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Eine Gesamtvergabe setzt umfassende Abwägung voraus!

19.11.2019

von RA Michael Werner

Die Vergabekammer (VK) Westfalen hat mit Beschluss vom 04.09.2019 – VK 2-20/19 – folgendes entschieden:

• Die Fachlosvergabe ist der Regelfall. Eine Gesamtvergabe ist nur in Ausnahmefällen zulässig.

• Für eine Gesamtvergabe der Leistungen genügt es nicht, einseitig darzustellen, welche positiven Effekte und negativen Begleiterscheinungen eine Fachlosvergabe erwarten lässt.

• Der Auftraggeber muss sich in besonderer Weise mit dem Gebot einer Fachlosvergabe und den dagegen sprechenden Gründen auseinanderzusetzen und dabei die widerstreitenden Belange umfassend gegeneinander abwägen.

Ein Landesbetrieb (AG) hatte den 6-streifigen Ausbau einer Autobahn für ca. 1,2 km im offenen Verfahren europaweit ausgeschrieben. Neben allen Bau- und Rückbauleistungen waren auch die Verkehrssicherungsleistungen Gegenstand des Gesamtauftrags. Lediglich für den Neubau der Lärmschutzwände, den Betrieb einer mobilen Stauwarnanlage, Markierungsarbeiten und den Neubau von Verkehrszeichenträgern waren eigenständige Fachlose vorgesehen. Speziell für die Verkehrssicherungsleistungen wies der AG in der Baubeschreibung darauf hin, dass der spätere Auftragnehmer eine Fachfirma mit der Erbringung der Verkehrssicherungsleistungen beauftragen sollte. Den Verzicht auf die Losvergabe begründete der AG mit einem reduzierten Koordinierungsaufwand, erhöhter Terminsicherheit und einem günstigeren Preis. Bieter A, ein auf Verkehrssicherheitsleistungen spezialisiertes Unternehmen, ging mit seiner Rüge gegen die beabsichtigte zusammengefasste Vergabe vor und beantragte nach Nichtabhilfe seiner Rüge Nachprüfung bei der VK.

Die VK gibt hier Bieter A Recht, da der AG mit der Gesamtvergabe der Bauleistungen zusammen mit den Verkehrssicherheitsleistungen gegen das Gebot der Fachlosvergabe aus § 97 Abs. 4 GWB verstoße. Nach ständiger Rechtsprechung habe die Fachlosvergabe die Regel zu sein; eine Gesamt- oder zusammenfassende Vergabe dürfe nach dem Willen des Gesetzgebers nur in Ausnahmefällen stattfinden. Solche Ausnahmen seien dem Gesetzeswortlaut nach gegeben, wenn wirtschaftliche oder technische Gründe erforderten, dass mehrere Teil- und Fachlose nach § 97 Abs. 4 Satz 3 GWB zusammen vergeben würden. Als für eine Gesamtvergabe zulässige Gründe seinen z. B. anerkannt worden, die Vermeidung einer unwirtschaftlichen Zersplitterung der Auftragsvergabe oder die Verringerung von Sicherheitsrisiken bei der Sicherheitstechnik eines großen Infrastrukturprojekts. Ein erhöhter Koordinierungsaufwand, die Vermeidung von „Gewährleistungsschnittstellen“ bzw. von Problemen bei der Mängelbeseitigung sei für sich allein jedoch nicht ausreichend, um eine Gesamtvergabe zu rechtfertigen, sondern vielmehr typische Folge einer Fachlosvergabe, die der AG grundsätzlich hinzunehmen habe. Das Vorhandensein von Gründen, die für die Gesamtvergabe sprächen, sei dabei nicht ausreichend. Vielmehr müsse sich der AG in besonderer Weise mit dem Gebot einer Fachlosvergabe und den dagegen sprechenden Gründen auseinandersetzen. Im Rahmen der dem AG obliegenden Entscheidung bedürfe es einer umfassenden Abwägung der widerstreitenden Belange, als deren Ergebnis die für eine zusammenfassende Vergabe sprechenden Gründe nicht nur anerkennenswert seien, sondern überwiegen müssten. Die vom AG anzustellende Abwägung und die darauf aufbauende Entscheidung sei von den Vergabenachprüfungsinstanzen nur darauf zu überprüfen, ob sie auf vollständiger und zutreffender Sachverhaltsermittlung und nicht auf Willkür beruhe. Dabei sei auch zu beachten, dass das Vergaberecht nicht nur Bieterrechte eröffne, sondern auch eine wirtschaftliche und den vom öffentlichen AG gestellten Anforderungen entsprechende Leistungsbeschaffung gewährleisten solle. Der öffentliche Auftraggeber als Nachfrager habe durch seine Ausschreibungen nicht bestimmte Marktteilnehmer zu bedienen. Vielmehr bestimme allein der Auftraggeber im Rahmen der ihm übertragenen öffentlichen Aufgaben den daran zu messenden Beschaffungsbedarf und die Art und Weise, wie dieser gedeckt werden solle. Der öffentliche AG müsse auch Ausschreibungen nicht so zuschneiden, dass sich bestimmte Unternehmen – auch wenn dies für sie von wirtschaftlichem Vorteil sei – daran beteiligen könnten.

Unstreitig sei hier zwischen den Beteiligten, dass die Leistungen der Verkehrssicherung grundsätzlich geeignet seien, um ein Fachlos zu bilden. Für diese Leistungen habe sich ein eigener abgegrenzter Markt gebildet, auf deren Erbringung sich einige Unternehmen, wie hier A, spezialisiert hätten. Bei A handele es sich auch um ein mittelständisches Unternehmen, dessen Interessen gerade durch § 97 Abs. 4 GWB geschützt werden sollten. Der AG bilde in anderen Ausschreibungen auch regelmäßig ein Fachlos für die Verkehrssicherungsleistungen, was er in der mündlichen Verhandlung auch mehrfach bekräftigt habe. Vorliegend habe er sich jedoch bewusst gegen eine Fachlosbildung entschieden und einer Gesamtvergabe der Leistungen der Verkehrssicherung mit den Bauleistungen den Vorzug gegeben.

Jedoch habe es der AG versäumt, die nach der Rechtsprechung gebotene umfassende Abwägung der widerstreitenden Belange vorzunehmen. So benenne der AG in seinem Vergabevermerk zwar mehrere Argumente, die für eine Gesamtvergabe der Leistungen sprächen, eine Auseinandersetzung mit den dem gegenüberstehenden Belangen finde, abgesehen von der Kenntnis des Bestehens einer Pflicht zur Fachlosbildung und der Einstufung der Verkehrssicherungsleistungen als Fachlos hinaus, jedoch nicht statt. Vielmehr führe der AG den Wegfall der Koordinierungsebene, den direkten Zugriff des Hauptunternehmers auf einen die Verkehrssicherungsleistungen erbringenden Nachunternehmer, sowie die Verkürzung der Bauzeit, unter anderem durch Auslobung eines Bonus für die Verkürzung der zur Fertigstellung geplanten Ausführungszeit aufzunehmen, als Argumente für sein Unterfangen an. Mithin handele es sich vorliegend nicht um eine Abwägung der widerstreitenden Belange im Sinne von § 97 Abs. 4 GWB, sondern vielmehr um eine lediglich einseitige Darstellung der durch den Verzicht auf die Fachlosvergabe der streitgegenständlichen Leistungen für den AG erstrebenswerten positiven Effekte und die negativen Begleiterscheinungen, die er bei einer Fachlosvergabe erwarte. Die mit der gemeinsamen Vergabe der Leistungen angestrebten Ziele seien für den AG im Allgemeinen zwar anerkennens- und wünschenswert, allerdings sei ihr Vorliegen allein nicht ausreichend, um von einer Fachlosvergabe abzusehen. Die Gründe müssten derart gewichtig sein, dass sie die nach § 97 Abs. 4 GWB geschützten mittelständischen Belange überwögen.

Darüber hinaus werde aus dem Vorbringen des AG auch nicht deutlich, warum die hier beschriebenen Rahmenbedingungen, wie die hohe Verkehrsdichte, die 11 Verkehrsphasen und die angrenzende Wohnbebauung eine Zusammenfassung der Bau- und Verkehrssicherungsleistungen gerade erforderten. Nach Auffassung der Kammer fehle es bei einigen der vorgebrachten Argumente an einem konkreten Zusammenhang mit dem Fachlos Verkehrssicherung, vielmehr handele es sich um Begleitumstände der Baumaßnahme selbst, die keinen technischen Grund im Sinne von § 97 Abs. 4 GWB darstellen würden.

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Anmerkung:
Gerade bei umfangreichen und technisch schwierigen Bauvorhaben wird vom AG gerne eine zusammengefasste bzw. Mischlos-Vergabe bevorzugt. Damit ist er aber zwingend aufgefordert, sich im Vorfeld sehr intensiv mit der äußerst restriktiven Vorschrift des § 97 Abs. 4 GWB auseinanderzusetzen, die die losweise Vergabe als Regel vorschreibt und die gerade von spezialisierten Unternehmen gerne als Angriffspunkt betrachtet wird. Die o. g. Entscheidung gibt dabei – der bisherigen Rechtsprechung folgend – wichtige Hinweise zur argumentativen Abwägung. Diese inhaltliche Abwägung, aus welchen konkreten Gründen auf eine losweise Vergabe verzichtet wird, muss dann im Vergabevermerk sehr sorgfältig dokumentiert werden, um nicht Gefahr zu laufen, das Verfahren wieder von vorne beginnen zu müssen.

  Quelle:


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