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Großbauprojekte: Erfolg trotz Komplexität?

24.04.2013

von Fabian Hesse

Negativimage großer Bauprojekte in Deutschland stört Baubranche und Politik. bauingenieur24 befragte Unternehmen in Deutschland und der Schweiz zu Erfolgsrezepten. Transparenz und Entscheidungskompetenz neben Planungstiefe für Projekterfolg wichtig.

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Blick über BER: Im Norden mit dem Flughafen Berlin-Schönefeld.

Foto: Alexander Obst / Marion Schmieding / Flughafen Berlin Brandenburg GmbH


Es ist ein buchstäblich sprichwörtlicher Dreiklang geworden: Stuttgart21, Elbphilharmonie, Berliner Großflughafen. Wann immer die allgemeine Debatte um fehlgeleitete Großbauprojekte in Deutschland geführt wird, liegen diese Beispiele sofort auf dem Tisch. Was vordergründig mit Ortsbezeichnungen gekennzeichnet ist, bezieht sich gleichzeitig auf eine ganze Reihe namhafter Personen. Deren Auftreten und mehr oder weniger bekannte Charakterzüge sind für die Außenwahrnehmung der jeweiligen Projekte zentral. Als der erfahrene Bauingenieur und Projektleiter Horst Amann im August letzten Jahres zum Technischen Geschäftsführer am Berliner Großflughafen berufen wurde, stieg mit ihm laut Handelsblatt ein "kompromissloser, harter Knochen" in das Unternehmen ein. "Genau diese Eigenschaften sind es, die er bei seinem künftigen Job dringend brauchen wird", hieß es weiter.

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Erfolgreiches Großprojekt: Der erste deutsche Offshore-Windpark alpha ventus produziert seit 2010 klimafreundliche Energie für rund 70.000 Haushalte im Jahr.

Foto: AREVA Multibrid / Jan Oelker


Erfahrung und Standhaftigkeit
"Wichtig für den Erfolg großer Projekte ist, dass an entscheidender Position Menschen mit Erfahrung und Standing sitzen", sagt auch Dierk Mutschler, Partner und Vorstand der deutschen Drees & Sommer AG. Diese Erkenntnis ist ein Ergebnis einer Hintergrundrecherche des Informationsdienstes bauingenieur24, welcher der Frage nachging, was in Deutschland getan werden kann, um geplante Großprojekte erfolgreicher umzusetzen. Dazu sprach das Online-Magazin für Bauingenieure auch mit dem Präsidenten des Verbandes Beratender Ingenieure (VBI) sowie mit je einem seit Jahren mit der Realisierung von Großbauprojekten beauftragten Unternehmen aus Deutschland und der Schweiz. Sowohl von Verbands- als auch von Unternehmensseite wird der Ruf nach einem besseren Konzept für regionale und nationale Großbauprojekte immer lauter. Der Hauptverband der Deutschen Bauindustrie (HDB) sprach sich im März deutlich für die Einrichtung einer von der Bundesregierung geplanten "Reformkommission Bau von Großprojekten" aus. Beim VBI dürfte dieser Vorschlag ebenfalls positiv aufgenommen worden sein. Anfang des Jahres schon warb dessen Präsident, Volker Cornelius, für eine zentrale Stabsstelle speziell für das Mega-Großprojekt Energiewende.

Mängel und Fehlentwicklungen
Auf Nachfrage von bauingenieur24 konkretisierte Cornelius seine Einschätzung des Status quo der Energiewende in Deutschland: "Die bisherigen Erfahrungen zeigen, dass es an Koordinierung und umfassender Planung fehlt." Der Präsident des HDB, Thomas Bauer, pflichtete Cornelius vor Kurzem in einer Verlautbarung indirekt bei. Bauer sprach bezüglich des allgemeinen Umgangs mit Großprojekten von "längst erkannten Fehlentwicklungen" und hob ein ungenügendes Planungs-, Vergabe- und Haushaltsrecht als beispielhaft für diese Fehler hervor. Hinzu kommen seiner Meinung nach weitere "Systemschwächen, wie die mangelnde Abstimmung von Planen und Bauen, die unzureichende Projektvorbereitung und die Vergabe an den Billigsten". Die recht harsche Kritik an der bisherigen Umsetzung von Großprojekten in Deutschland von Seiten der beiden Verbandspräsidenten erscheint bezeichnend. Beide leiten daraus einen umgehenden Handlungsbedarf ab, wie ihn offensichtlich auch die Bundesregierung sieht. Ihre jüngste Absichtserklärung, eine Reformkommission für Großprojekte einzurichten, deutet zumindest darauf hin. HDB-Chef Bauer sprach in seiner Erklärung von einem notwendigen "gesamtheitlichen Ansatz" bei Großprojekten. Er setzt vor allem auf mehr Transparenz: "Von der Projektidee bis zur Inbetriebnahme sollte der gesamte Bauprozess durchleuchtet werden." Dadurch lasse sich auch das Vertrauen der Bevölkerung zurückgewinnen und die Akzeptanz von Großprojekten wieder herstellen. Ein Mittel der Wahl sieht Bauer auch in der Förderung von Partnerschaftsmodellen: "ÖPP-Modelle haben eine faire Chance verdient." Als erste Aufgabe einer zentralen Koordinierungsstelle für die Energiewende nennt VBI-Präsident Cornelius gegenüber dem Online-Magazin bauingenieur24 die Bereitstellung von "soliden Erzeugungs- und Bedarfsberechnungen." Weitere Ziele müssten dann die Koordinierung des Energiemix und die Schaffung eines "Kapazitätenkatasters für Deutschland zur Zusammenführung dezentraler Erzeugung, Speicherung und Verteilung von Energie" sein. Zur Verbesserung der Dinge und einer Überwindung der Versäumnisse in Deutschland schlägt Cornelius außerdem die Orientierung an anderen Ländern vor.

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Geologische Tücken sorgen beim Bau des Ceneri-Basistunnels in der Schweiz für Mehrkosten.

Foto: AlpTransit Gotthard AG

 

Schweiz: Positivbeispiel Gotthard-Basistunnel
Tatsächlich bietet sich in der Schweiz seit mehreren Jahren ein beeindruckendes Positivbeispiel. Seit 1996 ist hier die AlpTransit Gotthard AG (ATG) mit dem nach eigenen Angaben "Jahrhundertprojekt" der Neuen Eisenbahn-Alpentransversale (NEAT), wozu der Bau des Gotthard-Basistunnels gehört, betraut. Allem Anschein nach verläuft das Schreiben "moderner Verkehrsgeschichte" für die Eidgenossen bisher ohne gravierende Rückschläge. Auf Anfrage von bauingenieur24 hieß es von dort: "Sämtliche Arbeiten befinden sich im Zeitplan." Das Projekt NEAT erhält laut ATG seine finanzielle Planungssicherheit durch einen vom Schweizervolk per Volksentscheid legitimierten Fonds, gespeist durch eine Abgabe für den Schwerverkehr (64%) und Steuermittel (36%). Während der zeitliche Rahmen scheinbar nicht gesprengt werden muss, geht es der ATG mit der Einhaltung des finanziellen Budgets nicht anders als manchem deutschen Großbauherrn. Unumwunden gibt Renzo Simoni, Vorsitzender der Geschäftsleitung der ATG, zu, dass "auch das Projekt NEAT am Gotthard mehr als ursprünglich geplant kostet." Letztlich bleibt ihm auch nichts anderes übrig, ist er doch ein halbes Dutzend mal jährlich zum Rapport gegenüber den Aufsichtsbehörden, bestehend aus dem Schweizer Bundesverkehrsamt und einem zwölfköpfigen Parlamentsausschuss, verpflichtet.

Mehrkosten technisch und geologisch begründet
Als Gründe für die Kostensteigerung gibt die ATG erhöhte Sicherheitsanforderungen und die Anpassung an neuste Technikstandards an. Hinzu kämen "Tücken der Geologie" und Planänderungen für den Ceneri-Basistunnel. Für das Großprojekt NEAT mag man diese nur schwer kalkulierbaren Faktoren als ausschlaggebend für Mehrkosten gelten lassen können. Tatsächlich ist der Bau des größten Eisenbahntunnelsystems der Welt beispiellos und somit nur bedingt in all seinen Facetten planbar. Bei Bauvorhaben, wie zum Beispiel die Errichtung eines Flughafens, denen durchaus ähnliche Projekte in Umfang und Charakter vorausgegangen sind, ist die Lage dagegen anders.

Voraussetzungen für Erfolg: Nein sagen können
Dierk Mutschler vom Projektentwickler Drees & Sommer, welcher schon zahlreiche Infrastrukturprojekte in Größenordnungen realisiert hat, bringt im Interview mit bauingenieur24 die notwendigen Charaktereigenschaften der Beteiligten an Großbauprojekten auf den Punkt: "Man muss sich trauen, es nicht jedem recht machen zu wollen und auch mal Nein sagen, wenn es um unrealistische Kosten- oder Terminerwartungen geht." Zudem müsse jemand mit einer wichtigen Funktion in einem Projekt auch etwas zu entscheiden haben: "Wenn man für jede Entscheidung Dutzende Gremien befragen muss, lässt sich ein Projekt nicht effizient umsetzen." Bauverzögerungen und Kostenüberschreitungen seien auch in Deutschland vermeidbar, ist sich Mutschler sicher. Bedingung sei, dass in einer "sehr frühen Phase die richtigen Weichen gestellt" würden. Sein Unternehmen arbeite seit Jahren nach dem Prinzip des "Target Value Design", was bedeute, dass alle "Prozesse und Produkte in der Planungsphase akribisch definiert werden." Alle Beteiligten kämen dazu an einem runden Tisch zusammen. "Dadurch können die öffentlichen, wirtschaftlichen, technischen und rechtlichen Interessen von Anfang an analysiert und in Einklang gebracht werden", so Mutschler. Neben der Entscheidungskompetenz für Planer und Beauftragte, einer generell verstärkten "Planungstiefe" sowie der klaren Aufgabendefinition erscheint eine vierte Aussage Mutschlers fast schon selbstverständlich. Er fordert dennoch, wohl nicht ohne Grund, dass "die Arbeit an einem Projekt immer frei von politischer Taktik sein muss."

Kommentar:
Der Bauingenieur - Entscheider und Berater
Fordert Volker Cornelius für eine zentrale Koordinierungsstelle bei der Energiewende den unbedingten Einfluss unabhängiger Ingenieure neben den Vertretern aus Politik und Energiewirtschaft, so zeigt dies seinen Wunsch nach einer generell stärkeren Rolle der Ingenieure bei der Umsetzung von Großprojekten. Als planende und ausführende Kräfte werden Bauingenieure bei Großprojekten immer eine zentrale Rolle spielen, ohne deren fachliche Kompetenz nichts geht. Neben diesem notwendigen Fachwissen sind es aber auch allgemeine Managementfähigkeiten, welche ein Bauingenieur von heute mitbringen muss. Dass dies aufgrund der traditionellen Ausbildung gewährleistet werden kann, wird in Fachkreisen derzeit bezweifelt. Fakt ist, die Fähigkeit, wichtige technische Entscheidungen zu treffen, reicht allein nicht mehr aus. Das Durchsetzungsvermögen eines Managers, eine ausgewiesene Konfliktbeherrschung und schließlich die Standards eines guten Qualitätsmanagements sind auch im Bauingenieurwesen Schlüsselqualifikationen. Jeder, der hier tätig ist, muss seine Position als Fachmann in verantwortungsvoller, mitbestimmender und beratender Funktion besonders in der Frage der Großprojekte behaupten.

 

 

  Quelle: bauingenieur24 Informationsdienst


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