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Kleiner Ritter mit großem Effekt

20.01.2015

Digital gestaltete Fassade

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Wie ein Ersatzbau harmonisch in den (alten) Bestand eingefügt werden kann, Eigenständigkeit und Modernität ebenso zeigt wie Respekt vor dem Traditionellen und so Bauherr und Denkmalschützer gleichermaßen beeindruckt, ist jetzt in Frankfurt zu sehen: Der Bestandsbau war so marode, dass er sich nicht erhalten ließ. Der Neubau „Kleiner Ritter“ nimmt die alte Kubatur auf und setzt auf zeitgemäße Optik. An das einstige Fachwerk erinnert eine kurvenreiche, sich verdichtende Linie, die im Rahmen eines digitalen Entwurfs und Fertigungsprozesses in StoDeco Plan-Fassadenplatten eingefräst wurde.

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In Frankfurt Alt-Sachsenhausen ist es mit der Bausubstanz nicht überall gut bestellt. Viele, teils historische Häuser leiden unter Übernutzung und ungenügender Wartung. Selbst eine umfassende Sanierung kann sie nicht immer retten. Das erlebte jetzt ein Bauherr, der ein altes Dreier-Ensemble in der Kleinen Rittergasse erhalten wollte. Die statischen Schäden waren zu groß, um das Gebäude zu bewahren. Weil das Ensemble in einem sogenannten „Vorbehaltsgebiet“ stand, musste die Denkmalschutzbehörde sowohl dem Abriss wie auch dem Neubaukonzept zustimmen.

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Aus der Distanz tritt das angedeutete Fachwerk deutlich hervor, das Erdgeschoss ist mit einer Natursteinfassade bekleidet.

Das „Kleiner Ritter“ genannte Projekt orientiert sich an der Kubatur seines Vorläufers, der Raumplan hingegen folgt heutigen Anforderungen an Wohn- und Geschäftsräume. Auch die Fassade ist keine Rekonstruktion, sondern zeigt selbstbewusst, dass hier ein neues Gebäude steht. Und doch taucht Fachwerk auf – als Abstraktion mit einer eigenen Geschichte.

„Das Fachwerk sollte als Nachbild erscheinen. Aus der Distanz betrachtet, lässt sich das Fachwerk erkennen, je näher ich komme, desto mehr löst es sich auf. Das heißt, die Vergangenheit wird immer verschwommener und besteht dann nur noch aus einzelnen Linien.“ Architekt Bernhard Franken begeisterte Bauherr und Denkmalschutz von dieser Idee. Wie erzeugt man ein solches subtil wirkendes Nachbild? Franken erinnerte sich an den „Darmstädter Zitterstrich“ – jene Methode, die Handskizzen einst den Duktus zwischen Exaktheit und Unbestimmtheit verlieh. Dieses Relikt aus analogen Zeiten übersetzte Franken zusammen mit seinem Team in die digitale Welt – sprich in einen eigens entwickelten Algorithmus, mit dem der Rechner einen täuschend „echten“ Zitterstrich so produziert, dass sich dessen Beweglichkeit beliebig parametrieren lässt. Ausschläge, Schwingungslängen, Verschlaufungen und Verdichtungen lassen sich wie seine Strichstärke variieren. „Dennoch zittert die Linie zufällig“, erläutert Bernhard Franken. Mit seinem Team hatte er sich bereits mit parametrischen, rechnergestützten Methoden zur Architekturgestaltung beschäftigt, so lag diese Umsetzung nahe.

Putzträgerplatte: Ideal für gefrästen „Zitterstrich“
Der Zitterstrich sollte schließlich als vertiefte Linie in der Fassade laufen – und sich dort verdichten, wo einst die Balken des Fachwerks zu sehen waren. Nun musste der Zitterstrich nur noch auf die Fassade kommen. Versuche mit einer manuell geführten Oberfräse und mit einem 5-Achs-Fräsroboter führten noch nicht zu einer baustellentaugliche Lösung. An dieser Stelle kam die Putzträgerplatte „StoDeco Plan“ ins Spiel: Gefertigt aus einem mineralischen Leichtwerkstoff, weist sie die notwendige Drucksteifigkeit und Feinporigkeit auf, ist massiv und nicht brennbar (A2-s1, d0). Die Tafeln, Leisten und Körper sind zudem frostsicher, schlagfest und durch das geringe Gewicht (550 kg/m³) leicht zu verarbeiten – auch im Sinne des Denkmalschutzes.

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Rangezoomt: Aus der Nähe wird der Verlauf des „Darmstädter Zitterstrichs“ ablesbar, die Struktur des Fachwerks löst sich auf. Für die eindrucksvolle Fassadengestaltung kamen mineralische Platten zum Einsatz, die nach einem vorher definierten Algorithmus von einer CNC-Fräse bearbeitet wurden.

Dass sich die Platten mit einer CNC-Fräse bearbeiten lassen, war schon lange vor dem Projekt bewiesen: 2010 präsentierte Sto erstmalig eine derartig bearbeitete Oberfläche. Sie war im Rahmen der „Trend-Collagen 2010/11“ entstanden. Für den „Kleinen Ritter“ fertigte die Verotec GmbH (ein Unternehmen der Sto Gruppe) eine neue Testfräsung. Das Ergebnis überzeugte die Planer, die Idee konnte Realität werden. Also zerlegte Projektarchitekt Robin Heather die Fassade oberhalb des mit Naturstein verkleideten Sockels in 144 unterschiedlich große Teilflächen, integrierte den Zitterstrich und stellte alles als Datensatz für die Herstellung in Lauingen zusammen. Dort kontrollierte Bernd Eckl, Projektservice Architekturelemente, die Lage der Platten und der notwendigen Dehnungsfugen. Die legte man so, dass sie später im Gesamtbild nicht störend wirken – auch um die steinernen Fensterlaibungen war eine entsprechend dimensionierte Fuge einzuplanen. Dann kam die CAD-Fräse zum Zuge und schnitt den Zitterstrich in Form einer V-Nut ein. Jede Platte erhielt eine Nummer, um sie auf dem Verlegeplan klar identifizieren zu können.

Die Montage der Platten direkt auf das dahinter liegende Wärmedämm-Verbundsystem übernahm das erfahrene und zuvor eingeübte Team des Frankfurter Malerfachbetriebs Helmut Lindt. „Die vorgefertigten Platten wurden gemäß Verlegeplan von einer Ecke ausgehend ganzflächig verklebt.“ Ronald Homburg, technischer Berater von Sto, begleitete die Umsetzung, wobei die Montage auf der armierten und verdübelten Dämmebene des EPS-basierten Fassadendämmsystems (StoTherm Vario) besonders hohe Sorgfalt verlangte, um ein Verrutschen oder Verkippen der Platten zu verhindern.

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Innen erfüllt der „kleine Ritter“ moderne Ansprüche an das Wohnen.

Fotos: Axel Stephan, Frankfurt/Main / Sto SE & Co. KGaA

Um die Forderung nach Putzoptik zu erfüllen, sandete man die dreifache Deckbeschichtung leicht ab – hellgrau ist die Oberfläche übrigens, damit das Licht- und Schattenspiel des Zitterstriches besonders lebendig wirkt. „Tatsächlich entsteht der Effekt des Zitterstriches nur durch Licht und Schatten, daher sieht er auch immer wieder anders aus“, freut sich Bernhard Franken. Man kann den Kleinen Ritter als Beitrag zur aktuellen Rekonstruktionsdebatte in Frankfurt und darüber hinaus sehen. Und auch als spannenden Ausblick auf das künftige Bauen mit digitalen Methoden und Prozessketten.

  Quelle: www.pr-nord.de


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