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Getrennte Querungsstellen als Konfliktlösung

19.05.2016

Barrierefreies Bauen

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Mit Hilfe einer „Drei-Kreisel-Lösung“ wurde der Verkehrsfluss in der Bad Vilbeler Homburger Straße deutlich verbessert.

Bei der Überquerung von Straßen besteht zwischen seh- und mobilitätsbehinderten Menschen im Hinblick auf die Gestaltung von Querungsstellen ein Interessenkonflikt. Wünschen sich blinde Menschen möglichst eindeutig ertastbare Höhenunterschiede an Bordsteinanlagen, wie diese mit Bordsteinhöhen von 10 bis 12 cm bis in die 70er Jahre des letzten Jahrhunderts an Fußgängerfurten üblich waren, so benötigen Menschen mit Rollator oder Rollstuhl für niveaugleiche Straßenquerungen, um diese mit vertretbarem Kräfteaufwand passieren zu können. Niveaugleiche Querungsstellen stellen wiederum eine große Gefahr für blinde Menschen dar. Kann die Grenzlinie zwischen sicherem Geh- und gefährlichem Fahrbereich von ihnen nicht ertastet werden, geraten sie leicht auf die Fahrbahn und provozieren damit eine enorme Unfallgefahr. Wenn Rollstuhl- und Rollatornutzer eine möglichst niedrige, blinde Menschen dagegen eine hohe Bordsteinkante benötigen, liegt die Lösung für diesen Konflikt im Grunde auf der Hand: Es sind zwei Bereiche notwendig, die sich deutlich voneinander unterscheiden und den gegensätzlichen Bedürfnissen gerecht werden. Der Ansatz lautet: „Getrennte Querungsstellen mit differenzierter Bordsteinhöhe“. Ein gelungenes Beispiel hierfür zeigt die hessische Kurstadt Bad Vilbel, die bei der Neugestaltung von drei Kreisverkehren entlang einer stark frequentierten Straße genau diese Lösung gewählt hat.

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Aus der Vogelperspektive ist der Umbau der beiden vorhandenen lichtsignalgeregelten Knotenpunkte zu Kreisverkehren, sowie die Errichtung eines neuen Knotenpunktes westlich des Viaduktes - ebenfalls als Kreisverkehr gut zu erkennen.

Fotos: IMB-Plan GmbH

Die Homburger Straße ist eine wichtige Zufahrtstraße für Verkehrsteilnehmer, die sich über die Bundesstraße 3 der rund 32.000 Einwohner zählenden Quellenstadt Bad Vilbel nähern. Im Zuge der anstehenden städtebaulichen Neuordnung beschlossen die Stadtplaner bereits im Jahre 2012 eine Anpassung der Straße an die prognostizierten Verkehrsentwicklungen. Ein wesentliches Merkmal dieser Maßnahme war der Umbau der beiden vorhandenen lichtsignalgeregelten Knotenpunkte zu Kreisverkehren, sowie die Errichtung eines neuen Knotenpunktes westlich des Viaduktes – ebenfalls als Kreisverkehr. Dipl.-Ing. Matthias Wolf vom Ingenieurbüro IMB-Plan GmbH aus Frankfurt schildert die Hintergründe der Maßnahme. Der „Viadukt“-Kreisel soll die Verkehrsströme aus Massenheim regulieren. Über den Kreisel „Am Sportfeld“ und die im Ausbau befindliche Max-Planck-Straße wird der Quellenpark erschlossen und der neue P+R-Platz auf der Westseite anzufahren sein. Auch der Verkehr ins Schul- und Sportviertel wird überwiegend über diesen Kreisel geregelt. Schließlich dient der Kreisel „Massenheimer Weg“ unter anderem der Erschließung des geplanten, neuen Schwimmbades.“

Kreisverkehr bringt Schwierigkeiten für sehbehinderte Menschen

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Deutlich sichtbar: Die getrennte Querungsstelle verfügt links für sehbehinderte Menschen über farblich kontrastierte Tastborde mit einer Einbauhöhe von 6 cm, rechts daneben befindet sich der Übergang für mobilitätsbehinderte Personen - realisiert durch eine Nullabsenkung.

Neben der optimierten Anbindung der bestehenden Infrastruktur war die Verkehrsregulierung und Verkehrsberuhigung für die Planer ein wichtiger Aspekt der Baumaßnahme. Der Schallpegel sollte reduziert und die Schadstoffbelastung durch lange Wartezeiten an den Ampeln minimiert werden. Dabei stand die Sicherheit der Verkehrsteilnehmer im Mittelpunkt. Insbesondere die neu angelegten Querungsmöglichkeiten sollten deshalb barrierefrei gestaltet werden. Hierzu Matthias Wolf: „In Punkto Sicherheit haben Kreisverkehre im Vergleich zu signalgeregelten Knotenpunkten eine Reihe beachtlicher Vorteile: Die niedrige Geschwindigkeit der durchfahrenden Fahrzeuge und die bessere Übersichtlichkeit führen dazu, dass sich weniger Unfälle ereignen und dass Unfälle glimpflicher ablaufen. Gleichzeitig kann dabei der Verkehrsfluss gesteigert werden. Es entstehen weniger Abgase, weniger Lärm und geringere Wartungskosten gegenüber einer Ampellösung. Rollstuhl- und Rollatornutzer kommen in aller Regel mit dieser Verkehrssituation gut zurecht. Sehbehinderte Menschen dagegen kann sie vor erhebliche Schwierigkeiten stellen. Während bei einer Kreuzung der Weg einzelner Fahrzeuge über das Gehör relativ gut verfolgt werden kann, ist dies bei einem Kreisverkehr kaum möglich, denn die akustische Richtungsunterscheidung der Verkehrsströme ist hier nur schwierig zu beurteilen. Zudem gibt es keine hörbaren Ruhephasen in den Verkehrsströmen, wie beispielsweise an lichtsignalgesteuerten Kreuzungen. Ein diffuser Geräusche-Brei lässt einen blinden Menschen z. B. nicht erkennen, ob ein Fahrzeug an der Stelle ausfährt, an der queren möchte“, so Wolf.

Getrennte Bereiche mit differenzierter Bordsteinhöhe

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Getrennte Querungsstelle: Rechts taktile und optische Bodenindikatoren, die sehbehinderte Menschen an die Fahrbahn heranführen – links eine ausreichend breit angelegte Fläche, die sich mit Hilfe entsprechender Übergangssteine auf Fahrbahnnieveau absenkt.

Aus diesem Grund setzten die Planer hier bei allen 9 neu geschaffenen Querungsstellen auf getrennte Bereiche mit differenzierter Bordsteinhöhe. Die Querungsbereiche für sehbehinderte Menschen weisen eine Bordhöhe von 6 cm auf, der Tastbord dient dabei als taktiles Element. Daneben führt die "Nullabsenkung" mit Bordhöhe 0 cm vom Gehweg- auf das Straßenniveau hinab. Zwischen diesen beiden Ebenen und zu den benachbarten Borden mit üblichen Höhen von 10 bis 12 cm gleichen "Adapter" die Höhenunterschiede aus. Matthias Wolf ergänzt: „Mit Rücksicht auf gehbehinderte Menschen müssen Nullabsenkungen zwar so breit wie nötig, für sehbehinderte Menschen aber so schmal wie möglich gestaltet sein, denn der Blindenstock sollte bei normalem Pendeln zumindest einen Rest der Bordsteinkante erfassen. Daraus folgt, dass die Nullabsenkung nicht schmaler sein darf als 90 cm, vor allem aber nicht breiter sein sollte als 100 cm. Außerdem sollte die gesamte Absenkung inklusive Adapter von Null auf drei Zentimeter Höhe nur eine maximale Breite von 1,50 m aufweisen.“

Komplettsystem ermöglicht Bau normgerechter Querungsstellen aus einem Guss

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Optisch aus einem Guss: aus dieser Perspektive sind die unterschiedlichen Bordhöhen der getrennten Querungsstelle kaum zu erkennen.

Die Entscheidung für die Materialwahl fiel auf ein spezielles Bordsteinsystem der Firma Hermann Meudt. Der Bordsteinspezialist aus Wallmerod bietet mit den Bordsteinkomponenten "Fase 2" und "0-Absenkung" zwei Systemlinien, mit denen beliebige getrennte Querungsstellen errichtet werden können. Matthias Wolf: „Mit den dazugehörigen Bodenindikatoren und einer Reihe von Adaptersteinen ist es möglich, mit hoher Individualität den gesetzlichen Forderungen gerecht zu werden. Das Komplettsystem der Firma Meudt ermöglicht zudem eine Gestaltung der Querungsstellen aus einem Guss.“

Am 29.06.2015 wurde für die drei Kreisel die offizielle Verkehrsfreigabe erteilt. Im Verlauf der Bauarbeiten seit Mai 2014 wurden für rund 4,1 Millionen Euro 4.670 m Bordsteine, 8.000 m² Pflasterfläche und 8.850 m² Asphaltierung eingebracht. Außerdem wurden Rohrleitungen in einer Gesamtlänge von 1.325 m vergraben. Auch Gas-, Wasser- und Stromleitungen wurden erneuert und die Straßenbeleuchtung mit zeitgemäßer LED-Technik ausgestattet.

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MEUDT-Komplettsystem: Aus der Bordanlage (FB 30 x 25) wird mit Hilfe eines Übergangssteines zunächst stufenlos abgesenkt auf Nullniveau, danach übergeleitet per Übergangsstein 0-3-6 auf die passende Bordhöhe für sehbehinderte Menschen.

Fotos: Hermann MEUDT Betonsteinwerk GmbH

  Quelle: www.meudt-betonsteinwerk.de


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