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Mein Corona-Berater-Tagebuch Teil 1

01.07.2020

von Klaus Doll

In den zurückliegenden Monaten mussten die meisten Berater corona-bedingt ihr Business teilweise neu ausrichten. Der Organisationsberater Klaus Doll, Neustadt an der Weinstraße, hat die Entwicklungsprozesse, die er als Person mental und seine Unternehmung als Organisation durchliefen, mit einem Schuss Selbstironie beschrieben.

24. Januar 2020: Ich sitze am Freitagabend in meinem Büro und plane die kommende Arbeitswoche. Im Hintergrund läuft ein Radio-Sender. Beim Blick in meinen Kalender bin ich zufrieden: Meine Grundauslastung für das Jahr stimmt; außerdem sind ausreichend neue Projekte in der Pipeline. Meine Kunden sind offenbar zufrieden mit meiner Arbeit. Also beauftragen und empfehlen sie mich weiter. Auch meine Investitionen im Marketingbereich zahlen sich anscheinend aus. Während ich in meinen Kalender blicke, höre im Radio nebenbei: Das neuartige Corona-Virus hat Europa erreicht. In Frankreich gibt es die ersten bestätigten Erkrankungsfälle. Beunruhigen tut mich dies nicht. Dabei ist die französische Grenze nur 30 Kilometer von Neustadt an der Weinstraße entfernt.

27. Januar: Die erste erfasste Corona-Erkrankung in Deutschland wird aus dem Landkreis Starnberg gemeldet, und ein Kunde spricht mich erstmals beim Telefonieren beiläufig auf Corona an. Er sagt halb scherzhaft: „Vielleicht müssen wir ja unseren Ende April geplanten Führungskräfteworkshop verschieben“. Ich stimme ihm lachend zu. Beschlüsse fassen wir nicht.

15. Februar: Frankreich meldet den ersten Todesfall in Europa. Größere Gedanken mache ich mir darüber nicht. Schließlich stirbt permanent jemand auf dieser Welt.

23. Februar: Italien riegelt aufgrund der rasant steigenden Zahl der nachgewiesenen Infektionen die Städte im Norden ab und erlässt weitreichende Ausgangsbeschänkungen. Ich sage zu meiner Frau Nikola: „Das ist ja krass, was da in Italien passiert.“ Auch sie ist betroffen. Nachdenklich schaue ich aus dem Fenster und registriere: In der „deutschen Toskana“, also an der Deutschen Weinstraße, blühen vermutlich bald die ersten Mandelbäume.

Das Virus rückt näher und wird allmählich bedrohlich
27. Februar: Der neu eingerichtete Corona-Krisenstab der Bundesregierung tagt erstmals. Die Reisemesse ITB wird abgesagt. Die Schweiz verbietet Veranstaltungen mit mehr als 1.000 Menschen. Allmählich wird mir klar: Ein größeres Problem kommt auf uns zu, zumal inzwischen bei vielen Unternehmen – zum Beispiel ZF, BMW und Wacker – die ersten Mitarbeiter erkrankten und immer mehr Kunden das Thema im Gespräch mit mir erwähnen.

2. März: Der erste Kunde fragt bei mir an, ob wir einen für Ende April geplanten Führungskräfte-Workshop corona-bedingt verschieben können: Wir verschieben ihn.

9. März: Italien erklärt wegen der hohen Zahl der Corona-Infizierten das ganze Land zur Sperrzone. Der Dax verzeichnet aufgrund dieser Nachricht den höchsten Tagesverlust seit den Terroranschlägen vom 11. September 2001. Beunruhigt frage ich mich: Was rollt da auf uns zu? Welche Auswirkungen hat dies auf meine Arbeit? Mir wird bewusst, wie fragil unsere Lebenskonstrukte sind und wie rasch sich vieles in kurzer Zeit ändern kann. Erstmals verspüre ich Sorgen um die Gesundheit meiner Familie.

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13. März: Seit gestern moderiere ich einen Workshop bei einem meiner ältesten Kunden im Schwabenland. „Corona“ ist sehr nahegerückt. Es werden keine Hände mehr geschüttelt, wie ungewohnt; zugleich wird jedoch wie üblich, wenn eindeutige Infos fehlen, viel spekuliert. Auf der Heimreise suche ich gezielt ein leeres Zugabteil auf. Meine Frau ruft an und berichtet: Ab kommender Woche sind in Rheinland-Pfalz die Schulen, Kitas und womöglich auch Geschäfte, die keine Lebensmittel verkaufen, geschlossen. Also müssen meine Frau und ich mehr Zeit für die Betreuung unserer fünf- und zehnjährigen Jungs aufbringen. Da werden wir ganz schön jonglieren müssen, weil wir beide als Berater, Trainer und Coaches noch recht volle Terminkalender haben. Doch in der letzten Woche stieg die Zahl der Anrufe und Mails von Kunden mit Auftragsstornierungen oder der Bitte, Termine zu verschieben. Mir schwant: Bald werde ich mehr Zeit als mir vielleicht lieb ist für die Kinderbetreuung haben.

Ich schalte allmählich in den „Krisenmodus“ um
15. März: Übers Wochenende dachte ich intensiv darüber nach, wie ich einen Teil meiner Trainings-und Beratungsleistungen digitalisieren kann, auch weil ich registrierte: Meine Frau Nikola, die primär als Coach arbeitet, hat im Gegensatz zu mir, keine Auftragsstornierungen. Im Gegenteil! Die Coachinganfragen scheinen corona-bedingt sogar zu steigen. Der Grund: Sie coacht primär Einzelpersonen und Paare – und diese häufig auch per Telefon sowie mit solchen Tools wie Teams, Facetime und Zoom. Diese Arbeitsform ist deshalb weder für sie, noch ihre Klienten neu. Auch ich habe in den letzten Jahre schon „bei Bedarf“ Einzelcoachings per Telefon und Skype durchgeführt. Forciert habe ich dieses „Business“ aber nicht. Und inwieweit dies auch mit Gruppen klappt, was meine überwiegende Arbeit ist, das muss ich noch herausfinden.

16. März: Ich habe von der für Video-Konferenzen und Online-Trainings mit mehreren Teilnehmern benötigten Technik noch wenig Ahnung. Also treffe ich mich mit einem befreundeten IT-Dienstleister und lasse mich von ihm beraten. Ich beauftrage ihn, das nötige Equipment für mein Büro zu besorgen, damit ich zumindest technisch einsatzfähig bin. Zeitgleich entwerfe ich erste Konzepte, wie ich meine Angebote online durchführen könnte. Ich verspüre diesbezüglich eine große Unsicherheit. Und insbesondere nachts beschäftigen mich die Fragen: Kann ich meine Familie vor „Corona“ schützen? Kann ich sie weiter so gut wie in den letzten Jahren versorgen? Der intensive Austausch mit meiner Frau, man könnte auch ihr Coaching sagen, hilft mir mich meinen Ängsten zu stellen und die notwendigen Veränderungen umzusetzen.

17. März: Ich konnte kurzfristig einige befreundete Manager und Unternehmer dafür gewinnen, mit mir angedachte künftige Formate meiner Arbeit und die Konferenztechnik in „Live-Online-Sessions“ auszuprobieren. Ich will herausfinden, ob ich die Qualität meiner Arbeit auch „online“ halten kann, bevor ich diese Angebote meinen Kunden unterbreite. Es folgen drei lange, arbeitsreiche Tage. Dann klappt der Umgang mit der Technik und ich verspüre zunehmend Sicherheit beim Online-arbeiten. Das Fazit meiner Feedbackpartner lautet: „Es ist ungewohnt, doch überraschend, wie gut Training und Beratung über dieses Medium funktioniert.“ Völlig platt, doch ermutigt falle ich ins Bett.

Ist die Krise für mich als Berater ein Chance oder…?
20. März: Meine ersten Online-Produkte stehen, auch ihre Beschreibungen sind weitgehend formuliert. Aber auf meiner Webseite findet man von meinen digitalen Angeboten noch keine Spur. Zudem weiß ich nicht, wie ich mit diesen außer meinen Stammkunden, eventuell auch einige Neukunden erreiche. Also kontaktiere ich Bernhard Kuntz von der Marketingagentur Die PRofilBerater und bitte ihn um Unterstützung. Er erwidert, nachdem ich mein Anliegen geschildert habe, lachend: „Na, dann sind Sie vermutlich der einzige deutsche Berater, der die Krise tatsächlich als Chance nutzt. Die meisten reagieren auf die Auftragsstornos mit einem rigiden Cost-Cutting.“ Zum Lachen ist mir eigentlich nicht zumute, denn ob die Krise wirklich eine Chance für mich ist, das ist noch lange nicht klar.

23. März: Der Bund und die Länder einigen sich auf strenge Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen: Der sogenannte Lockdown beginnt. Millionen Deutsche werden über Nacht Kurzarbeiter. Andere sind nur noch im Homeoffice tätig. Ich bin froh, dass meine Frau und ich in den letzten Jahren einige Euro zur Seite gelegt haben: Hungern werden wir in den nächsten Monaten nicht. Das ist beruhigend.

25. März: Ein schon länger geplanter Gruppencoaching-Termin findet erstmals per Videokonferenz statt. Ich freue mich, dass sich der Kunde, ein international tätiger Mittelständler, ohne zu zögern, darauf eingelassen hat. Seine spontane Rückmeldung: „Für unsere Führungskräfte sind Videokonferenzen nicht neu. Warum sollte das Coachen so nicht klappen? Wir probieren das einfach mal!“. Ich bin ein bisschen aufgeregt und froh, dass ich mir im Vorfeld viel Zeit zum Üben nahm. „Alles lief bestens“, meldet mir der Kunde anschließend zurück. Das deckt sich mit meinem Gefühl. Puh, ein Anfang ist gemacht.

26. März: Meine ersten Online-Beratungsangebote stehen auf meiner Webseite. Zudem ist meine erste diesbezügliche Pressemitteilung versandt. Auf eine allzu große Resonanz soll ich jedoch nicht hoffen, warnen mich die PRofilBerater; denn: Die Fachzeitschriften können die Meldung frühestens in ihren Mai-Ausgaben veröffentlichen. Zudem springen zurzeit sehr viele Berater panisch auf den Online-Zug auf. Deshalb werden die Print- und Online-Medien mit entsprechenden Pressemitteilungen überschwemmt. Das merke ich auch in meinem Mail-Eingang: Täglich erhalte ich vier, fünf Einladungen zu kostenlosen Webinaren von Beratern, die ich nicht kenne, die mir so ihre „Solidarität in der Krise“ beweisen möchten. Wie werden potenzielle Neukunden angesichts dieser Angebotsflut auf meine kostenpflichtigen Beratungsangebote reagieren? Ich vereinbare mit den PRofilBeratern auch meine Social-Media-Aktivitäten auszubauen, denn: „Von nix kommt nix“. Das ist mir klar.

Hurra, ich bin jetzt ein echter Online-Trainer & -Coach
27. März: Heute steht das erste Online-Training mit einer größeren Gruppe per Videokonferenz an. Ich bot allen Teilnehmern an, vor dem Termin die Technik und die Handhabung mit mir zu checken. Die meisten nehmen das Angebot wahr und in der Tat: Es gibt Probleme, doch wir können sie lösen. Das eigentliche Online-Training starten wir komplett und pünktlich. Je länger es dauert, desto sicherer fühle ich mich in meiner neuen Rolle als Online-Moderator und -Trainer. Es fängt an, Spaß zu machen, und die Kunden sind mit dem Ergebnis sehr zufrieden.

30. März: Ich spreche mit meinem Steuerberater – unter anderem über die im Hilfspaket für die Wirtschaft, das die Bundesregierung am 22. März beschloss, enthaltene Soforthilfe. Ich hatte einen sehr guten Start ins Jahr 2020. Also beschließe ich, die Soforthilfe erst einmal nicht zu beantragen. Mein Auftragsbestand ist inzwischen zwar drastisch eingebrochen, doch nicht alle Aufträge wurden gecancelt: Einige Kunden haben sich auf eine Online-Arbeit eingelassen und noch habe ich Reserven. Da hat es einige Berufskollegen deutlich schlimmer erwischt. Dass ich die entstandenen Löcher vollumfänglich durch Online-Beratungsangebote stopfen kann, daran glaube ich jedoch nicht.

2. April: Der zweite, nun ganztägige, bezahlten Online-Workshop mit den Führungskräften eines Unternehmens steht an – obwohl mir Kollegen davon abrieten. Doch ich dachte: Lass‘ es mich mal ausprobieren; das Risiko ist überschaubar. Und wer nichts wagt, der nichts gewinnt. Also konzipierte ich ein Workshop-Design, bei dem auf Sessions im Plenum Module folgen, bei denen die Teilnehmer entweder allein oder in Zoom-Gruppenräumen in Zweier- oder Dreier-Teams etwas ausarbeiten. Und dazwischen gibt es Pausen. Dieser Mix funktioniert. Das spüre ich und das bestätigen mir die Teilnehmer – auch wenn man am Design noch feilen kann. Ein „Learning“ ist: Beim nächstes Mal gibt’s mehr, aber dafür kürzere Pausen.

Die Unsicherheit ist in der Politik und Wirtschaft groß
7. April: Interessiert verfolge ich seit Wochen die allabendlichen Corona-Talkrunden im Fernsehen. Fasziniert registriere ich, wie weit die Meinungen und Einschätzungen solcher Experten wie der Virologen bezüglich des „neuartigen“ Corona-Virus auseinander gehen und sich im Zeitverlauf ändern. Und eingekeilt zwischen diesen Experten sitzen in den Talkshows stets Top-Politiker, die aufgrund dieser unsicheren Faktenlage so weitreichende Entscheidungen wie den Lockdown beschließen müssen: Sie haben in den zurückliegenden Wochen gewiss mehr als sonst in zwei, drei Legislaturperioden entschieden. Ich verspüre parteiübergreifend Bewunderung für sie – egal, wie sie heißen. Respekt nötigt mir auch ab, welche Ruhe sie nach einem extrem arbeitsreichen Tag noch in den abendlichen Talkrunden ausstrahlen – im Gegensatz zu einigen Experten und Beratern.

17. April: In den Tagen vor und nach Ostern habe ich mit einigen Entscheidern in Unternehmen per Videokonferenz „Strategieworkshops“ durchgeführt – sofern man die Workshops so nennen kann, denn aktuell haben fast alle Entscheidungen eine extrem kurze Halbwertszeit. In ihnen ging es meist darum, wie es in den Unternehmen weitergeht, nachdem die erforderlichen Akut-Maßnahmen, zum Beispiel zur Sicherung von deren Liquidität, ergriffen sind. Immer seltener wird von der Zeit „nach der Krise“ gesprochen, weil klar wird: Ihre Dauer ist unbestimmt. Und häufig taucht die Frage auf: Wie gehen wir als Führungskräfte mit Unsicherheit um – der eigenen und der von Mitarbeitern? Mir wird zunehmend bewusst, wie weit die Ist-Situation bei meinen Kunden auseinander klafft: Während in einer Klinik die Mitarbeiter aufgrund der vielen Arbeit nicht wissen, wo ihnen der Kopf steht, und ein Medizintechnik-Hersteller seine Produktion hochfuhr, ist bei anderen Unternehmen Kurzarbeit angesagt. Bei wieder anderen läuft alles weiter wie gehabt, außer dass die Arbeitsprozesse den nun geltenden Hygieneregeln angepasst wurden. Alle Unternehmen beschäftigt jedoch die Frage: Wie sehen in einem halben Jahr die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen aus? Bricht zum Beispiel die EU auseinander? Erhöhen die Staaten ihre Handelsbarrieren? Sind die nötigen Vorprodukte und Rohstoffe noch lieferbar? Hierüber lässt sich aktuell nur spekulieren.

In der Krise entwickelt sich ein gewohnter Alltag
19. April: Es ist Wochenende. Meine Frau und ich stellen fest, dass sich inzwischen bei uns ein gewisser Alltag in der Krise entwickelt hat. Unsere Belastung ist hoch, beruflich und privat. Wir können aufgrund der fehlenden Kinderbetreuung nur versetzt arbeiten. Die Zeit, die ich ansonsten in Zügen und im Auto und bei Kunden verbracht habe, brauche ich für unsere Jungs, während meine Frau arbeitet. Bei allem Improvisieren und aller Unsicherheit freuen wir uns aber sehr darüber, dass wir als Familie und Kleinunternehmer recht gut mit der Situation klarkommen. Und apropos Jungs: Die spüren natürlich, dass uns viel bewegt; ich bin sicher nicht immer der präsente Vater, der ich gerne wäre, weil mir so viele Dinge durch den Kopf gehen.

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Fotos: www.doll-beratung.de

20. April: In Deutschland treten die ersten vorsichtigen Lockerungen der Corona-Schutzmaßnahmen in Kraft. Viele Bundesländer erlauben wieder das Einkaufen in Geschäften mit bis zu 800 Quadratmetern Verkaufsfläche. Erschreckt habe ich in den letzten Tagen registriert, wie allmählich wieder das gewohnte inner- und zwischenparteiische Gezänk beginnt und die Lobbyisten immer lauter ihre Forderungen artikulieren. Dabei sind seit dem Lockdown gerade mal vier Wochen vergangen, und zu Recht warnt unsere Bundeskanzlerin, so meine Meinung, vor voreiligen Lockerungen.

22. April: Ich plane ein firmeninternes Online-Training „Führung und Zusammenarbeit in Corona-Zeiten“ für einen Neukunden. Dass in Krisenzeiten so schnell aus einem neuen Kontakt ein Auftrag entstand, freut mich sehr. Mein Aufraggeber nutzt eine Software, die ich zwar getestet, aber wegen ihres wenig nutzerorientierten Handlings für mich verworfen habe. Nun muss ich mich doch intensiver mit ihr befassen und mir eine gewisse Routine im Umgang mit ihr aneignen.

  Quelle: www.die-profilberater.de


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