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Kickoff des ökonomischen Brandschutzes in der Schweiz

17.04.2015

Von Urs Käser, Leiter Fachstelle Brandschutz Gebäudeversicherung Bern (GVB)

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Die Brandschutzvorschriften 2015 bringen Lockerungen im Holzbau. Neu können Bauten mit bis zu acht Geschossen in brennbarer Bauweise erstellt werden.

Foto: Lenz Voneschen & Partner AG

Seit 1. Januar 2015 sind die neuen Brandschutzvorschriften in Kraft. Sie bringen zahlreiche Liberalisierungen. Das bisherige Sicherheitsniveau im Personenschutz bleibt unverändert, beim Sachwertschutz setzen die neuen Vorschriften auf eine wirtschaftliche Optimierung – eine Übersicht der wichtigsten Änderungen. Bauten werden zunehmend komplex, die technischen Möglichkeiten bringen neue Herausforderungen und in Städten werden immer mehr Hochhäuser gebaut. Die Anforderungen an den Brandschutz sind groß; die Umsetzung der Massnahmen verursacht Kosten. Im Zentrum der Revision der Brandschutzvorschriften stand deshalb die wirtschaftliche Optimierung. Bei der Mehrheit der Bauprojekte sind die Standardkonzepte (baulich oder mit Löschanlage), die in den Brandschutzvorschriften verankert sind, nach wie vor die wirtschaftlichste und einfachste Lösung. Doch je nach Projekt, insbesondere bei großen komplexen Bauten, sind die Standardkonzepte ungeeignet. In diesen Fällen können alternative Maßnahmen für den Brandschutz umgesetzt und als sogenannte Alternativkonzepte bewilligt werden. Damit tragen die neuen Vorschriften der geforderten Liberalisierung und der stetig wachsenden Komplexität der Bauten Rechnung. So beginnt eine neue Ära des ökonomischen Brandschutzes.

Abgestufte Qualitätssicherung
Liberalisierungen fordern Rahmenbedingungen. Mit den neuen Brandschutzvorschriften wird deshalb die Pflicht zur Qualitätssicherung eingeführt – von der Planung über die Realisierung bis zum Betrieb von Bauten und Anlagen. Dazu werden Bauten je nach Nutzung, Gebäudegeometrie, Bauweise und besonderen Brandrisiken einer Qualitätssicherungsstufe (QSS) von 1 bis 4 zugeordnet. Kleine, einfache Bauten mit wenig Nutzungseinheiten und keinen erhöhten Brandrisiken fallen in QSS1. Dazu gehören zum Beispiel Wohnbauten, Büros, Schulen oder landwirtschaftliche Bauten. In der Stufe QSS1 ist die Qualitätssicherung mit wenig Aufwand verbunden. Große, komplexe Bauten mit hohen Brandrisiken werden in QSS4 eingeteilt. Ein Beispiel dafür ist das Shoppingcenter Westside in Bern. Ab QSS2 muss mindestens ein anerkannter Brandschutzfachmann oder eine Person mit einer vergleichbaren Ausbildung das Projekt als QS-Verantwortlicher Brandschutz begleiten.

Kürzere Flucht- und Rettungswege
Die Autoren der ETH-Studie «Wirtschaftliche Optimierung im vorbeugenden Brandschutz» analysierten, welche Vorgänge bei einer Evakuierung wie viel Zeit brauchen. Dabei zeigte sich, dass der Gehweg einen relativ kleinen Anteil ausmacht. Die zulässige Fluchtwegdistanz ist deshalb neu 35 m anstatt 20 m. Die 20 m sind nur noch bei speziellen Nutzungen, zum Beispiel bei Verkehrswegen in Verkaufsgeschäften oder bei Wohngruppen in Beherbergungsbetrieben der Kategorie A (zum Beispiel Heime und Spitäler) gefordert. Änderungen gibt es auch bei der Anzahl der geforderten Treppenanlagen. Maßgebend ist nicht mehr die Geschossfläche, sondern die Länge des Fluchtwegs. Damit sind in vielen Fällen weniger Treppenhäuser nötig.

Höhere Grenze für Hochhäuser
Neu werden die Brandschutzmaßnahmen nicht mehr aufgrund der Anzahl Geschosse, sondern aufgrund der Gebäudegeometrie in Bezug zur Gebäudehöhe festgelegt. Die Einstufung der Gebäudehöhen orientiert sich an der interkantonalen Vereinbarung über die Harmonisierung der Baubegriffe. Damit Gebäude mit Steildächern dadurch keine Verschärfung erfahren, wurde die Hochhausgrenze von 25 m auf 30 m erhöht. Für Gebäude mit Flachdach bedeutet dies eine Erleichterung: Es können ein bis zwei Stockwerke mehr erstellt werden, ohne dass das Gebäude als Hochhaus gilt. Dies ist entscheidend, denn bei Hochhäusern können Brandschutzmaßnahmen je nach Projekt hohe Kosten verursachen. Für kleinere Gebäude ist in den neuen Vorschriften eine zusätzliche Kategorie «Gebäude mit geringen Abmessungen» definiert (Gebäude mit geringer Höhe, max. 2 Stockwerke über Terrain, max. 1 Geschoss unter Terrain, max. 600 m² Geschossfläche und Nutzungseinschränkung). Bei diesen Bauten werden mit wenigen Ausnahmen keine Anforderungen mehr an den Feuerwiderstand von Tragewerken, Wänden und Decken gestellt.

Neue Klassifizierung der Bauprodukte
Umgewöhnen müssen sich Planer und Brandschutzverantwortliche bei der Klassifizierung der Baustoffe und Bauteile. Sie werden neu aufgrund ihres Brandbeitrags in vier Brandverhaltensgruppen RF1 bis RF4 eingeteilt. Dies gilt für alle Bauprodukte aus den über 300 europäischen Klassifizierungen und für die bisherigen 20 Klassifizierungsmöglichkeiten der Vereinigung der Kantonalen Feuerversicherungen (VKF). Die Verwendung der Baustoffe orientiert sich ebenfalls an diesen Brandverhaltensgruppen. In der neuen Klassierung sind die Rauchentwicklung, die Korrosivität und das brennende Abtropfen bzw. Abfallen enthalten. Einzig das kritische Verhalten der Baustoffe ist zu beachten. Damit ist das Regelwerk deutlich einfacher geworden. Eine weitere Änderung ist die materialneutrale Darstellung. Das heißt, bei der Auslegung von Tragwerken oder Brandabschnitten wird nicht mehr zwischen brennbaren und nicht-brennbaren Materialien unterschieden. Massgebend ist in der Regel nur noch die Feuerwiderstandsdauer. Sie gibt an, wie lange eine Konstruktion dem Feuer standhält. Für Holzbauten bedeutet dies eine Lockerung. Neu können Gebäude bis zur Hochhausgrenze in brennbarer Bauweise erstellt werden.

Keine Brandabschnitte in Einfamilienhäusern
Im Industrie- und Gewerbebereich bringen die neuen Vorschriften bei der Auslegung der Brandabschnitte Erleichterungen. Die mögliche Brandabschnittsgröße ist in einzelnen Fällen um bis zu 50 % grösser als bisher. Bei einer Unterschreitung der Schutzabstände sind mögliche Ersatzmaßnahmen neu geregelt. Zudem können mehrere Haupt- und Nebenbauten zu einer Arealfläche zusammengefasst und damit die Brandschutzabstände reduziert resp. vernachlässigt werden. Und für Einfamilienhäuser bestehen gar keine Vorschriften mehr betreffend Brandabschnittsbildung zwischen Garage und Wohnhaus oder Heizung und Wohnraum (ausser bei Holzzentralheizungen). Ausserdem werden keine Anforderungen an den Feuerwiderstand von Tragwerken, Wänden und Decken gestellt.

Steigende Anforderungen
Mit den neuen Brandschutzvorschriften reagiert die VKF auf die geforderte Liberalisierung. In Zukunft werden die Baukosten für Brandschutzmaßnahmen tendenziell sinken. Bei Neubauten wird der Anteil des baulichen Brandschutzes kleiner; die Anteile des technischen und organisatorischen Brandschutzes nehmen zu. Mit der Liberalisierung und der wachsenden Komplexität der Bauten steigen jedoch die Anforderungen an Projektierung, Realisierung und Qualitätssicherung. Auch Unterhalt und Wartung werden anspruchsvoller. Dies fordert Eigentümer und Betreiber. Denn sie sind dafür verantwortlich, dass der geplante Brandschutz über die gesamte Nutzungsdauer erhalten bleibt – Anforderungen, die nicht neu sind.

  Quelle: www.sprachwerk.ch


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