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Keine Pflicht zur Baustellenbesichtigung!

22.12.2016

von RA Michael Seitz

Bei einer Ausschreibung nach der VOB/A ist ein Bieter trotz ausdrücklicher Vorgabe des Auftraggebers in den Vergabeunterlagen nicht verpflichtet, vor Angebotsabgabe die künftige Baustelle zu besichtigen.

Dies hat das OLG Hamm in einem Urteil vom 14.10.2016 12 U 67/15 entschieden.

Der Fall: Die Stadt AG schreibt die Ertüchtigung einer Eisenbahnunterführung aus, AN bietet an und kalkuliert, dass die bei der ausgeschriebenen Düsenstrahlinjektion (HDI) anfallende Rücklaufsuspension in einem Erdbecken in unmittelbarer Nähe der Baustelle aufgefangen werden kann. AN erhält den Zuschlag. Als er die Baustelle einrichten will, stellt er fest, dass der Platz für ein Erdbecken nicht ausreicht. Daraufhin stellt AN einen Nachtrag und bietet die Entsorgung der Suspension mit Containern an. AG lehnt die Mehrvergütungsforderung ab und weist darauf hin, in ihren Vergabeunterlagen sei vorgegeben, dass der Bieter sich vor Angebotsabgabe über die spätere Baustelle kundig machen müsse. Hätte AN dies getan, hätte er den Platzmangel erkennen können. AN klagt seinen Nachtrag ein.

Das Urteil: Und bekommt Recht! Nach Auffassung des OLG Hamm ist der eigentlich in jeder öffentlichen Ausschreibung zu findende Hinweis des Auftraggebers, der Bieter müsse oder könne die Baustelle vorher besichtigen, unzulässig. Das ergibt sich aus § 7 VOB/A. Dort heißt es nämlich in Abs. 1 Nr. 1 und 2, dass die Leistung eindeutig und erschöpfend zu beschreiben ist und dass alle sie beeinflussenden Umstände in den Vergabeunterlagen anzugeben sind. Dies ist eine Bringschuld des AG. Daher besteht auch keine Verpflichtung zur Ortsbesichtigung für die Bieter, und zwar selbst dann nicht, wenn dies ausdrücklich in den Vergabeunterlagen vorgesehen ist. AN erhält also seinen Nachtrag bezahlt.

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Fazit: Nur allzu gern schreiben öffentliche Auftraggeber unklar, unvollständig oder sogar schlampig aus und schieben die Verantwortung dafür den Bauunternehmen zu. Dies ist nach § 7 VOB/A unzulässig. Ohne dass das OLG dies ausdrück-lich erwähnt, ist auch in den Abschnitten der VOB/C deutlich nachzulesen, was der Auftraggeber auszuschreiben hat. Außerdem würde eine Pflicht zur Ortsbesichtigung wohl auch gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz verstoßen. Vor diesem Hintergrund ist die Entscheidung für Bauunternehmer höchst erfreulich und ein deutlicher Hinweis an öffentliche Auftraggeber, die Verantwortung für unklare Ausschreibungen nicht auf den AN abzuwälzen.

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