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Mehr Mut auf Seiten des öffentlichen Auftraggebers!

22.02.2021

Interview: Andreas Klose

Bauindustrie Deutschland

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Carsten Hense,
Geschäftsbereichsleiter GOLDBECK Public Partner GmbH


Die Bauindustrie gilt immer noch als Konjunkturmotor in Deutschland. Doch dass die Pandemie auch hier negative Auswirkungen zeigen wird, ist bereits zu hören. Und wie steht es um die anderen Herausforderungen wie Fachkräftemangel und Digitalisierung? Herr Carsten Hense, Geschäftsbereichsleiter GOLDBECK Public Partner GmbH, gibt in diesem Interview aufschlussreiche Antworten zum jetzigen Stand und was es noch zu tun gäbe.

Sehr geehrter Herr Hense, welchen Stellenwert hatten bislang öffentliche Aufträge für Ihr Unternehmen und wie sehen Sie die zukünftige Entwicklung?

Carsten Hense: Unser Schwerpunkt liegt im Gewerbebau. Wir realisieren Logistik- und Produktionshallen, Bürogebäude und Parkhäuser für Kunden in ganz Europa. In den letzten Jahren sind Kommunalimmobilien jedoch zunehmend in unseren Fokus gerückt und gewinnen deutlich an Relevanz. Für öffentliche Auftraggeber realisieren wir neben Verwaltungsgebäuden und Parkhäusern inzwischen auch Schulen und Wohngebäude – als klassischer Generalunternehmer, soweit die öffentliche Hand Projekte in dieser Form auschreibt, oder im Rahmen öffentlich-privater Partnerschaften, kurz ÖPPs.

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Visualisierung Bildungscampus Riensförde in Stade.

Im Gegensatz zu unseren Kunden aus der Industrie ist der öffentliche Kunde natürlich merklich stabiler. Der Bedarf an kommunaler Infrastruktur ist enorm und gleichzeitig verstärken sich Investitionsstaus. Vor diesem Hintergrund glauben wir, dass der Stellenwert öffentlicher Bauprojekte bei uns weiter zunehmen wird – insbesondere, weil wir Projekte durch unsere systematisierte Bauweise vergleichsweise zügig und planungssicher umsetzen können.

Können Sie ein Projekt nennen, das Sie aktuell umsetzen?

Vor etwa einem halben Jahr haben wir den Auftrag zur Realisierung des Bildungscampus Riensförde gewonnen, der eine Grund- und weiterbildende Schule sowie eine Sporthalle umfasst. Hier übernehmen wir das gesamte Paket, also Planung, Bau, Finanzierung und Betrieb für eine Laufzeit von 25 Jahren. Ein ganz besonders Projekt ist für uns das Polizeipräsidiums Südosthessen in Offenbach, das wir ebenfalls im Rahmen einer ÖPP realisieren. Besonders deshalb, weil es mit einem Volumen von etwa 160 Millionen Euro das größte in unserer Firmengeschichte ist. Hier sieht man also ganz deutlich, welchen wachsenden Stellenwert öffentliche Aufträge für GOLDBECK haben.

Länder und Kommunen haben aufgrund der Pandemie-Maßnahmen momentan enorme Steuereinbußen. Gleichzeitig sind private Investoren sehr zurückhaltend. Macht sich das für Ihr Unternehmen bemerkbar?

Bislang nicht. Die Bauindustrie ist ein Spätzykliker, da Planungs- und Bauaufträge häufig Monate und Jahre im Voraus erteilt werden. Die tatsächlichen Auswirkungen der Pandemie werden wir deshalb erst in ein bis zwei Jahren zu spüren bekommen. Stand heute gab es nur sehr wenige Projekte, bei denen Kunden Aufträge zurückgestellt haben. Eine unserer Niederlassungen meldete, dass ein Schulprojekt einer kleinen Gemeinde wegen fehlender Steuereinnahmen verursacht durch die Corona-Lage aufgeschoben wurde. Ein Einzelfall.

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Montage Außenwandelemente.

Insgesamt sind unsere Auftragseingänge stabil und es zeichnet sich auch keine signifikante Verschlechterung ab – weder mit Blick auf gewerbliche noch auf öffentliche Kunden. Das hängt auch damit zusammen, dass wir als Generalunternehmer vorrangig die ÖPP-Projekte suchen, bei denen wir – zum Vorteil unserer Kunden – auch die Finanzierung übernehmen. Wir schauen also einigermaßen zuversichtlich in die Zukunft. Je länger der Lockdown und die Einschränkungen andauern, desto größer wird aber natürlich auch der mittelbare Einfluss auf unsere Auftragsbücher.

Hatte die Pandemie intern Auswirkungen? Ich denke da an die Einrichtung von Home Offices oder die verstärkte Digitalisierung von Abläufen.

Selbstverständlich. Ich glaube, alle Unternehmen sind davon betroffen. Wir haben schon im Februar darauf reagiert und eine „Corona Task Force“ gegründet. Ihre Aufgabe war und ist es, die Verordnungen umzusetzen und entsprechende Handlungsanweisungen für alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu erarbeiten. Überall, in unseren Werken, auf den Baustellen und in der Verwaltung, haben wir konsequent Hygiene- und Vorsichtsmaßnahmen umgesetzt. Dazu gehören beispielsweise zusätzliche Baustellenunterkünfte, das Tragen von Mund- und Nasenschutz, kontaktlose Schichtwechsel oder die verstärkte Nutzung von Mobile Work, wo immer dies möglich ist. Im Herbst haben wir zudem zwei eigene Testzentren eröffnet, in denen Mitarbeitende sich per Schnelltest auf eine mögliche Infektion testen lassen können. Hier sind wir also dank der frühzeitigen Reaktion gut aufgestellt und konnten Infektionsketten bislang weitestgehend vermeiden. Beim Thema Digitalisierung waren wir durch Building Information Modelling glücklicherweise schon vorher stark aufgestellt.

Es läuft also rund?

Natürlich gibt es auch Reibungsverluste. So ist mein Team mehrheitlich im Home Office. Dabei taucht das Problem der Kinderbetreuung auf. Für viele Kolleginnen und Kollegen ergibt sich eine parallele Belastung. In der Kommunikation mit Auftraggebern, Partnern und Mitarbeitenden fordert zudem das Abhalten von Video-Konferenzen ein großes Maß an Eigenorganisation – mit Blick darauf, dass fast alle Teilnehmer die Besonderheiten dieser Kommunikationsform erst erlernen müssen. Dafür nehmen die Reisezeiten ab. Insofern hat die digitale Kommunikation auch ihre Vorteile.

Wird deren Nutzung auch nach der Pandemie anhalten? Wurde etwas nachhaltig angestoßen?

Viele Vorbehalte gegen digitale Besprechungen wurden jetzt ganz sicher durch tägliche Nutzung und Übung abgebaut. Es funktioniert und wird in vielen Bereichen Bestand halten. Der persönliche Austausch bleibt aber wichtig und kann durch Technik nicht in allen Fällen adäquat ersetzt werden. Ein Beispiel ist die Angebotspräsentation im Zuge eines Vergabeverfahrens. Für den vortragenden Architekten sind die direkten „emotionalen“ Reaktionen des Kunden sehr wichtig, also die nonverbale Kommunikation, um darauf schnell einzugehen. Diese Reaktionen lassen sich per Video nur schwer einfangen. Die digitale Kommunikation wird sicher voranschreiten, doch es gibt auch Gesprächsinhalte, bei denen man sich physisch an einen Tisch setzen sollte.

Nun gibt es einen Prozess, der alle Beteiligten digital an den runden Tisch führt: BIM. Inwieweit wird die Nutzung von BIM das Bauen hierzulande verändern? Und wie schätzen Sie die Akzeptanz auf Seiten der öffentlichen Auftraggeber ein?

Vorab sollten wir BIM definieren. Im Gegensatz zu einer verbreiteten Meinung ist BIM mehr als nur ein digitales Zeichnungsprogramm, mit dem Planungs- und Bauprozesse besser abgebildet werden. BIM ist viel mehr. Es ist die digitale Abbildung einer integralen Planung. Das Konzept der Integralen Planung gibt es schon lange: Alle Beteiligten, vom Tiefbau über die Architektur bis hin zur Gebäudetechnik sollen in den Planung- und Bauprozess integriert werden. BIM hat diese Idee nur in die digitale Welt überführt und bietet die Möglichkeit, gewerkübergreifend und über den gesamten Lebenszyklus eines Gebäudes im selben digitalen Modell zu arbeiten. Gerade in Deutschland ist das aber leider noch nicht im gewünschten Maß vorangekommen. Grund dafür sind zum Teil die Leistungsphasen der HOAI, die ein sequenzielles Planen vorgeben. Der Architekt fängt an und entwickelt ein Gebäude. Ab einem gewissen Planungsgrad geht er dann zum Tragwerks- oder Gebäudetechnikplaner. Das ist eben nicht integral. Das ist ein wichtiger Grund, warum wir unbedingt Planung und Bau aus unserem Hause liefern wollen. Nur so können wir unser Know-how konsequent in das Projekt einbringen. Damit stellen wir sicher, dass der Kunde ein gutes Ergebnis bekommt. Übrigens ist das integrierte Planen und Bauen bei den meisten Unternehmen durchaus üblich. Bei öffentlichen Auftraggebern schaut das anders aus. Die meisten Ausschreibungen fordern nach wie vor die sequentiellen Leistungsphasen gemäß der HOAI.

Die HOAI behindert BIM? Oder ist das zu überspitzt formuliert?

Die aufgeführten Leistungsphasen bilden den sequenziellen Verlauf schon richtig ab. Allerdings führt die konsequente Umsetzung eben nicht zu einer gemeinsamen Entwicklung der besten Lösung für die Bauaufgabe. Das fängt bei der Auftragsbeschreibung an, die vorteilhafter funktional sein sollte. Der Auftraggeber sollte sagen, was er am Ende haben will, und nicht Maße und Qualität jeder einzelnen Schraube definieren, wenn dies für seine Gebäudenutzung keine Relevanz hat. Ein Umdenken in diese Richtung wird dem integralen Planen und Bauen sicher einen Schub geben. Es würde den Vergabeprozess zudem vereinfachen und den personellen Kapazitäten auf Seiten des Auftraggebers entgegenkommen.

Sie haben bereits die Vorteile des Generalunternehmers anklingen lassen. Welche Chancen sehen Sie in der Zusammenarbeit von Generalübernehmern und öffentlichen Auftraggebern noch? Letztlich scheint die gewerkeweise Vergabe noch die Regel zu sein.

Tatsächlich gibt es den, ich möchte es so formulieren, Irrglauben der öffentlichen Hand, dass die gewerkeweise Vergabe verpflichtend sei. Wir interpretieren das Vergaberecht anders. In begründeten Fällen ist eine Vergabe an einen Generalunternehmer oder Totalübernehmer rechtskonform. Wenn der Auftraggeber sich dazu entschließt, dann wird er ein besseres Ergebnis, insbesondere in qualitativer Hinsicht, erzielen – nicht selten auch kostengünstiger.

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Produktion Stahlträge.

Fotos: gmp/GOLDBECK

Zudem werden seine Risiken deutlich minimiert. Ich kann mit einem gewissen Stolz sagen, dass wir jedes unserer Projekte im vorgegebenen Zeitrahmen und ohne nennenswerte Kostensteigerungen übergeben. Dabei kaufen wir rund zwei Drittel des Auftragsvolumens bzw. der Leistungen vor Ort bei Partnerunternehmen ein. Damit kommen wir auch der Forderung nach, den regionalen Mittelstand zu stärken. Hier besteht kein Widerspruch.

Mögen Sie abschließend noch einen Wunsch äußern?

Ich würde mir auf Seiten des öffentlichen Auftraggebers mehr Mut wünschen. Sie sollten sich das Know-how und die Leistungsfähigkeit von Generalunternehmern zu Nutze machen und keine Sorge haben, hier rechtliche Grauzonen zu betreten. Bei uns bekommen öffentliche Auftraggeber eine gute und vor allem ganzheitliche Leistung, die ihr Geld wert ist.

Herr Hense, ich bedanke mich für dieses Gespräch.

  Quelle:


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