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Fehler im Leistungsverzeichnis darf der Bieter ausnutzen!

24.05.2013

Das OLG München hat mit Beschluss vom 4. April 2013 – Verg 4/13 – folgendes entschieden:

Das Erkennen und Ausnutzen von Unstimmigkeiten im Leistungsverzeichnis
unter entsprechender Berücksichtigung bei der Kalkulation ist zwar ein
Wettbewerbsvorteil für den findigen Bieter, doch ist diese Chance jedem
Beteiligten gleichermaßen eingeräumt und rechtfertigt nicht den Ausschluss
des Bieters wegen Unzuverlässigkeit.


Den Bieter trifft keine Verpflichtung, auf Fehler im Leistungsverzeichnis
hinzuweisen, soweit sich eine solche Hinweispflicht nicht aus den
Bewerbungsbedingungen ergibt.


Ein öffentlicher Auftraggeber (AG) hatte Brückenbauarbeiten europaweit im Offenen Verfahren ausgeschrieben. A lag mit seinem Angebot von ca. 1 Mio. Euro an erster Stelle. In zwei LV-Positionen für Beton- und Spannstahl hatte A sehr niedrige Einheitspreise angegeben. Zur Begründung erklärte er, er habe mit diesen Positionen – wie aus der Urkalkulation ersichtlich – positionsbezogene Nachlässe eingeräumt, sog. „Subventionsabschläge“. Die daraufhin durchgeführte Überprüfung der Mengenvordersätze durch den AG ergab, dass nur 18 t statt 35 t Betonstahl und nur 17 t statt 25 t Spannstahl hätten ausgeschrieben werden sollen. Der AG berechnete anhand eines mittleren Preisniveaus für Beton- und Spannstahl die beiden Positionen für das Angebot des A neu und kam so auf einen Mehrpreis für das Gesamtangebot von 44.000 Euro, wonach das Angebot des A nicht mehr an erster Stelle lag. Daraufhin hob der AG die Ausschreibung mit der Begründung auf, die Bieter hätten Anspruch auf Aufhebung wegen möglicher Wettbewerbsverzerrungen. Nach Rüge beantragte A bei der Vergabekammer die Aufhebung der Aufhebung, da die preislichen Auswirkungen der angeblich überhöhten Mengensätze absolut marginal seien. Nach Zurückweisung des Antrags legt er sofortige Beschwerde beim OLG ein.

Das OLG gibt hier dem Bieter A Recht. Es liege hier kein Grund zur Aufhebung der Ausschreibung nach § 17 EG Abs. 1 Nr. 2 bzw. 3 vor. In Anbetracht des gesamten Volumens des Auftrags in Höhe von ca. 1 Mio. Euro sei die vom AG aufgrund angenommener Mittelpreise errechnete Preisdifferenz von 44.000 Euro von so untergeordneter Bedeutung, dass sie keinesfalls zu einer Aufhebung der Ausschreibung zwinge. Auch das Argument des AG, durch das Verhalten des A sei eine Wettbewerbsverzerrung eingetreten, die eine Fortsetzung der Ausschreibung unmöglich mache, sei unzutreffend. Hier wäre eine Korrektur der jetzt vom AG als unzutreffend angesehenen Mengenvordersätze durch die Übersendung entsprechend korrigierter Leistungsverzeichnisse an die bisherigen Bieter ohne weiteres möglich gewesen. Eine Wettbewerbsverzerrung trete nicht ein, da nach einer Korrektur alle bisherigen Bieter ihr Angebot neu hätten kalkulieren können, nicht nur Bieter A. A dürfte auch nicht wegen Unzuverlässigkeit mit dem Argument ausgeschlossen werden, dass er durch das Angebot der niedrigen Einheitspreise eine wettbewerbsverzerrende oder unlautere Verhaltensweise an den Tag gelegt hätte. Das OLG betont, dass die Kalkulation ureigenste Aufgabe des Bieters sei; es obliege seiner Entscheidungsfreiheit, wie hoch er bei einzelnen Positionen seinen Gewinn kalkuliere und ob er nicht auch bei korrekten Mengensätzen einen Subventionsabschlag vornehmen wolle. In der Ausnutzung von Fehlern im LV liege nicht generell eine unlautere Verhaltensweise. Es bestehe für den Bieter nach den Bewerbungsbedingungen keine Hinweispflicht auf Mängel des LV. Eine Hinweispflicht ergebe sich nur bei Unklarheiten. Das LV sei aber nicht unklar, da es eindeutig die Mengenvordersätze enthalte. Auch eine darüber hinaus gehende Hinweispflicht des Bieters auf eventuell überhöhte Vordersätze habe nicht bestanden. Denn über die sich aus den Bewerbungsbedingungen ergebende Pflicht, auf Unklarheiten hinzuweisen, könne diese Pflicht nicht hinausgehen. Hier hätten die Bewerbungsbedingungen jedoch solche Hinweispflichten nicht enthalten.

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Anmerkung:
Die Entscheidung ist deshalb von besonderem Interesse, da sie eindeutig feststellt, dass den Bieter keineswegs eine generelle Hinweispflicht auf Mängel des Leistungsverzeichnisses trifft. Auftraggeber wie Auftragnehmer verfolgen unterschiedliche wirtschaftliche Interessen, so dass es nicht automatisch eine unlautere Verhaltensweise ist, Fehler im Leistungsverzeichnis zum eigenen wirtschaftlichen Vorteil zu nutzen. Ein Anhaltspunkt für ein sittenwidriges Verhalten durch Ausnutzen des erkannten Fehlers war hier aber nicht ersichtlich.

  Quelle: RA Michael Werner


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