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Kein Angebotsausschluss bei unberechtigten Aufklärungsverlangen

30.09.2014

Das OLG Karlsruhe hat mit Beschluss vom 06.08.2014 – 15 Verg 7/14 – u.a. Folgendes entschieden

Die vergaberechtlichen Vorschriften sehen einen bestimmten Ablauf der formalen und inhaltlichen Angebotsprüfung vor. Über die gesetzlichen Bestimmungen und (zulässigen) Vorgaben durch die Verdingungsunterlagen hinaus darf ein Auftraggeber – auch zu Gunsten des einzelnen Bieters – keine zusätzlichen Anforderungen an das Angebot und den Bieter stellen. Verlangt er aber zusätzlich eine – grundsätzlich mögliche – Aufklärung über den Preis im Verhältnis zur Leistung, ohne dass die Voraussetzungen der Prüfung vorliegen, stellt er unzulässig zusätzliche Anforderungen.

Ein öffentlicher Auftraggeber (AG) hatte europaweit im Offenen Verfahren für fünf Jahre Pforten- und Schließdienste ausgeschrieben. Alleiniges Zuschlagskriterium war der Peis. Bieter A hatte das niedrigste Angebot abgegeben. Der AG hatte darauf den A aufgefordert, den angebotenen Stundenverrechnungssatz exklusiv der tariflichen Nacht-, Sonn- und Feiertagszuschläge sowie der zugrunde liegenden Kalkulation aufzuklären, außerdem die Angebotspreise zu erläutern. Bieter A kam dieser Forderung fristgerecht nach. Der AG schloss daraufhin das Angebot des A aus, weil der angebotene Preis im Verhältnis zur Leistung ungewöhnlich niedrig sei und auch nach Prüfung der Belege bzw. Erklärung keine nachvollziehbaren Gründe für die Preisbildung vorliege. Dagegen wehrte sich Bieter A mit Nachprüfungsantrag.

Das OLG gibt hier Bieter A recht. Gemäß § 19 Abs. 6 Satz 2 VOL/A-EG dürfe der Zuschlag nicht auf Angebote erteilt werden, deren Preis im offenbaren Missverhältnis zur Leistung stünden. Habe der AG den Eindruck eines ungewöhnlich niedrigen Preises, habe er die Pflicht zu prüfen, ob ein offenbares Missverhältnis zwischen Preis und Leistung bestehe. Dem Aufragnehmer (AN) müsse Gelegenheit gegeben werden, den Eindruck eines ungewöhnlich niedrigen Preises zu entkräften oder aber beachtliche Gründe dafür aufzuzeigen, dass sein Angebot trotzdem annehmbar sei. Der Eindruck eines ungewöhnlich niedrigen Preises könne aufgrund eines Vergleichs mit den Preisen eingegangener Konkurrenzangebote, aber auch auf der Grundlage von Erfahrungswerten bei der wettbewerblicher Preisbildung gewonnen werden. Dabei könnten auch ausgeschlossene Angebote mit herangezogen werden, wenn der konkrete Ausschlussgrund nicht die Kalkulation beeinflusst haben könne. Anlass für den Eintritt in eine Prüfung sei ein Preisabstand zum nächsthöheren Gebot von mindestens 10 % bis 20 %. Ein geringerer Preisabstand indiziere noch nicht, dass der maßgebliche Angebotsendpreis im Verhältnis zur angebotenen Leistung ungewöhnlich niedrig sei.

Hier sei die sog. Aufgreifschwelle für eine Prüfung eines unangemessen niedrigen Preises nicht erreicht. Der Abstand zum nächsthöheren Gebot, das allerdings wegen fehlender Nachweise ausgeschlossen wurde, habe hier ca. 2 % betragen. Der Abstand zum nächsthöheren Gebot, das nicht ausgeschlossen worden sei, betrage rund 3 %. Der Abstand zum Durchschnitt der zuschlagsfähigen und vom AG als auskömmlich behandelten Angebote betrage ca. 9 %. Somit sei die „Aufgreifschwelle“ von mindestens 10 % nicht erreicht. Damit fehlten die Grundlagen für eine Feststellung, dass der vom A angebotene Preis im Verhältnis zur erbringenden Leistung ungewöhnlich niedrig sei. Die Voraussetzungen des § 19 Abs. 6 Satz 1 VOL/A-EG lägen damit nicht vor. Das Verlangen einer Aufklärung der Preise sei daher vergaberechtswidrig gewesen. Ohne Aufklärungsverlangen hätte der AG dem Angebot des A nach derzeit bekannter Sachlage den Zuschlag erteilen müssen.

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RA Michael Werner

Partner in der Kanzlei
ZIRNGIBL LANGWIESER
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Anmerkung:
Die Entscheidung ist insbesondere für öffentliche Auftraggeber von großem Interesse. Ein AG kann nicht bereits dann, wenn ihm – rein subjektiv – ein Angebotspreis sehr niedrig erscheint, die Aufklärung der Preisbildung verlangen. Vielmehr muss er prüfen, ob der angebotene Preis zu den nächsthöheren Geboten mindestens 10 % bis 20 % beträgt. Ist dies nicht der Fall, sollte er von einem Aufklärungsverlangen Abstand nehmen, um nicht Gefahr zu laufen, sich vergaberechtswidrig zu verhalten.

  Quelle: RA Michael Werner


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