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Infrastruktur in Deutschland: bereits Beachtliches geleistet!

04.03.2021

Interview: Andreas Klose

Jede Industrienation ist auf eine perfekte Infrastruktur angewiesen. Das gilt für eine Digitale gleichermaßen wie für die Klassische aus Beton und Asphalt. Doch Klagen über Investitionsrückstau waren bei Autobahnen, Straßen und Co. schon vor der Pandemie zu hören. Wie steht die Branche also derzeit da? Herr Marcus Kaller, Vorstandsmitglied der STRABAG AG, gibt in diesem Interview Einblicke, die durchaus optimistisch klingen.

Sehr geehrter Herr Kaller, viele sehen im Fachkräftemangel ein akutes und steigendes Problem. Hat Ihr Unternehmen Schwierigkeiten, qualifiziertes Personal zu gewinnen?

Marcus Kaller: Unser Unternehmen ist hier bislang noch in einer relativ komfortablen Situation. Wir haben im Verkehrswegebau bundesweit 150 Niederlassungen, womit wir extrem dezentral aufgestellt sind. Das hilft bei der Anwerbung neuer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, da der Fachkräftemangel auch ein regionales Problem ist. In strukturschwachen Regionen wird die Baubranche naturgemäß eher als attraktiver Arbeitgeber wahrgenommen als in Regionen, wo die Jobauswahl für Bewerberinnen und Bewerber größer ist. Als großes Unternehmen gelten wir als zuverlässiges und auch als gut – über Tarif – zahlendes Unternehmen. Was uns weiter auszeichnet, sind die Karrierechancen, die nur ein international tätiger Konzern jungen Menschen heutzutage anbieten kann. Der in Deutschland bemerkbare Fach-kräftemangel ist also für die STRABAG kein unlösbares Problem.

Wenn Sie von Karrierechancen sprechen, deuten Sie damit ja auch an, dass Sie ausbilden.

Extrem. Wir haben im Verkehrswegebau eine Ausbildungsquote von 10 Prozent.

Es werden immer wieder Klagen über die mangelnde Ausbildungsreife der Auszubildenden laut. Deren Niveau und Motivation lassen viel zu wünschen übrig. Können Sie dies bestätigen?

Ich denke, das sind Einzelfälle, die es immer wieder geben wird. Uns gelingt es schon, gute Leute zu finden und erfolgreich auszubilden. Man muss den jungen Menschen Chancen und Möglichkeiten aufzeigen, dann sind sie auch motiviert und lernwillig. Es sind einzelne Fälle, in denen wir jemanden im Laufe der Ausbildung verlieren.

Wie gewinnen Sie die Auszubildenden?

Zum einen gibt es die klassischen Plattformen wie Berufsmessen und Veranstaltungen in den Schulen. Zum anderen sind es sicher unser professioneller Internet-Auftritt und Social Media Kanäle, mit denen wir Jugendlichen vermitteln, dass der Bau ein attraktives und faszinierendes Arbeitsfeld ist. Doch die meisten Auszubildenden im Verkehrswegebau gewinnen wir, was erstaunen mag, aus dem engsten Familien- und Freundeskreisen und zum anderen aus unserem umfangreichen Schulmarketing in Verbindung mit Schulkooperationen und -patenschaften. Hieraus können wir den größten Teil unserer Auszubildenden für unser Unternehmen gewinnen. Das ist unser Hauptpool, aus dem wir schöpfen. Gleichzeitig haben wir fähige und hoch motivierte Ausbilderinnen und Ausbilder, die nicht nur in den operativen Einheiten, sondern auch in einer konzerneigenen Lehrwerkstatt – mit der wir uns sicher vom Wettbewerb abheben – die jungen Menschen erfolgreich zum Ausbildungsziel führen. In diesem Zusammenhang möchte ich gerne auf den Beitrag hinweisen, den wir zur Integration von neu ins Land gekommenen jungen Menschen leisten.

Gerade hier wird oft angeführt, dass mangelnde Schulabschlüsse und Sprachkenntnisse ein großes Hindernis darstellen.

Diese Bedenken hegten wir anfangs auch. Doch das erwies sich als unbegründet. Wir haben eine große Gruppe von Menschen mit Flüchtlingshintergrund bei uns aufnehmen können, die, mit wenigen Ausnahmen, äußerst motiviert die Lehrziele einschließlich des Spracherwerbs erreichten. Dabei gingen wir davon aus, dass sie ein Jahr länger für ihren Ausbildungsabschluss bräuchten; doch das war falsch.

Viele Branchen klagen über einen anhaltenden Strukturwandel, in dem kleine und mittelständische Betriebe vom Markt verschwinden, während die großen Betriebe wachsen. Gilt das aus Ihrer Sicht auch für die Baubranche?

Was die deutsche Baubranche betrifft, stimmt das ganz sicher nicht. Die Anzahl der großen Unternehmen ist konstant. Gleichzeitig zeichnet sich die deutsche Bauwirtschaft durch sehr viele kleine und mittelständische Unternehmen aus, die ausgesprochen leistungsfähig sind. Sie stellen das Rückgrat dar, auf das auch wir uns verlassen. Es sind die Firmen, mit denen wir partnerschaftlich zusammenarbeiten und zum Erfolg beitragen. Zudem darf die Innovationskraft der kleinen und mittelständischen Unternehmen nicht unterschätzt werden.

Die Pandemie-Maßnahmen haben viele Unternehmen schwer getroffen. Auch die STRABAG?

Die STRABAG AG ist in Deutschland im Verkehrswegebau tätig. Hier wird im Freien gearbeitet, die Hygieneabstände und -regeln sind hier einfacher einzuhalten. Wir konnten in allen Bereichen schnell maßgeschneiderte Sicherheitskonzepte vorlegen und nachweisen, dass die Baustelle selbst kein Infektionsrisiko darstellt. Gerade der Umgang mit Bauunterkünften sowie Regelungen zur An- und Abfahrt zeigen, wie sehr die Braubranche Sicherheitsdenken schon lange vor der Pandemie verinnerlicht hat. Von daher wurden wir nicht, wie manch andere Branche, kalt erwischt.

Die direkten Folgen blieben also aus. Doch es können noch indirekte folgen. Beispielsweise haben Länder und Kommunen momentan enorme Steuereinbußen. Können wichtige öffentliche Infrastrukturprojekte überhaupt im notwendigen Maße weiter durchgeführt werden?

Das ist sicher eine der ganz großen Herausforderungen, vor denen wir stehen. Ich sehe die Auswirkungen der Pandemie gerade in der öffentlichen Verwaltung mit Besorgnis. Schon vor der Pandemie wurde über personelle Unterbesetzung, aber auch über unzureichende bzw. veraltete Ausstattung der Arbeitsplätze geklagt. Durch den Wechsel zum Home Office wurde in den Behörden die Situation geradezu dramatisch verschärft. Wir merken das daran, dass von den Kommunen weniger Ausschreibungen kommen. Hier müssen die Rahmenbedingungen schnell verbessert werden. Hinzu kommt dann die von Ihnen angesprochene finanzielle Ausstattung. Die Steuerausfälle sind sehr hoch. Ohne Unterstützung von Seiten des Bundes wird das nicht zu schaffen sein. Schon vor der Pandemie steckten wir in einem unglaublichen Investitionsrückstau. Betroffen sind unter anderem Straßen, Brücken, Wasserwege und digitale Leitungssysteme, deren teils desolater Zustand den Handlungsbedarf deutlich zeigt. Dass die gesamte Wirtschaft eine moderne funktionierende Infrastruktur braucht, versteht sich von selbst.

Sie sagten ja bereits, dass dieser Investitionsstau schon länger besteht. Was sind die eigentlichen Ursachen dafür?

Wir sollten keinesfalls die Investitionsleistungen des Bundes in den vergangenen Jahren unterschätzen. Tatsächlich wurden hier Beachtliches geleistet und enorme Summen bereitgestellt. Man muss bedenken, dass Deutschland sehr viel in den Aufbau der neuen Bundesländer investieren musste. Diese finanziellen Mittel fehlten zwar für die alten Bundesländer, doch so wurde letztlich die Wiedervereinigung umgesetzt, und das ist beachtlich. Andererseits stehen wir dadurch für die Infrastrukturen in den westlichen Bundesländern jetzt vor diesem immensen Nachholbedarf.

Was ist zu tun?

Es wird ja bereits etwas getan. Zum Beispiel ist die neu gegründete Autobahngesellschaft meiner Meinung nach ein wichtiger und richtiger Schritt. Wie zu erwarten, hat sie zwar Anlaufschwierigkeiten, die wir jedoch nicht überbewerten sollten. Sie stellt die dringend benötigte Zentralisierung dar, um Infrastruktur-Projekte zügig umzusetzen.

Sie deuteten bereits die digitale Infrastruktur an. Wie bewerten Sie den derzeitigen Stand in Deutschland?

Leider läuft man auch hier den Zielen hinterher. Schaut man sich den Plan an, dann sollten mittlerweile Ausschreibungen nur noch unter Einbeziehung von BIM (Building Information Modeling) erfolgen. Davon sind wir weit entfernt.

Woran liegt das?

Ziehen wir andere Länder zum Vergleich heran, dann erkennt man dort einen viel höheren Stellenwert von partnerschaftlichen Vertragsmodellen. Man könnte dahinter also auch eine Kulturfrage vermuten. Deutschland braucht einen Kulturwandel, damit die Beteiligten vernünftig digital zusammenarbeiten. Die alten Rollenbilder – der Planer, der Bauunternehmer, der Bauherr usw. – müssen überwunden werden. Es muss eine kommunikative und transparente Zusammenarbeit an einem Projekt gelernt werden. Dann wird Bauen nicht nur effizienter werden, sondern auch mehr Spaß machen. Doch dazu muss ein Umdenken erfolgen, denn BIM ist mehr als nur eine animierte 3D-Planung. Es bedeutet, dass alle Projektbeteiligten zusammensitzen und gemeinsam die besten Lösungen erarbeiten. Die Vorteile sind aber beachtlich. Beispielsweise lassen sich so Lebenszyklus-Kosten eines Gebäudes real abbilden. Das sind im Übrigen altbekannte Empfehlungen der Großprojekte-Kommission, die nach verschiedenen Bau-Desastern gegründet wurde.

Wird die Umsetzung von BIM auch durch den schleppenden Breitbandausbau behindert?

Die These ist sicher unangemessen. BIM ist eine Frage der inneren Einstellung. Vom technischen Aufwand oder dem Datenvolumen ist es wahrlich kein Hexenwerk.

Apropos Hexenwerk. Für viele Zeitgenossen fallen darunter Blockchain-Technologie und Künstliche Intelligenz. Betrachtet man diese Entwicklungen nüchtern, welches Potential sehen Sie hier für die Baubranche?

Uns beschäftigt natürlich das Thema Maschinensteuerung. Diese wird durch KI neue Möglichkeiten bekommen. Und zusätzliches Gewicht bekommt das Ganze auch im Hinblick auf unser erstes Thema, den Fachkräftemangel. Wir werden diese Technologien brauchen, allein schon aufgrund der demoskopischen Entwicklung. Die dadurch bedingten Herausforderungen können durch die Digitalisierung von Prozessen zumindest etwas abgefedert werden. Beispielsweise müssen in der Kalkulation qualifizierte Mitarbeiter wertvolle Arbeitszeit darauf verwenden die unterschiedlichen Ausschreibungsformate in ihr Kalkulationssystem zu übertragen. Solche manipulativen Tätigkeiten kann KI problemlos übernehmen; so werden die Mitarbeiter entlastet und können sich auf die wesentlichen Aufgaben konzentrieren.

Ist das noch Zukunftsmusik?

Wir arbeiten bereits mit Programmen, die in Ausschreibungen die Textbausteine so sortieren, dass sie zu unserer Kalkulationssoftware passen. Damit ersparen wir uns viel manipulative Arbeit. Das setzt sich dann über die Arbeitskalkulation bis zur Abrechnung fort. Damit verändert sich aktuell die öffentliche Vergabe für beide Seiten, Auftragnehmer und Auftraggeber, enorm. Zudem gibt es Plattformen, die nahezu jede veröffentlichte Ausschreibung finden. Durch den Einsatz von KI kann diese beachtliche Menge an Ausschreibungen nach individuellen Auswahlkriterien vorsortiert werden.

Das wird die Bietern sicher viel Zeit ersparen und die Erfolgschancen steigern. Werden auch die Auftraggeber davon profitieren?

Ganz sicher. Was wir in der Branche dringend benötigen, das sind eindeutige Bausollbestimmungen. Wenn Projekte nicht optimal laufen, dann liegt es in den meisten Fällen an einer unzureichenden Beschreibung des Bausolls. Fehler zeigen sich dann erst, nachdem mit dem Bauen begonnen wurde, was zu Zeitverzug und höheren Kosten führt. Durch eine Standardisierung der Ausschreibungen mit Hilfe von KI werden Prozesse anders ausgelöst und so die Ausschreibungsbearbeitungen optimiert.

Welche Entwicklungen, Herausforderung und Chancen sehen Sie noch?

Ein großes Thema ist fraglos die Nachhaltigkeit. Dazu gehört die Frage, mit welchen Baustoffen arbeiten wir zukünftig, welche Rohstoffe nutzen wir. Wir können es uns nicht leisten, recycelbares Aushubmaterial auf die Halde zu kippen. Es sind sekundäre Rohstoffe, die wir im Sinne der Nachhaltigkeit dringend nutzen müssten. Und wir müssen uns über alternative Baustoffe Gedanken machen, deren Gewinnung weniger energieintensiv ist. Damit verbunden ist auch die Frage der Logistik, also der Transportwege. Das sind Herausforderungen, bei deren Lösung die Digitalisierung helfen kann.

Ist dieser Komplex nicht durch die Implementierung der sogenannten „vergabefremden Aspekte“ im Vergaberecht hinreichend behandelt?

Leider nein. Schaut man sich die Ausschreibungen von Bauprojekten an, so ist fast immer der niedrigste Preis das alleinige Zuschlagskriterium. Selbst Nebenangebote sind regelhaft nicht zulässig. Aber auch das halte ich für eine Kulturfrage. Wenn jede Vergabe zum Gerichtsstreit wird, dann werde ich mich als Auftraggeber zurückziehen und nur den klar bestimmbaren Preis als Kriterium nehmen. Sicher ist dieser wichtig, da es auch um einen merkantilen Wettbewerb geht. Doch die anderen Kriterien sind mindestens ebenso wichtig, und sie werden erst nach einem Kultur- und Denkwandel hierzulande Eingang in die Vergabe finden. Wir brauchen Umwelt- und Klimaschutz sowie die Einhaltung von sozialen Standards wie etwa die Tariftreue. In der Realität müssen wir uns aber auf der Baustelle mit Nachforderungen und Androhung von Zahlungseinstellungen auseinandersetzen.

Sehr geehrter Herr Kaller, ich bedanke mich für dieses Gespräch.

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