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Ist ein Fehlverhalten der Vergabestelle ein „anderer schwerwiegender Grund“?

03.06.2014

Zur Aufhebung der Ausschreibung:

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat mit Beschluss vom 20.03.2014 – X ZB 18/13 – u. a. Folgendes entschieden:

• Ob ein anderer schwerwiegender Grund vorliegt, der zur Aufhebung des Vergabeverfahrens berechtigt, ist aufgrund einer umfassenden, alle für die Aufhebungsentscheidung maßgeblichen Umstände berücksichtigenden Interessenabwägung zu entscheiden.

• Ein zur Aufhebung Anlass gebendes Fehlverhalten des Auftraggebers genügt nicht als Aufhebungsgrund. Anderenfalls könnte er nach freier Entscheidung durch Rechtsverstöße seinen vergaberechtlichen Bindungen entgehen. Dies gilt unabhängig von Fragen des Verschuldens.

Ein öffentlicher Auftraggeber (AG) hatte Fahrbahnerneuerungsarbeiten an einer Bundesautobahn europaweit ausgeschrieben. Im Vergabeverfahren traten unterschiedliche Vorstellungen der Beteiligten zu Tage, wie die Vergabeunterlagen bezüglich der Ausführung der Fahrbahndecke zu verstehen waren. Während einige Anbieter einen über die gesamte Fahrbahnbreite einstreifigen Einbau der geforderten Betondeckenabschnitte anboten, sah das Angebot des Bieters A, welches das günstigste war, eine Ausführung in zwei Streifen vor. Der AG sah darin ein unzulässige Änderung an den Vergabeunterlagen und schloss das Angebot des A aus.

Die vom A angerufene Vergabekammer hielt die Vergabeunterlagen für nicht eindeutig und verpflichtete den AG, das Angebot des A zu werten. Darauf hob der AG das Verfahren auf und kündigte ein neues Verfahren an. Er begründete die Entscheidung damit, der Einbau einer einstreifigen Fahrbahndecke biete erhebliche qualitative Vorteile, während die Beauftragung des A Mehrkosten verursache. Dagegen wandte sich A mit einem weiteren Nachprüfungsantrag und beantragte die Aufhebung der Aufhebung, hilfsweise die Feststellung, dass die Aufhebung rechtswidrig war und er in seinen Rechten verletzt sei. Die Vergabekammer (VK) hatte den Nachprüfungsantrag zurückgewiesen, wogegen A sofortige Beschwerde zum OLG einlegte. Das OLG wies den Hauptantrag ab. Zum Hilfsantrag legte es – wegen einer entgegenstehenden Entscheidung des OLG Düsseldorf folgende Frage dem BGH vor: „Setzt ein sonstiger schwerwiegender Grund im Sinne von § 17 Abs. 1 Nr. 3 VOB/A – EG uneingeschränkt voraus, dass der Auftraggeber diesen Grund nicht selbst verschuldet hat?“

Im Hauptantrag bestätigt der BGH das OLG. Nach der Rechtsprechung des BGH müssten Bieter die Aufhebung des Vergabeverfahrens nicht nur dann hinnehmen, wenn sie von einem der in den einschlägigen Bestimmungen (§ 17 Abs. 1 VOB/A – EG; § 20 Abs. 1 VOL/A – EG) aufgeführten Gründe gedeckt und deshalb von vornherein rechtswidrig sei. Es bleibe dem AG grundsätzlich unbenommen, von einem Beschaffungsvorhaben auch dann Abstand zu nehmen, wenn dafür kein in den Vergabeordnungen anerkannter Aufhebungsgrund vorliege. Dies folge daraus, dass die Bieter zwar einen Anspruch darauf hätten, dass der AG die Bestimmungen über das Vergabeverfahren einhalte (§ 97 Abs. 7 GWB), aber nicht darauf, dass er den Auftrag auch erteile und das Vergabeverfahren mit der Erteilung des Zuschlags abschließe. Während eine von den Vergabeordnungen gedeckte und somit rechtmäßige Aufhebung zur Folge habe, dass die Aufhebung keine Schadensersatzansprüche begründe, könne der Bieter im Falle einer nicht unter die einschlägigen Tatbestände fallenden Aufhebung die Feststellung beantragen, dass er durch das Verfahren in seinen Rechten verletzt sei.

Dabei beschränke sich sein Schadensersatzanspruch allerdings regelmäßig auf die Erstattung des negativen Interesses, d. h. den Aufwendungsersatz für die Angebotserstellung. Den hilfsweise gestellten Antrag hält der BGH allerdings für begründet, da der AG in seinen Rechten verletzt sei. Denn für die Frage, ob der AG berechtigt sei, das Vergabeverfahren aufzuheben, seien die gesamten Umstände, die für die Aufhebungsentscheidung erheblich waren, zu berücksichtigen. Dazu gehörten auch die Mängel der Ausschreibung, die zum ersten Nachprüfungsverfahren geführt hätten. Hier sei die Leistung in einer Weise beschrieben worden, dass auch eine zweistreifige Ausführung verstanden werden konnte. Der AG habe hier das Verfahren aufgehoben, um nicht ein seinen Vorstellungen widersprechendes Angebot zu beauftragen. Die Aufhebungsentscheidung stelle somit eine Maßnahme zur Korrektur eines eigenen vergaberechtlichen Fehlers dar. Dabei seien bei der Prüfung strenge Maßstäbe anzulegen.

Das zur Aufhebung Anlass gebende Fehlverhalten des AG könne danach schon deshalb nicht ohne Weiteres genügen, weil dieser es anderenfalls in der Hand hätte, nach freier Entscheidung durch Verstöße gegen das Vergaberecht den bei der Vergabe öffentlicher Aufträge bestehenden Bindungen zu entgehen. Dies sei mit Sinn und Zweck des Vergabeverfahrens nicht zu vereinbaren. Im Einzelnen bedürfe es für die Feststellung eines schwerwiegenden Grundes einer Interessenabwägung, für die die Verhältnisse des jeweiligen Einzelfalles maßgeblich seien. Hier berücksichtige der AG nicht angemessen, dass das Ergebnis des Wettbewerbs Folge der missverständlichen Abfassung der Vergabeunterlagen durch ihn selbst sei und die Verneinung eines schwerwiegenden Grundes zur Aufhebung der Ausschreibung die Frage nicht präjudiziere, ob und inwieweit das Vergabeverfahren fortgesetzt werden dürfte. Es gelte auch unabhängig von Fragen des Verschuldens.

 

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RA Michael Werner

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Anmerkung:

Festzuhalten an dieser Entscheidung sind folgende Punkte:

• Ein Auftraggeber kann ein Vergabeverfahren auch dann aufheben, wenn kein in den Vergabe- und Vertragsordnung anerkannter Aufhebungsgrund vorliegt. Denn der Bieter hat zwar Anspruch, dass das Vergabeverfahren ordnungsgemäß abläuft, nicht aber darauf, dass der Auftrag tatsächlich erteilt wird.

• Wenn der Auftraggeber von einer Beschaffung ohne Aufhebung Abstand nimmt, hat der Bieter grundsätzlich Anspruch auf Schadensersatz in Höhe seines negativen Interesses.

• Ein eigenes Fehlverhalten des AG ist keinesfalls ein „anderer schwerwiegender Grund“, der die Aufhebung eines Vergabeverfahrens rechtfertigen würde. 

  Quelle: RA Michael Werner


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