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Keine Ausnutzung erkennbarer Kalkulationsfehler!

20.01.2015

Das OLG Celle hat mit Urteil vom 20.02.2014 – 5 U 109/13 – u. a. Folgendes entschieden:

• Eine fehlerhafte Kalkulation liegt im Risikobereich des Bieters. Grundsätzlich hat der Bieter das Risiko seiner Fehlkalkulation zu tragen.

• Der Auftraggeber ist nicht gehalten, von sich aus zu klären, ob ein Kalkulationsfehler vorliegt oder nicht.

• Eine Pflicht zur Aufklärung besteht aber dann, wenn sich der Tatbestand des Kalkulationsirrtums mit seinen unzumutbaren Folgen für den Bieter aus dem Angebot des Bieters oder aus dem Vergleich zu den weiteren Angeboten oder aus den dem Auftraggeber bekannten sonstigen Umständen geradezu aufdrängt. In einem solchen Ausnahmefall ist es gerechtfertigt, den Auftraggeber entgegen eigenen Interessen als verpflichtet anzusehen, an der Aufklärung eines Kalkulationsfehlers eines Bieters mitzuwirken.

• Es stellt eine unzulässige Rechtsausübung dar, wenn der Auftraggeber ein Vertragsangebot annimmt und auf die Durchführung des Vertrages besteht, obwohl er wusste, dass das Angebot auf einem Kalkulationsirrtum des Bieters beruht und die Vertragsausführung für diesen unzumutbar ist.

Ein öffentlicher Auftraggeber (AG) hatte Straßenbauarbeiten öffentlich ausgeschrieben. Bieter A hatte diese zu einem Preis von EUR 455.000 angeboten. Dieser Preis war, insbesondere auch angesichts der Aufwendungen, die für diese Arbeiten anfielen, auffallend günstig. Das nächstgünstige Angebot belief sich auf ca. EUR 621.000. Dem Bieter fiel ein Kalkulationsfehler und der daraus resultierende für ihn unauskömmliche Preis rechtzeitig auf. Er wandte sich noch während des Vergabeverfahrens an den Auftraggeber und bat, sein Angebot nicht zu berücksichtigen. Der AG folgte dem Ansinnen nicht, sondern erteilte dem Bieter A trotzdem den Zuschlag.

Das Gericht gibt hier Bieter A Recht. Zwar habe der Bieter das Risiko einer Fehlkalkulation selbst zu tragen. Daraus folge, dass der Bieter den AG von dem Kalkulationsfehler und dessen unzumutbaren wirtschaftlichen Auswirkungen auf seinen Betrieb umfassend und für diesen nachprüfbar in Kenntnis setzen müsse, was hier der Fall gewesen sei. Der AG sei während des Vergabeverfahrens nicht verpflichtet, ohne offenbare Anhaltspunkte die Angebote auf etwaige Kalkulationsfehler zu überprüfen oder weitere Ermittlungen anzustellen. Er sei auch nicht gehalten, von sich aus zu klären, ob ein Kalkulationsfehler vorliege oder nicht. Eine Ausnahme bestehe aber dann, wenn sich der Kalkulationsirrtum und seine unzumutbaren Folgen für den Bieter aus dem Angebot für den AG geradezu aufdränge. In einem solchen Fall sei es nach dem Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) gerechtfertigt, den AG entgegen eigenen Interessen als verpflichtet anzusehen, an der Aufklärung eines Kalkulationsfehlers mitzuwirken. Dabei komme es ganz wesentlich auf das Ausmaß des Kalkulationsirrtums an. Mit dem Grundsatz von Treu und Glauben als unvereinbar werde man die Annahme eines fehlerhaft berechneten Angebots dann ansehen können, wenn die Vertragsdurchführung für den Erklärenden schlichtweg unzumutbar sei, etwa weil er dadurch in erhebliche wirtschaftliche Schwierigkeiten gerate. In diesem Fall stelle es eine unzulässige Rechtsausübung dar, wenn der AG trotz Wissens, dass das Angebot auf einem Kalkulationsirrtum des Erklärenden beruht und die Vertragsausführung für diesen unzumutbar sei, auf dieses Angebot den Zuschlag erteile.

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RA Michael Werner

Partner in der Kanzlei
ZIRNGIBL LANGWIESER
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Anmerkung:
Die Entscheidung, die vom BGH mit Urteil vom 11.11.2014 (X ZR 32/14 – noch unveröffentlicht) zwischenzeitlich bestätigt wurde, betrifft einen absoluten Extrem- bzw. Ausnahmefall, da nach ständiger Rechtsprechung der Kalkulationsirrtum eines Bieters grundsätzlich unbeachtlich ist. Hier dagegen führte der Kalkulationsirrtum des Bieters zu ganz erheblichen Schwierigkeiten, bis hin zur drohenden Insolvenz, weshalb nach der Entscheidung des OLG es mit Treu und Glauben unvereinbar wäre, das quasi sehenden Auges fehlkalkulierte Angebot zu bezuschlagen.

  Quelle: RA Michael Werner


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