondere der verarbeitende Handwerker, bei seinem Verkäufer Regress für die durch den Ausbau der mangelhaften und den Wiedereinbau einer mangelfreien Sache entstehenden Kosten nehmen kann.

Als Beispiel mag hierfür folgender Fall dienen: Fliesenleger AN baut im Hause des AG, einer Privatperson, hochwertige Fliesen ein. AN kauft die Fliesen bei seinem Baustoffhändler B. Dieser wiederum bezieht die Fliesen vom Hersteller H und lässt sie direkt vom Hersteller an die Baustelle liefern. Später stellt sich heraus, dass die Fliesen mangelhaft sind, was auf eine fehlerhafte Herstellung im Werk des H zurückzuführen ist. AG verlangt von AN die Neuverlegung der mangelhaften Fliesen. AN reißt daraufhin die mangelhaften Fliesen wieder heraus, wobei auch der Estrich beschädigt wird, sodass dieser neu verlegt werden muss. Anschließend baut AN neue, mangelfreie Fliesen wieder ein. Die benötigten, mangelfreien Fliesen liefert ihm B.

AN möchte jedoch auch die erheblichen Ein- und Ausbaukosten, insbesondere die Kosten für die Neuherstellung des Estrichs, entweder von B oder von H ersetzt bekommen. B wendet ein, er habe den Mangel der Fliesen nicht verschuldet und hafte daher nicht für die Ein- und Ausbaukosten. Im Übrigen habe AN die erkennbar mangelhaften Fliesen nicht bereits bei der Anlieferung gerügt. H wendet ein, zu AN bestehe keine Vertragsbeziehung. Wer hat Recht?

Bereits im Jahre 2008 hat der BGH in der so genannten „Parkettstäbchenentscheidung“ (Urteil vom 15.07.2008, Az.: VIII ZR 211/07) entschieden, dass der Verkäufer einer mangelhaften Ware nur die Ersatzlieferung der mangelfreien Ware, nicht aber die Ein- und Ausbaukosten schuldet. Dies ergibt sich nach Auffassung des BGH aus § 439 Abs. 1 BGB. Danach schulde der Verkäufer nur die Lieferung einer mangelfreien Sache, nicht jedoch diejenigen Kosten, die für den Ausbau der mangelhaften und den Wiedereinbau der mangelfreien Sache erforderlich sind.

Etwas anderes gelte nur dann, wenn der Verkäufer die Mangelhaftigkeit der Sache zu vertreten (also vorsätzlich oder fahrlässig verschuldet) hat. Dieses Ergebnis ist nach unserer Auffassung keineswegs zwingend. § 439 Abs. 2 BGB bestimmt nämlich, dass der Verkäufer auch die zum Zwecke der Nacherfüllung erforderlichen Aufwendungen, insbesondere Transport-, Wege-, Arbeits- und Materialkosten zu tragen hat.

Diese Vorschrift legt der BGH für das Kaufrecht allerdings in der Weise eng aus, dass damit nur die Nebenkosten für die neue Lieferung der Ware, nicht aber die Ein- und Ausbaukosten gemeint seien. Für den obigen Beispielfall bedeutet dies Folgendes: Zweifelsfrei schuldet AN dem AG ein mangelfreies Werk, denn zwischen diesen beiden Parteien besteht ein Werkvertrag. Im Werkvertragsrecht haftet der Werkunternehmer verschuldensun-abhängig für die Beseitigung aller Mängel einschließlich der für die Mängelbeseitigung aufzuwendenden Kosten (§ 635 BGB). Hier nämlich legt ein anderer Senat des BGH die (im Übrigen mit § 439 Abs. 2 BGB wortgleiche!) Vorschrift des § 635 Abs. 2 BGB weit dahingehend aus, dass die Nacherfüllungskosten und damit auch die Ein- und Ausbaukosten geschuldet sind. AN hat also nicht nur die Kosten der neuen, mangelfreien Fliesen, sondern auch die Kosten des Ein- und Ausbaus sowie die für den Einbau der Fliesen erforderliche Wiederherstellung des Estrichs zu tragen.

Für den Verkäufer, den Baustoffhändler B, gilt dies indessen nicht. Er haftet vielmehr nur, wenn er den Schaden zu vertreten, also vorsätzlich oder fahrlässig verursacht hat. Dies ist im Beispielsfall nicht so, denn der Schaden ist im Werk des H entstanden. Aber auch bei H kann AN sich nicht schadlos halten. Ein vertraglicher Schadensersatzanspruch scheidet schon deshalb aus, weil zwischen H und AN keine Vertragsbeziehung besteht. Auch ein Anspruch des AN gegen H aus den Vorschriften des Produkthaftungsgesetzes wird regelmäßig nicht gegeben sein, denn gemäß § 1 Abs. 1 Satz 2 ProdHaftG haftet der Hersteller für Sachbeschädigungen nur an dritten Sachen, nicht jedoch an dem Produkt selbst. Der Schaden am Estrich entstand auch nicht durch die mangelhaften Fliesen, sondern durch deren Ausbau. Aus alledem folgt, dass AN gegenüber AG die Ein- und Ausbaukosten allein zu tragen hat und sich weder beim Verkäufer noch beim Hersteller hinsichtlich der Ein- und Ausbaukosten schadlos halten kann.

Weiter verkompliziert wird die Situation für AN durch die Vorschrift des § 377 HGB. Diese Vorschrift besagt, dass Käufer einer Ware diese unverzüglich nach der Lieferung durch den Verkäufer zu untersuchen und, wenn sich ein Mangel zeigt, er diesen dem Verkäufer anzuzeigen hat. Unterlässt der Käufer diese Anzeige, so gilt nach dem Gesetz die Ware als genehmigt, es sei denn, der Mangel war bei der Untersuchung nicht erkennbar. Dies alles gilt allerdings nur, wenn der Kaufvertrag für beide Seiten ein Handelsgeschäft ist, beide Seiten also Vollkaufleute sind. Dies dürfte allerdings in der Beziehung zwischen dem Handwerker und dem Baustoffhändler praktisch immer der Fall sein.

An § 377 HGB scheitern mutmaßlich mehr Regressansprüche gegenüber dem Verkäufer als an der oben dargestellten Rechtsprechung. § 377 HGB gilt nämlich insbesondere auch dann, wenn die hergestellte Ware zwar individuell gefertigt, der Schwerpunkt der Lieferung jedoch auf dem Kauf und somit ein Werklieferungsvertrag (§ 651 BGB) vorliegt. So muss etwa der Handwerker, der einen fertig abgebundenen Dachstuhl im Werk bestellt, um diesen anschließend auf dem Bauwerk zu errichten, auch diesen individuell gefertigten Abbund unverzüglich nach Lieferung prüfen und erkennbare Mängel gegenüber dem Verkäufer unverzüglich rügen. Gleiches gilt etwa für den Besteller individuell für das Bauwerk gefertigter Filigrandecken. Versäumt der Käufer diese Rüge und stellt sich heraus, dass der Mangel für ihn erkennbar war, so haftet der Verkäufer noch nicht einmal auf die Lieferung einer neuen, mangelfreien Sache, und zwar unabhängig davon, ob er den Mangel verschuldet hat oder nicht! Wäre also die Behauptung des B, der Mangel sei bei Anlieferung erkennbar gewesen, zutreffend, so müsste B noch nicht einmal neue, mangelfreie Fliesen liefern, geschweige denn die Ein- und Ausbaukosten tragen.

In einer Entscheidung aus dem Jahre 2011 hat allerdings nun der Europäische Gerichtshof (Urteil vom 16.06.2011, Az.: C-65/09, C-87/09) diese Rechtsprechung des BGH teil-weise in Frage gestellt. Dabei hatte sich der EuGH mit einem eher ungewöhnlichen Fall zu befassen: Dieser wich von dem hiesigen Beispielsfall nämlich insoweit ab, als Käufer der Fliesen nicht der Fliesenleger, sondern vielmehr der Bauherr war. Nachdem sich auch dort die mangelhafte Herstellung der Fliesen herausstellte, wandte sich der Bauherr und Käufer der Fliesen nicht etwa an seinen
Fliesenleger, sondern vielmehr an den Verkäufer der Fliesen.

Dieser lieferte zwar dem Käufer neue, mangelfreie Fliesen, weigerte sich jedoch unter Hinweis auf die obige Rechtsprechung des BGH, auch die Ein- und Ausbaukosten zu übernehmen. Dies hielt der EuGH aufgrund einer Verbraucherschutzrichtlinie der EU für rechtswidrig und urteilte, dass jedenfalls einem Verbraucher die Ein- und Ausbaukosten durch den Verkäufer unabhängig von dessen Verschulden zu ersetzen seien.

Diese Entscheidung des EuGH gab Anlass zu der Hoffnung, dass der BGH nunmehr seine Rechtsprechung ändern werde. In Bezug auf die Fälle, an denen auf der Käuferseite ein Verbraucher beteiligt ist, hat der BGH dies inzwischen auch getan. Mit Urteil vom 17. Oktober 2012 (Az.: VIII ZR 226/11) hat er entschieden, dass § 439 Abs. 1 BGB europarechtskonform dahingehend auszulegen sei, dass bei Beteiligung eines Verbrauchers bei einer mangelhaften Kaufsache der Verkäufer auch die Ein- und Ausbaukosten zu tragen habe. Zugleich hat der BGH jedoch auch entschieden, dass diese europarechtskonforme Auslegung nur beim Verbrauchsgüterkauf geboten ist und sich folglich nicht auf Kaufverträge zwischen Unternehmern erstreckt. Im Ergebnis führt dieses Urteil des BGH zu einer „gespaltenen“ Auslegung des § 439 Abs. 1 BGB. Ist der Käufer ein Verbraucher, so schuldet der Verkäufer die Ein- und Ausbaukosten. Ist der Käufer hingegen Unternehmer, beispielsweise ein Bauhandwerker, so bleibt es dabei, dass der Verkäufer die Ein- und Ausbaukosten nicht schuldet.

Abschließend ist noch die Frage zu klären, ob der obige Beispielsfall dann anders zu beurteilen wäre, wenn AN die Fliesen nicht von B, sondern direkt vom Hersteller H bezogen hätte. Das wäre jedenfalls dann der Fall, wenn AN darlegen und beweisen kann, dass H den Mangel der Fliesen verschuldet hat. § 439 Abs. 1 BGB regelt nämlich nur die verschuldens-unabhängige Haftung des Verkäufers. Hat der Verkäufer den Mangel hingegen verschuldet, so haftet er gemäß §§ 437 Nr. 3, 440, 280, 281 BGB auf den vollen Schadensersatz einschließlich der Ein- und Ausbaukosten.

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Fazit: Die hier dargestellte Rechtsprechung führt zu einer eklatanten Haftungslücke für den Bauhandwerker. Er schuldet seinem Auftraggeber uneingeschränkt die Herstellung eines mangelfreien Werkes einschließlich des dafür notwendigen Aus- und Wiedereinbaus. Überwindet er die Hürde des § 377 HGB, so kann er sich bei seinem Verkäufer (dem Baustoffhändler) zwar hinsichtlich der mangelhaften Sache, nicht aber hinsichtlich der - möglicherweise wesentlich höheren - Ein- und Ausbaukosten schadlos halten, da der Verkäufer in aller Regel den Mangel der Kaufsache nicht zu vertreten haben wird. Leider lässt sich dieses Haftungsrisiko für den Handwerker auch nicht praktikabel umgehen. Zwar wird teilweise empfohlen, der Handwerker solle bei der Lieferung von Ware auf so genannte „Streckengeschäfte“ (Lieferung der Ware direkt vom Hersteller oder Großhändler an die Baustelle ohne Umweg über den Baustoffhändler, siehe Beispiel) verzichten. Dann nämlich ließe sich argumentieren, dass der Baustoffhändler seinerseits den Mangel hätte bemerken müssen und seiner Rügepflicht nicht nachgekommen ist. § 377 HGB führt jedoch lediglich zu einem Rechtsverlust bei demjenigen, der die Rüge nicht rechtzeitig erhebt. Ob damit allerdings Rechte Dritter, insbesondere des Käufers, entstehen, ist indes mehr als zweifelhaft. Davon abgesehen dürfte diese Variante kaum jemals praktikabel sein.

Vor dem Hintergrund dieser unbefriedigenden Situation haben die bauwirtschaftlichen Verbände nun intensive politische Aktivitäten entfaltet, um einen Gleichlauf der Haftung von Verkäufer und Werkunternehmer zu erreichen. Erste Erfolge stellen sich ein: So hat das Bundeskabinett davon abgesehen, die EuGH Rechtsprechung bei der Umsetzung der Richtlinie zu zementierten, indem die „gespaltene“ Haftung des Verkäufers in das Gesetz selbst aufgenommen wird. Spannend bleibt aber die Frage, ob es gelingen wird, die verschuldensunabhängige Haftung des Käufers ebenso wie beim Werkunternehmer auf die Nebenkosten des Aus- und Einbaus zu erstrecken. Erste Äußerungen aus Kreisen des Bundesrates deuten in diese Richtung.

  Quelle: RA Michael Seitz


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