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Keine Aufklärung von widersprüchlichen Preisangaben!

02.11.2021

von RA Michael Werner

Die Vergabekammer (VK) Bund hat mit Beschluss vom 12.03.2021 – VK 1-20/21 – folgendes entschieden:

• Lassen sich die vom Bieter angebotenen Preise nicht zweifelsfrei ermitteln, weil die Eintragungen der Preise im Leistungsverzeichnis nicht denen im Angebotsblatt entsprechen, enthält das Angebot nicht die erforderlichen Preisangaben und ist auszuschließen.

• Eine Nachforderung beziehungsweise Aufklärung von nicht eindeutigen Preisen ist unzulässig.

Ein öffentlicher Auftraggeber (AG) hatte Glasreinigungsleistungen im offenen Verfahren nach der VgV europaweit ausgeschrieben. Einziges Zuschlagskriterium war der Preis. Mit dem Angebot einzureichen hatten die Bieter das ausgefüllte Leistungsverzeichnis (LV) sowie ein ebenfalls auszufüllendes „Preisblatt“, das Bezug auf die entsprechenden Ziffern 1 bis 5 des LV nahm. Bieter A reichte mit seinem Angebot das mit Preisangaben ausgefüllte LV mit Datum vom 18.11.2020 ein. Beigefügt war ferner das Preisblatt mit Datum vom 20.10.2020. Die dort eingetragenen Preise wichen von den Preisangaben im LV überwiegend ab. Darauf schloss der AG das Angebot des A von der Wertung wegen fehlender Preisangaben aus. Dagegen wehrte sich A und stellte nach erfolgloser Rüge Nachprüfungsantrag zur VK.

Die VK gibt dem AG Recht. Das Angebot des A war gemäß § 57 Abs. 1 Nr. 5 VgV von der Wertung auszuschließen. Grundsätzlich liege ein Verstoß gegen § 57 Abs. 1 Nr. 5 VgV nicht nur vor, wenn Preisangaben fehlten, sondern auch dann, wenn der angegebene Preis unzutreffend sei. Der Bieter müsse für die jeweilige Leistungsposition die nach seiner Kalkulation zutreffende Preisangabe machen. Eine Preisangabe sei unzutreffend, wenn auch nur für eine Position nicht der Betrag angegeben werde, der für die betreffende Leistung tatsächlich beansprucht werde.

Nach den von A vorgelegten Angebotsunterlagen sei nicht eindeutig, welche Preise für die Nrn. 1 - 4 des LV tatsächlich beansprucht würden. Der tatsächlich gemeinte – von A gewollte – Preis könne hier durch Auslegung des Angebotsinhalts gemäß §§ 133, 157 BGB nicht eindeutig ermittelt werden. Zwar sei die Erhaltung eines möglichst umfassenden Wettbewerbs erklärtes Ziel der jüngsten Vergaberechtsmodernisierung gewesen. Danach solle die Anzahl der am Wettbewerb teilnehmenden Angebote wegen an sich vermeidbarer, nicht gravierender formaler Mängel nicht unnötig reduziert werden (siehe BGH, Urteil vom 18. Juni 2019, X ZR 86/17).

Ein Fall, wie ihn der BGH 2019 entschieden habe, liege hier aber nicht vor. Ein bloßes Missverständnis des A über die Geltung bestimmter Teile seines Angebots (beispielsweise eigener Allgemeiner Geschäftsbedingungen) sei hier nicht feststellbar. Durch eine reine Auslegung des Angebots sei nicht zweifelsfrei ermittelbar, welche Preise die letztgültigen sein sollten, auf die der Zuschlag ergehen könnte. Beide Unterlagen enthielten unterschiedliche Datumsangaben und seien als unterschiedliche Dateien im Rahmen des elektronisch geführten Vergabeverfahrens auf die Plattform hochgeladen worden. A verweise zwar darauf, dass aufgrund des Datums der Erklärungen das spätere mit Datum vom 18. November 2020 ausgefüllte LV letztverbindlich sein solle, nicht aber das Preisblatt vom 20. Oktober 2020. Allerdings sei das von A geltend gemachte bloße technische Versehen des Hochladens einer alten Version des Angebotsvordrucks nicht so eindeutig, wie er meine. Ob das später datierende LV die angebotenen Preise abbilde und der Angebotsvordruck somit obsolet sei, könne nicht einfach aufgrund des Datums angenommen werden. Für den AG sei jedenfalls ohne weitere Nachforschung nicht zweifelsfrei erkennbar, welche Preisangaben zum Angebotsabgabetermin verbindlich angeboten worden seien.

Der AG könne die Widersprüchlichkeit der Angaben aber nicht durch Nachforschungen bei A selbst beseitigen. Die Grenze der Auslegung einer Willenserklärung sei erreicht, wenn der Auftraggeber Nachforschungen über das wirklich Gewollte beim Bieter anstellen müsste. Der Bieter hätte es sonst in der Hand, den angebotenen Preis nachträglich gegen einen anderen auszutauschen. Nachträgliches Verhalten oder Willensbekundungen einer Partei seien bei der Auslegung von Rechtsgeschäften nur insoweit berücksichtigungsfähig, als sie Rückschlüsse auf den tatsächlichen Willen und auf das Verständnis des Erklärungsempfängers im Zeitpunkt des Zugangs zuließen. Dies wäre hier aber nicht gewährleistet. A hätte es in der Hand, mit einem höheren Preis in die Wertung zu gehen, um anschließend im Zuge der Nachforschung seinen günstigeren Preis – soweit vom Ranking her nötig – ins Spiel zu bringen. Eine Auslegung sei daher hier im Ergebnis schon aus Gründen des Wettbewerbs gemäß
§ 97 Abs. 1 GWB nicht möglich.

Auch eine Nachforderung bzw. Aufklärung von Preisen sei gemäß § 56 Abs. 3 Satz 2 VgV unzulässig. Der AG habe zu Recht festgestellt, dass eine Aufklärung von Preisangaben hier ausgeschlossen sei, weil es sich nicht um unwesentliche Einzelpositionen handele, deren Einzelpreise den Gesamtpreis nicht verändern oder die Wertungsreihenfolge und den Wettbewerb nicht beeinträchtigen würden. Die Wertungsreihenfolge würde hier verändert, der Gesamtpreis um einen entsprechenden Betrag reduziert. Eine Aufklärung der Preisangaben sei daher nicht zulässig.

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Anmerkung:
In der o.a. Entscheidung zeigt sich einmal mehr die extreme Formstrenge des Vergaberechts. Danach können widersprüchliche Preisangaben in aller Regel – anders als z.B. durch den Bieter versehentlich beigefügte Allgemeine Geschäftsbedingungen (so BGH vom 18.06.2019 – s.o.) – nicht durch Auslegung „geheilt“ werden. Problematisch war hier, dass der AG Preisangaben quasi doppelt (durch LV und Preisblatt) abgefragt hat, was letztlich für Bieter eine zusätzliche Fehlerquelle eröffnet. Bei widersprüchlichen Preisangaben bleibt dann im Ergebnis nur der Angebotsausschluss übrig – mag das Angebot für den Auftraggeber wirtschaftlich noch so interessant sein. Ausnahme für eine Nachforderung ist nur, dass es sich lediglich um unwesentliche Einzelpositionen handelt, deren Einzelpreise den Gesamtpreis nicht verändern oder die Wertungsreihenfolge und den Wettbewerb nicht beeinträchtigen (siehe § 56 Abs. 3 Satz 2 VgV).

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