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Keine Korrektur leistungsbezogener Unterlagen!

07.04.2020

von Ra Michael Werner

Die Vergabekammer (VK) Lüneburg hat mit Beschluss vom 29.10.2019 – VgK- 38/2019 – u.a. folgendes entschieden:

• Bei der Ermittlung, ob Unterlagen nachgefordert werden dürfen, ist zwischen unternehmensbezogenen und leistungsbezogenen Unterlagen zu differenzieren. Eine Korrektur von fehlerhaften Unterlagen ist nur bezüglich unternehmensbezogener Unterlagen zulässig.

• Unternehmensbezogen sind solche Unterlagen, die die Eignungsprüfung betreffen. Leistungsbezogen dagegen welche, die die Angebotswertung betreffen.

• Kalkulationstabellen an den Mindestlohn sind leistungsbezogene Unterlagen. Sie haben keinen Einfluss auf die Eignung der Bieter, sondern ausschließlich auf ihre Angebote.

Ein öffentlicher Auftraggeber (AG) hatte Gebäudereinigungsleistungen europaweit im offenen Verfahren in 4 Losen ausgeschrieben. Der Preis war einziges Zuschlagskriterium. Auf eine Bieterfrage bestätigte der AG mit Mitteilung an alle Bieter, dass mit dem ab dem Jahr 2020 gültigen Mindestlohn (10,80 Euro) kalkuliert werden müsse. Bieter A unterbreitete darauf das preislich günstigste Angebot. Bei der Angebotsprüfung stellte der AG fest, dass A sein Angebot mit dem für das Jahr 2019 gültigen Mindestlohn (10,56 Euro) kalkuliert hatte. Daraufhin gab der AG dem A Gelegenheit, seine Kalkulationstabellen an den Mindestlohn 2020 anzupassen; dem kam der A fristgerecht nach. Der Preis des Angebots des A über alle 4 Lose lag nun ca. 18.000 Euro über dessen ursprünglichen Preis, stellte aber immer noch das günstigste Angebot dar. Bieter B, dessen Angebot an zweiter Stelle lag, rügte die beabsichtigte Zuschlagserteilung an A und stellte Nachprüfungsantrag.

Die VK gibt hier Bieter B Recht. Das Angebot des A hätte wegen Änderungen der Vergabeunterlagen gemäß § 57 Abs. 1 Nr. 4 VgV von der Wertung ausgeschlossen werden müssen. § 57 Abs. 1 Nr. 4 VgV stelle eine bieterschützende Norm dar, auf dessen Einhaltung Unternehmen sich i. S. d. § 97 Abs. 6 GWB berufen könnten. Der AG sei nicht berechtigt gewesen, dem A im Rahmen einer Nachforderung die Möglichkeit einzuräumen, die mit dem Angebot eingereichten Kalkulationstabellen dahingehend anzupassen, dass der entsprechende Mindestlohn für das Jahr 2020 eingetragen wurde. Dies stelle einen Verstoß gegen § 56 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 Satz. 1 VgV dar.

Nach § 56 Abs. 2 Satz 1 VgV könne der öffentliche Auftraggeber den Bewerber oder Bieter unter Einhaltung der Grundsätze der Transparenz und der Gleichbehandlung auffordern, fehlende, unvollständige oder fehlerhafte unternehmensbezogene Unterlagen, insbesondere Eigenerklärungen, Angaben, Bescheinigungen oder sonstige Nachweise, nachzureichen, zu vervollständigen oder zu korrigieren, oder fehlende oder unvollständige leistungsbezogene Unterlagen nachzureichen oder zu vervollständigen.

Vorliegend sei eine Nachforderung unter mehreren Gesichtspunkten ausgeschlossen. Aus der ausdrücklichen Gesetzesbegründung ergebe sich, dass die Nachforderungsmöglichkeit ausscheide, wenn das Angebot nach § 57 VgV zwingend auszuschließen sei. Wie dargestellt, sei das Angebot des A wegen Änderung der Vergabeunterlagen zwingend auszuschließen gewesen. Dies hätte den AG bereits daran gehindert, Unterlagen nachzufordern. Darüber hinaus wäre es einer Nachforderung entgegengestanden, dass es sich bei den Kalkulationstabellen um leistungsbezogene Unterlagen handelte, welche nicht fehlten oder unvollständig, sondern lediglich fehlerhaft gewesen waren. Eine Korrektur von fehlerhaften Unterlagen sei nur bezüglich unternehmensbezogener Unterlagen zulässig.

Bei der Ermittlung, ob Unterlagen nachgefordert werden dürften, sei zunächst zwischen unternehmensbezogenen und leistungsbezogenen Unterlagen zu differenzieren. Leistungsbezogene Unterlagen, die die Wirtschaftlichkeitsbewertung der Angebote anhand der Zuschlagskriterien beträfen, könnten nachgereicht oder vervollständigt werden, wenn sie fehlten oder unvollständig seien. Unternehmensbezogene Unterlagen könnten nachgereicht, vervollständigt oder korrigiert werden, wenn sie fehlten, unvollständig oder fehlerhaft seien. Alleine aus dem Wortlaut ergebe sich daher bereits, dass eine Korrektur fehlerhafter Unterlagen alleine den unternehmensbezogenen Unterlagen vorbehalten sei. Diese Regelung sei zur Sicherstellung des Wettbewerbs- und Nichtdiskriminierungsgrundsatzes auch nicht über seinen Wortlaut hinaus erweiternd auszulegen. Dies ergebe sich daraus, dass bei einer nachträglichen Korrektur leistungsbezogener Unterlagen die Gefahr bestehe, dass der Bieter seine Wettbewerbsstellung manipuliere. Unternehmensbezogen seien solche Unterlagen, die die Eignungsprüfung beträfen. Leistungsbezogene dagegen welche, die die Angebotswertung beträfen. Bei den hier nachgeforderten Kalkulationstabellen handele es sich aber um leistungsbezogene Unterlagen. Sie hätten keinen Einfluss auf die Eignung des A, sondern ausschließlich auf sein Angebot. Die Kalkulationstabellen seien jedoch nicht unvollständig gewesen, geschweige denn fehlten sie gänzlich. Sie seien vielmehr fehlerhaft gewesen. Die Kalkulationstabelle sei dementsprechend vollständig ausgefüllt und Teil des Angebots des A gewesen. Lediglich inhaltlich hätten die Angaben nicht den Anforderungen der Leistungsbeschreibung entsprochen. A hätte die Tabellen korrigieren müssen, was wie oben gezeigt, bei leistungsbezogenen Unterlagen jedoch unzulässig sei.

Die Regelung stelle klar, dass die Möglichkeit des Nachforderns von Unterlagen grundsätzlich nur dazu diene, den Ausschluss von Angeboten aufgrund fehlender Unterlagen zu vermeiden, aber nicht die Verbesserung der Zuschlagschancen eines eingereichten Angebots ermöglichen solle.

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Anmerkung:
Die Entscheidung betrifft hier zwar direkt die Vergabe von Dienstleistungen nach der VgV, kann jedoch 1:1 auch auf die Vergabe von Bauleistungen übertragen werden. Grund dafür ist, dass die von der VK Lüneburg herangezogene Regelung des § 56 Abs. 2 VgV zur Nachforderung von Unterlagen identisch ist mit § 16a Abs. 1 EU VOB/A. Auch dieser differenziert zwischen unternehmensbezogenen und leistungsbezogenen Unterlagen, wobei diese Regelung seit 2019 auch im Bereich unterhalb der Schwellenwerte gilt – siehe § 16a Abs. 1 VOB/A.

Im Ergebnis heißt das: Nur unternehmensbezogene Unterlagen, d.h. diejenigen, die die Eignung eines Bieters betreffen, können korrigiert werden. Unterlagen, die das Angebot selbst betreffen, können zwar nachgereicht bzw. vervollständigt, nicht aber korrigiert werden.

  Quelle:


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