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Kein Angebotsausschluss bei Ablauf der Bindefrist

07.10.2014

Die Vergabekammer (VK) Brandenburg hat mit Beschluss vom 11.02.2014 – VK 29/13 – u.a. Folgendes entschieden:

• Der Auftraggeber ist nicht daran gehindert, den Zuschlag auf ein Angebot zu erteilen, dessen Bindefrist zu diesem Zeitpunkt bereits abgelaufen ist. Der Ablauf der Bindefrist ist demnach kein Grund für den Ausschluss eines Angebotes.

• Fällt dem Auftraggeber aufgrund einer nach Angebotsabgabe eingehenden Rüge ein Fehler auf, verstößt er gegen grundlegende Wettbewerbsprinzipien, wenn er unter dem Eindruck der fraglichen Rüge die erkannte Beschaffungslücke zu beseitigen beginnt, indem er die Vergabeunterlagen neu interpretiert und die „neuen“ Erkenntnisse dazu führen, sämtliche bei Angebotsabgabe und im Rahmen der ersten Wertung nach den Vorstellungen des Auftraggebers LV-konformen Angebote nunmehr wegen angeblich unzulässiger Abweichungen von den Vergabeunterlagen auszuschließen.

Ein öffentlicher Auftraggeber (AG) hatte die Sanierung einer Gebäudeautomation im offenen Verfahren europaweit ausgeschrieben. Im Leistungsverzeichnis war u.a. die Aufschaltung auf die schon vorhandene Gebäudeleittechnik (GLT) gefordert. In den Vergabeunterlagen war an keiner Stelle vorgeschrieben, das Unternehmen B zwingend als Nachunternehmer zu benennen, dessen Leistung für das Aufschalten erforderlich war; B hatte die GLT in der Liegenschaft des AG in der Vergangenheit installiert. Daher gab keiner der Bieter einen Nachunternehmer an. Bieter A sollte darauf den Zuschlag erhalten. Das rügte Unternehmen B: Keiner der Bieter habe bei B die zwingend erforderliche Leistung angefragt. Darauf nahm der AG die Rüge zum Anlass, seine Wertung zu überprüfen und abzuändern. Danach sollte die erforderliche Aufschaltung auf die bestehende GLT des Unternehmens B von den Bietern selbst erbracht werden. Dies wiederum konnten sie nur mit Unterstützung von B, weshalb B als Nachunternehmer hätte angegeben werden müssen. Da sie dies nicht getan hätten, seien die Angebote auszuschließen. In einer zweiten Vorinformation teilte der AG nun mit, dass B den Zuschlag erhalten solle und alle anderen Angebote ausgeschlossen würden. So auch das Angebot des A, der nach Ansicht des AG hierzu Stellung nehmen und die Bindefrist nochmal verlängern sollte. A beantragte Nachprüfung, ohne unmittelbar der gewünschten Bindefristverlängerung zuzustimmen.

Die VK gibt hier dem Bieter A Recht. Sein Antrag sei zulässig. Im Ablauf der Bindefrist für das Angebot des A werde kein Hindernis für dessen Antragsbefugnis nach § 107 Abs. 2 GWB gesehen. Es entspreche zwischenzeitlich gefestigter Rechtsprechung, dass der AG nicht daran gehindert sei, den Zuschlag auf ein Angebot zu erteilen, dessen Bindefrist zu diesem Zeitpunkt bereits abgelaufen sei. Ein Angebot könne demnach nicht mit der Begründung aus dem Verfahren ausgeschlossen werden, es sei wegen Ablaufs der Bindefrist erloschen. Sei es aus diesem Grunde nicht mehr annahmefähig, komme dem Zuschlag unter diesen Umständen die Qualität eines neuen Angebotes des Auftraggebers – i.S. von § 150 Abs. 1 BGB – zu, welches der Bieter jedoch nicht anzunehmen verpflichtet sei. Selbst wenn eine Bindefristverlängerung vollständig unterbleibe, könne daraus nicht geschlossen werden, dass der Bieter keinerlei Interesse mehr am Zuschlag habe. Der Nachprüfungsantrag sei außerdem begründet. Falle dem AG aufgrund einer Bieterfrage oder Rüge ein Versäumnis in den Vergabeunterlagen auf, verstoße er gegen grundlegende Wettbewerbsprinzipien, wenn er unter dem Eindruck der fraglichen Rüge die erkannte Beschaffungslücke zu beseitigen beginnt, indem er die Vergabeunterlagen neu interpretiert und – wie hier – die „neuen“ Erkenntnisse dazu führten, sämtliche bei Angebotsabgabe LV-konformen Angebote nunmehr wegen vermeintlich unzulässiger Abweichungen von den Vergabeunterlagen gemäß § 13 EG Abs. 1 Nr. 5 VOB/A i.V. mit § 16 EG Abs. 1 Nr. 1 Ziffer b VOB/A auszuschließen. Etwaige Defizite in Bezug auf die Beschreibung der zu beschaffenden Leistung habe der Auftraggeber, wenn jene nach Angebotsabgabe in einem offenen Verfahren nicht mehr ohne weiteres auszugleichen seien, ggf. im Nachgang zur Ausschreibung anderweitig zu regeln.

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RA Michael Werner

Partner in der Kanzlei
ZIRNGIBL LANGWIESER
Rechtsanwälte Partnerschaft

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E-Mail: M.Werner@zl-legal.de
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Anmerkung:
Die Entscheidung ist deshalb von besonderem Interesse, da es eindeutige Aussagen zur Behandlung eines Angebotes gibt, dessen Bindefrist abgelaufen ist. Außerdem kann ein AG nicht – nach eigenem Gutdünken – sein Leistungsverzeichnis uminterpretieren, um angebliche Fehler zu korrigieren.

  Quelle: RA Michael Werner


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