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Führen formale Abweichungen zum Angebotsausschluss?

04.08.2020

von RA Michael Werner

Die Vergabekammer (VK) Berlin hat mit Beschluss vom 06.01.2020 – VK B 1-39/19 – folgendes entschieden:

• Zum Ausschluss führende Änderungen an den Vergabeunterlagen liegen (nur) vor, wenn der Bieter nicht das anbietet, was der öffentliche Auftraggeber ausgeschrieben hat, insbesondere von den Vorgaben der Vergabeunterlagen abweicht, indem eine inhaltliche Änderung der ausgeschriebenen Leistung, der Vertragsbedingungen oder der Preise erfolgt.

• Nicht jede noch so marginale formale Abweichung hat einen Angebotsausschluss zur Folge. Vielmehr sind Korrekturen in fehlerhaften unternehmensbezogenen Unterlagen grundsätzlich zulässig, wenn keine Manipulationsgefahr besteht und der Auftraggeber im Falle der Bezuschlagung des Angebots genau das erhält, was er beschaffen möchte.

• Sind Rechen- oder Schreibfehler offenkundig, ist eine Korrektur durch den Auftraggeber auch ohne Aufklärung angezeigt.

Ein öffentlicher Auftraggeber (AG) hatte Sicherheitsdienstleistungen in insgesamt 3 Losen europaweit ausgeschrieben. In den Vergabeunterlagen fand sich u.a. folgender Passus: "Bei Änderungen an den Ausschreibungsunterlagen ist ein Ausschluss ohne Aufklärung zwingend." Bieter A beteiligte sich mit einem Angebot auf Los 2. Er ist Rechtsnachfolger der X GmbH, worauf er im Angebot hinwies. Mit dem Angebot war ein Vordruck „Eigenerklärung zur Eignung“ ausgefüllt einzureichen, in dem die Anzahl der Beschäftigten und der Führungskräfte der letzten drei Jahre in eine Tabelle einzutragen waren, wobei die Jahresangaben 2016, 2017 und 2018 vom AG vorgegeben waren. In diesem Vordruck ergänzte A die Angaben des AG, indem er für das Jahr 2017 – aufgrund der Rechtsnachfolge – zweimal Angaben zu den Beschäftigten der verschiedenen GmbHs machte. Darauf schloss der AG den Bieter A wegen Änderung der Vergabeunterlagen aus. Bieter A war der Auffassung, durch Ergänzung der Unternehmensbezeichnung werde keine andere als die ausgeschriebene Leistung angeboten und wehrte sich gegen seinen Ausschluss mit Nachprüfungsantrag zur VK.

Die VK gibt Bieter A Recht. Die Ergänzung der Unternehmensbezeichnungen im Vordruck „Eigenerklärung zur Eignung" stellten keine Änderung der Vergabeunterlagen dar, die zum Ausschluss des Angebotes führten. Nach der Rechtsprechung lägen Änderungen an den Vergabeunterlagen, die nach §§ 53 Abs. 7 S. 1, 57 Abs. 1 Nr. 4 VgV zum Ausschluss führten, dann vor, wenn der Bieter nicht das anbiete, was der öffentliche Auftraggeber ausgeschrieben habe, sondern von den Vorgaben der Vergabeunterlagen abweiche, mithin wenn eine inhaltliche Änderung der ausgeschriebenen Leistung, der Vertragsbedingungen oder der Preise erfolge. Anders als der AG hier meine, führten nicht jegliche Änderungen zu einem Ausschluss nach §§ 53 Abs. 7, 57 Abs. 1 Nr. 4 VgV. Denn ausweislich der Verordnungsbegründung diene die Regelung der Vorbeugung der Gefahr, dass der Auftraggeber ein Angebot bezuschlage, das nicht den Anforderungen entspreche bzw. der Sicherstellung, dass die Angebote den Vergabeunterlagen vollständig entsprächen und damit die Vergleichbarkeit der Angebote gewährleisteten. Nach dem Willen des VgV-Verordnungsgebers liege eine von § 57 Abs. 1 Nr. 4 VgV umfasste Änderung der Vergabeunterlagen dann vor, wenn im Ergebnis eine andere als die ausgeschriebene Leistung angeboten werde. Damit werde deutlich, dass der Verordnungsgeber nicht jede noch so marginale formale Abweichung mit einem Angebotsausschluss sanktionieren wolle.

Sinn des Vergabeverfahrens sei es auch, das wirtschaftlichste Angebot zu wählen und ein solches nicht an formaljuristischen Gesichtspunkten scheitern zu lassen. So habe auch der BGH (Urteil vom 18.06.2019 - X ZR 86/17) entschieden, dass eine manipulative und damit mit dem Ausschluss zu sanktionierende Änderung der Vergabeunterlagen dadurch gekennzeichnet sei, dass bei Hinwegdenken der Abweichung kein vollständiges, sondern ein lückenhaftes Angebot vorliege. Er begründe dies mit dem in der Entscheidung aufgezeigten Wertungswandel einer nicht mehr nach dem Gedanken formaler Ordnung geprägten Rechtsprechung und der damit angepassten Auslegung der vergaberechtlichen Bestimmungen. Auch wenn diese Entscheidung zur VOB/A ergangen sei, lasse sie sich dennoch auf den vorliegenden Fall übertragen, denn es gebe keinen sprachlichen Unterschied zwischen § 13 EU Abs. 1 Nr. 5 S. 2 VOB/A und § 53 Abs. 7 S. 1 VgV und auch sonst keinen Grund, einen Unterschied in der Anwendung der Regelungen herzuleiten. Unabhängig von einem (möglichen) Wertungswandel liege aber jedenfalls in der Ergänzung von Unternehmensbezeichnungen kein manipulativer Eingriff. Nach bisheriger Recht-sprechung sowie der Verordnungsbegründung - und davon weiche der BGH auch nicht ab - seien jedenfalls nur Angebote auszuschließen, die den Inhalt der Angebote und damit der ausgeschriebenen Leistung abänderten.

Danach stellten die ergänzten Unternehmensbezeichnungen nach den o.g. Ausführungen und der Auslegung der Ergänzungen weder eine Gefahr für die Einhaltung der Grundsätze der Transparenz und Gleichbehandlung dar, noch bärgen sie für den Auftraggeber die Gefahr, im Falle der Bezuschlagung dieses Angebotes etwas anders zu erhalten als das, was er beschaffen wolle. Es handele sich nicht um Änderungen des eigentlichen Kerns der Vergabeunterlagen, nämlich der Leistungsbeschreibung oder der Vertragsbedingungen, sondern lediglich um Ergänzungen der vorgegebenen Spalten zur Eignungsprüfung und somit um Ergänzungen, die zum einen in der späteren Auftragsausführung nicht relevant seien, zum anderen um Angaben, die ohnehin detailliert geprüft werden müssten, so dass eine Ergänzung ohne Aufwand ins Auge falle. Denn wenn der Auftraggeber im Rahmen seines Bestimmungsrechts Angaben im Rahmen der Eignung fordere, sei auch davon auszugehen, dass er sich diese Angaben im Rahmen der Wertung anschaue und beurteile.

Die hier falsche Schreibweise der Unternehmensbezeichnung in der ersten Spalte zu den Angaben zu 2016 durch zwei "verdrehte" Buchstaben sei auch vor dem Hintergrund der Ausführungen im Anschreiben des A derart offensichtlich, dass dies einen Ausschluss ebenfalls nicht rechtfertige, sondern der AG dies selbst korrigieren könne und vorliegend auch müsse. Denn seien Rechen- oder wie vorliegend Schreibfehler derart offenkundig, sei eine Korrektur durch den Auftraggeber auch ohne Aufklärung angezeigt. Nach § 56 Abs. 2 S. 1 VgV seien Korrekturen in fehlerhaften unternehmensbezogenen Unterlagen grundsätzlich zulässig. Auch im Hinblick auf die vergaberechtlichen Grundsätze der Transparenz und Gleichbehandlung sei die Korrektur offensichtlicher Fehler oder die Klarstellung offensichtlicher Ungereimtheiten möglich, sofern eine inhaltliche Änderung des Angebots, welche einer Nachverhandlung gleichkäme, ausgeschlossen sei.

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Anmerkung:
Wie in der Entscheidung angesprochen, lässt sich diese 1:1 auch auf Bauvergaben übertragen, da die zitierten §§ 57 Abs. 1 Nr. 4 und 53 Abs. 7 VgV quasi inhaltsgleich mit §§ 16 Nr. 2 und 13 Abs. 1 Nr. 5 EU VOB/A sind. Im Rahmen dieser Vorschriften berechtigt - wie erläutert - nicht jede kleine formale Änderung der Vergabeunterlagen durch den Bieter den AG zum Angebotsausschluss. Vielmehr müssen tatsächlich inhaltliche Änderungen der Vergabeunterlagen vorliegen, um zum Ausschluss als „schärfstem Mittel“ zu greifen. Wichtig für Auftraggeber ist insbesondere der Aspekt, dass die klare Grenze für ein mögliches Nachsteuern oder eventuelle Korrektur eines Angebotes darin besteht, dieses nicht in wettbewerbswidriger Weise zu verbessern oder zu optimieren. Dies wäre auf jeden Fall vergaberechtswidrig.

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