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Losvergabe ist die Regel – aber es gibt Ausnahmen!

11.10.2022

Das OLG Karlsruhe hat mit Beschluss vom 29.04.2022 – 15 Verg 2/22 – u.a. folgendes entschieden:

1. Die Freiheit, den Beschaffungsbedarf autonom zu bestimmen, wird dadurch beschränkt, dass aus Gründen der Stärkung des Mittelstands Leistungen grundsätzlich in Losen zu vergeben sind.

2. Eine Gesamtvergabe ist nur ausnahmsweise zulässig, wenn wirtschaftliche oder technische Gründe dies erfordern. Eine Gesamtvergabe setzt das Vorliegen eines objektiv zwingenden Grundes nicht voraus. Allerdings hat sich der öffentliche Auftraggeber bei einer beabsichtigten Gesamtvergabe in besonderer Weise mit dem grundsätzlichen Gebot einer Fachlosvergabe und den im konkreten Fall dagegen- sprechenden Gründen auseinanderzusetzen und eine umfassende Abwägung der widerstreitenden Belange vorzunehmen, als deren Ergebnis die für eine zusammenfassende Vergabe sprechenden technischen und wirtschaftlichen Gründe überwiegen müssen.

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RA Michael Werner

Ein öffentlicher Auftraggeber (AG) hatte einen Rahmenvertrag über die Lieferung von Fachsoftware für verschiedene Bedarfsträger im Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb europaweit ausgeschrieben. Bieter A rügte darauf den Verzicht auf eine Losaufteilung. Da der AG der Rüge nicht abhalf, stellte er Antrag auf Nachprüfung. Die erstinstanzliche VK gab A Recht und verpflichtete den AG zur Neuausschreibung. Dagegen wehrte sich der AG mit Beschwerde zum OLG.

Das OLG gibt dem AG Recht, da die beabsichtigte Gesamtvergabe nicht gegen § 97 Abs. 4 Satz 2 GWB verstoße.

Grundsätzlich stehe es jeder Vergabestelle frei, die auszuschreibende Leistung nach ihren individuellen Vorstellungen zu bestimmen und nur in dieser Gestalt den Wettbewerb zu eröffnen. Sie befinde deshalb grundsätzlich alleine darüber, welchen Umfang die zu vergebenden Leistungen haben sollten und ob ggf. mehrere Leistungseinheiten gebildet würden, die gesondert zu vergeben seien. Im Nachprüfungsverfahren sei die Entscheidung des AG allein darauf zu überprüfen, ob sie, dessen Erkenntnishorizont zur Zeit der Entscheidung über die Festlegung des Beschaffungsgegenstandes zugrunde gelegt, nicht auf sachfremden, willkürlichen oder diskriminierenden Erwägungen beruhe; hierbei komme der Vergabestelle ein erheblicher Beurteilungsspielraum zu. Sei die Festlegung des Beschaffungsbedarfs jedoch aufgrund sachlicher und auftragsbezogener Gründe diskriminierungsfrei erfolgt, so sei eine sich hieraus ergebende, wettbewerbsverengende Wirkung grundsätzlich hinzunehmen.

Beschränkt werde diese Freiheit, den Beschaffungsbedarf autonom zu bestimmen dadurch, dass aus Gründen der Stärkung des Mittelstands Leistungen grundsätzlich in Losen zu vergeben seien, § 97 Abs. 4 S. 2 GWB.

Voraussetzung sei dabei zunächst, dass die ausgeschriebene Leistung losweise vergeben werden könne. Für diese Feststellung sei insbesondere vom Belang, ob sich für die spezielle Leistung ein eigener Anbietermarkt mit spezialisierten Fachunternehmen herausgebildet habe; hierbei seien die aktuellen Marktverhältnisse von wesentlicher Bedeutung.

Eine Gesamtvergabe sei nur ausnahmsweise zulässig, wenn wirtschaftliche oder technische Gründe dies erforderten, § 97 Abs. 4 S. 3 GWB. Die Vorschrift bestimme aber nicht, dass eine Gesamtvergabe nur bei Vorliegen eines objektiv zwingenden Grundes erfolgen dürfe. Allerdings habe sich der öffentliche AG bei einer beabsichtigten Gesamtvergabe in besonderer Weise mit dem grundsätzlichen Gebot einer Fachlosvergabe und den im konkreten Fall dagegensprechenden Gründen auseinanderzusetzen und eine umfassende Abwägung der widerstreitenden Belange vorzunehmen, als deren Ergebnis die für eine zusammenfassende Vergabe sprechenden technischen und wirtschaftlichen Gründe überwiegen müssten. Dabei sei die Entscheidung des AG für eine Gesamtvergabe nur darauf zu überprüfen, ob sie auf einer vollständigen oder zutreffenden Tatsachenermittlung und nicht auf fehlerhaftem Ermessen, insbesondere Willkür, beruhe. Die Überprüfung erfolge anhand der im Vergabevermerk zeitnah dokumentierten Abwägung. Unwirtschaftlich sei eine Losvergabe insbesondere dann, wenn dies zu einer spürbaren Verteuerung des Gesamtauftrags führe und damit dem Gesamtziel des Vergaberechts, wirtschaftlich zu beschaffen, zuwiderlaufe. Der aus einer Losvergabe resultierende Koordinierungsaufwand sowie die sich an Schnittstellen ergebenden Risiken seien als wirtschaftliche Aspekte in die Entscheidung einzubeziehen. Technische Gründe seien solche, die eine Integration aller Leistungsschritte in einer Hand zur Erreichung des vom Auftraggeber angestrebten Qualitätsniveaus notwendig machten. Allerdings könnten der mit einer Fachlosvergabe allgemein verbundene Ausschreibungs-, Prüfungs- und Koordinierungsaufwand sowie ein höherer Aufwand bei der Gewährleistung eine Gesamtvergabe für sich allein nicht rechtfertigen, weil es sich dabei um einen den Losvergaben immanenten und damit typischerweise verbundenen Mehraufwand handele, der nach dem Zweck des Gesetzes grundsätzlich in Kauf zu nehmen sei.

Im vorliegenden Fall seien die Abwägung und deren Dokumentation jedoch nicht zu beanstanden. Anders als die VK meine, sei für eine ordnungsgemäße Abwägung nicht erforderlich, eine Gegenüberstellung der positiven Effekte einer Gesamtvergabe und deren negative Auswirkungen im Vergabevermerk schriftlich niederzulegen. Hiermit würden die Anforderungen an die Dokumentation überspannt. Für eine Gesamtvergabe gemäß § 97 Abs. 4, Satz 3 GWB sei es daher ausreichend, aber auch erforderlich, dass stichhaltige technische und/ oder wirtschaftliche Gründe in Bezug auf den konkreten Projektverlauf in sich nachvollziehbar und in nicht willkürlicher Art und Weise vorhanden und entsprechend dargestellt würden.

Der AG habe hier nachvollziehbar zugrunde gelegt, dass wegen der Komplexität der jeweiligen Betreuungs- und Implementierungsleistungen und dem im Zusammenhang mit dem Rechenzentrumsbetrieb stehenden Aufwand, insbesondere auch vor dem Hintergrund der durch häufige Gesetzesänderung erforderlichen rechtlichen Anpassungen die Gewährleistung einer möglichst einheitliche Bedien- und Systemarchitektur erforderlich sei. Auch die vom AG angeführten erheblichen finanziellen Belastungen rechtfertigten die Gesamtvergabe. Dafür erforderlich sei eine projektbezogene Verteuerung; allgemeine wirtschaftliche Überlegungen und die strategische Ausrichtung reichten hingegen nicht. Der AG habe dies beachtet. Dass Grund für die Gesamtvergabe auch die mit einer Losaufteilung verbundene Kostensteigerung sei, ergebe sich aus dem Vergabevermerk, in dem der AG ausführe, dass er für diesen Fall mit Mehrkosten von 25 - 35 % rechne.

Anmerkung:

Die Entscheidung fast noch einmal im Einzelnen und sehr genau die seit langem in der Rechtsprechung herrschende Auffassung zusammen, wonach die Ausnahme einer Gesamtvergabe mittels einer sorgfältigen und umfassenden Abwägung zu begründen ist. Diese Auseinandersetzung des AG mit den Gründen Pro und Contra Losvergabe/ Gesamtvergabe ist dann im Vergabevermerk zum späteren Nachweis genauestens zu dokumentieren.

  Quelle: RA Michael Werner


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