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Ist der bisherige Auftragnehmer „vorbefasst“?

27.12.2021

Die Vergabekammer (VK) Bund hat mit Beschluss vom 18.09.2021 – VK 2-51/20 – folgendes entschieden:

1. Die Vorschrift des § 7 Abs. 1 VgV, wonach der Auftraggeber sicherzustellen hat, dass der Wettbewerb durch die Teilnahme eines vorbefassten Unternehmens nicht verzerrt wird, erfasst nicht den bisherigen Auftragnehmer.

2. Wettbewerbsvorsprünge eines Bieters, der sich aufgrund eines Vorauftrags bereits auf die Besonderheiten des Auftraggebers eingestellt hat, bedürfen keines Ausgleichs durch den Auftraggeber. Es entspricht der normalen Rollen- und Risikoverteilung im Wettbewerb, sich zum Markteintritt zu qualifizieren.

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RA Michael Werner

Ein öffentlicher Auftraggeber (AG) hatte Dienstleistungen im Zusammenhang mit Servicequalitätsbefragungen im Rahmen eines Verhandlungsverfahrens mit vorgeschaltetem Teilnahmewettbewerb europaweit ausgeschrieben. Nach Angebotswertung teilte er dem Bieter A mittels Vorabinformationsschreiben gemäß § 134 GWB mit, dass sein Angebot nicht das wirtschaftlichste sei und den Zuschlag das Angebot des Bieters B erhalten sollte. Darauf rügte A sowohl qualitative als auch preisliche Aspekte der Bewertung und stellte – nach Nichtabhilfe seiner Rüge – Nachprüfungsantrag zur VK. Er beanstandete u.a., dass Bieter B unter Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz nicht ausgeglichene, strategische und kalkulatorische Vorteile aufgrund seiner rund 15-jährigen Tätigkeit als bisheriger Auftragnehmer des AG und des daraus resultierenden Wissensvorsprungs zukämen. Dieser würde ungeachtet der angekündigten Neukonzeption weiter fortwirken. Aufgrund der Befassung mit den Vorprojekten hätte B über Detailkenntnisse der tatsächlich nachgefragten Mengen und Anforderungen verfügt, woraus ein kalkulatorischer Vorteil resultiere. Hinzu sei der sehr hohe Planungs- und Vorbereitungsaufwand gekommen, bei denen B auf seine langjährige Expertise und Vorerfahrungen zurückgreifen hätte können. Dieser Wissensvorsprung wäre hier auch kalkulationserheblich gewesen. Der AG war dagegen der Ansicht, dass B nicht mit der Vorbereitung der Ausschreibung „vorbefasst“ gewesen sei, weshalb eine Wettbewerbsverzerrung gar nicht vorliege.

Die VK gibt hier dem AG Recht. Der Nachprüfungsantrag sei unbegründet, da Verstöße gegen das Gleichbehandlungs- und Transparenzgebot sowie Wettbewerbsprinzip durch Gewährung oder Tolerierung vergaberechtswidriger, kalkulatorischer Vorteile des B nicht erkennbar seien. Die Wertung sei vielmehr vergaberechtskonform. Der AG habe insbesondere nicht gegen seine Verpflichtung zum Ausgleich von Wettbewerbsvorteilen nach § 7 VgV verstoßen. Ein Verstoß gegen § 7 Abs. 1 VgV scheide hier nämlich aus. Diese Vorschrift erfasse nur vorbefasste Unternehmen, die an der Vorbereitung des verfahrensgegenständlichen Vergabeverfahrens beteiligt gewesen seien, nicht aber bisherige Auftragnehmer. Wettbewerbsvorsprünge eines Bieters, der sich aufgrund eines Vorauftrags bereits auf die Besonderheiten des Auftraggebers eingestellt habe, bedürften keines Ausgleichs durch den Auftraggeber. Es entspreche vielmehr der normalen Rollen- und Risikoverteilung im Wettbewerb, sich zum Markteintritt zu qualifizieren. Der Auftraggeber sei lediglich gehalten, allen Bietern die zur Angebotsabgabe erforderliche Kenntnis der Leistungsanforderungen durch eine einheitliche und sachgerechte Gestaltung der Vergabeunterlagen gem. § 121 und § 127 GWB zu gewähren. Bieter A habe hier allerdings nicht geltend gemacht, dass die Vergabeunterlagen unzureichend - insbesondere hinsichtlich der Kalkulationsgrundlagen nicht hinreichend konkret - zur Abgabe eines Angebots gewesen seien.
Eine Wettbewerbsverzerrung sei auch angesichts der Unterschiedlichkeit von Vorauftrag und hier zu vergebendem Auftrag zu verneinen. Denn dadurch, dass der AG hier ein neues Konzept in der Ausschreibung nachgefragt habe, seien die Abrufmengen aus der Vergangenheit für das vorliegende Vergabeverfahren gerade nicht belastbar, sondern hingen vielmehr wesentlich vom Konzept des jeweiligen Bieters ab.

Anmerkung:

Eine – allerdings nur auf den ersten Blick - etwas exotisch anmutende Entscheidung, die jedoch die bisherige Spruchpraxis der VK Bund konsequent fortsetzt. Danach sind nach der sog. „Projektantenproblematik“ (§ 7 VgV) nur die Wettbewerbsvorteile ausgleichspflichtig, die sich aufgrund von Vorbefassungen eines Bieters mit der hier aktuellen, konkreten Ausschreibung in Informationsvorsprüngen dieses Bieters auswirken. Wirtschaftliche Vorteile aufgrund eines Vorauftragsverhältnisses sind damit nicht vergleichbar und nicht umfasst (siehe VK Bund, B. v. 10.03.2017 – VK 2-19/17). Mit anderen Worten: Der bisherige Auftragnehmer ist kein Projektant. Wettbewerbsvorsprünge aus dem Vorauftrag sind vielmehr marktimmanent.
Besonders darauf hinzuweisen ist, dass der hier in Rede stehende § 7 VgV nicht nur bei der Vergabe von Dienst- und Lieferleistungen nach der VgV, sondern – über den Verweis in § 2 VgV – auch bei der Vergabe von Bauleistungen gilt.

  Quelle: Ra Michael Werner


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