zurück

Mein Corona-Berater-Tagebuch Teil 2

02.07.2020

von Klaus Doll

24. April: Über Umwege erfuhr ich, dass von der Corona-Krise betroffene KMU kostenlos Beratungsleistungen im Wert von bis zu 4.000 Euro in Anspruch nehmen können – branchenübergreifend. Finanziert wird die Beratung zu 100 Prozent vom Bundeswirtschaftsministerium (BMWi), und abgewickelt wird das Ganze über das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA). Ich stricke ein entsprechendes Beratungsangebot. Parallel versuche ich die BAFA zu erreichen, um zu erfahren, wie man von ihr als Beratungsunternehmen akkreditiert wird. Doch ich erreiche niemand. Den ganzen Tag ist das Telefon besetzt. Also wühle ich mich, wie sicher viele meiner Kollegen, durch die Informationen, die online erhältlich sind.

27. April: Ich habe die nötigen Unterlagen bei der BAFA eingereicht. Wie lange das Genehmigungsverfahren dauert, kann mir niemand sagen. Schade, ich hätte das kostenlose Beratungsangebot gerne als „Goodie“ für einige Stammkunden und Akquiseinstrument bei Neukunden genutzt.

Die Betriebe bereiten sich auf das Lockdown-Ende vor
4. Mai: Ich halte bei meinem Neukunden das firmeninterne Online-Training „Führung und Zusammenarbeit in Corona-Zeiten“. Während der Veranstaltung kommt zufällig zur Sprache, dass es bei der genutzten Software jedem Teilnehmer möglich ist, Mitschnitte zu machen. Shit, das hatte ich nicht auf dem Radar! Wir versichern uns gegenseitig posthum, davon keinen Gebrauch zu machen, doch künftig muss ich dieses heikle Thema aktiv ansprechen und klären.

7. Mai: Bei meinen wöchentlichen Video-Calls mit einigen Stammkunden merke ich, wie sich angesichts des sich abzeichnenden Endes des Lockdowns und der allmählichen Rückkehr in den Regelbetrieb die Themen ändern, die den Teilnehmern auf den Nägeln brennen. So sorgt es in einigen Betrieben für Spannungen, dass ein Teil der Mitarbeiter es kaum erwarten kann, wieder live zusammen zu arbeiten, ein anderer möchte lieber weiterhin – zumindest partiell – zu Hause arbeiten. In anderen Unternehmen ist Kurzarbeit ein großes Thema. Es wird in der Belegschaft lebhaft darüber diskutiert, wieso einige Kollegen voll arbeiten und 100 Prozent Gehalt bekommen, während andere daheimbleiben und mit dem Kurzarbeiter-Geld auskommen müssen. Auch die Frage muss geklärt werden: Wie kann man bei Aufnahme des Regelbetriebs die vorgeschriebenen Hygiene- und Infektionsschutzmaßnahmen einhalten? Zunehmend wird mir klar: Die Rückkehr zum Regelbetrieb stellt die Führungsmannschaften vor viele neue, bisher ungekannte Fragen und Herausforderungen.

14. Mai: Ich spreche mit einem Kunden, dessen Unternehmen am 20. Mai wieder in den Regelbetrieb zurückkehrt, ob wir künftig die zweiwöchentlichen Führungskreis-Treffen, die ich moderiere, wieder als Präsenzveranstaltung durchführen sollen. Seine Antwort: „Ach nein, lassen sie uns diese vorläufig mal wie in den letzten zwei Monaten als Video-Konferenz durchführen.“ Ich merke, dass ich über diese Antwort nicht unerfreut bin. Schließlich entfallen dadurch für mich zwei Stunden Reisezeit. Zudem sind die Kitas und Schulen noch geschlossen, also bin ich weiterhin verstärkt als „Erzieher“ gefragt.

Doll, Klaus_Videokonferenz-Technik.jpg

Toll, ich halte wieder mein erstes Präsenzseminar
15. Mai: Ich führe in einem Tagungshotel mein erstes firmeninternes Präsenzseminar seit dem Lockdown durch. In ihm trägt niemand Mundschutz, doch alle Anwesenden achten genau darauf, den vorgeschriebenen Sicherheitsabstand einzuhalten. Entsprechend wurde auch der Tagungsraum bestuhlt. Nach den vielen Wochen mit Kontakt-Einschränkung vermittelt das Präsenzseminar ein Gefühl der „Normalität“. Und für die Hotelinhaber bedeutet es die ersten Einnahmen seit Mitte März. Alles in allem klappt es recht gut, wenn auch manche Situationen etwas „spooky“ wirken: Beim Mittagessen sitzt jeder Teilnehmer an einem separaten Tisch. Auch das gemeinsame Feierabendbier in der Hotelbar entfällt. Ich stelle mir vor, der der Workshop hätte online stattgefunden, und bin mir sicher: Auch das hätte gut funktioniert. Hierüber spreche ich in der Abschlussrunde mit den Teilnehmern. Auch sie können sich vorstellen, dass künftig mehr Trainings online stattfinden. Und ich bin mir sicher: Das wird künftig so sein.

23. Mai: Ich ziehe im Gespräch mit meiner Frau eine Art Zwischenbilanz. Ich muss gestehen: Meine Umsätze sind, Stand heute, deutlich niedriger als vor Ausbruch der Corona-Krise. Es hat sich jedoch auf alle Fälle gelohnt, dass ich recht früh, noch vor dem Lockdown, Zeit und Geld in den Auf- und Ausbau meiner Online-Trainings- und -Beratungskompetenz investierte: Einige für meine Kunden wichtige Prozesse – und für mich wichtige Aufträge – konnten deshalb fast nahtlos weitergehen. Zum Glück! Mir war zwar schon vor der Corona-Krise klar: Die digitale Transformation der Wirtschaft macht auch vor der Beraterbranche nicht Halt, doch denken und handeln sind auch bei Beratern zuweilen zweierlei. Um zu entscheiden, was dieses Wissen für meine Arbeit bedeutet und die Beschlüsse konsequent umzusetzen, bedurfte es den Anstoßes „Corona-Virus“. Dankbar bin ich dem Virus hierfür nicht. Dafür ist der gesellschaftliche und wirtschaftliche Preis zu hoch. Dass ich mich aber, als es anfing, brenzlig zu werden, so schnell auf die neue Herausforderung einstellte, macht mich stolz.

25. Mai: Eine neue Arbeitswoche beginnt. Über die BAFA-Förderung gibt es inzwischen Meldungen aus seriöser Quelle, dass dieses Programm eingefroren wurde – weil die Flut der Anträge, worunter auch viele unseriöse waren, das hier vorgesehene Budget bei Weitem sprengte und das BAFA personell für diesen Ansturm nicht gerüstet war. Verständlich, aber auch schade, weil viele Unternehmen in Krisenzeiten, die Marktumbruchzeiten sind, einen Blick von außen und eine gute Beratung brauchen. Das weiß ich aus eigener Erfahrung.

Zum Glück waren die subventionierten Beratungen nicht das einzige Pferd, auf das ich in den letzten Wochen setzte. Ansonsten würde ich jetzt innerlich zittern. So bereite ich mich aber ruhig auf den wöchentlichen Video-Call mit den Führungskräften eines Stammkunden vor, der in einer halben Stunde beginnt.

Womit überrascht uns „Corona“ noch?
30. Mai: Heute beginnt das Pfingstwochenende. Bevor mich gleich meiner Familie widme, checke ich in meinem Büro den Maileingang. Im Spamordner finde ich zahlreiche Mails, in denen mir Gesichtsschutzmasken zum „Sonder-Dumping-Preis“ angeboten werden. Da haben sich anscheinend einige „clevere Geschäftlemacher“ verzockt. Das hoffe ich zumindest! Die Mails zeigen mir aber auch, wie viel sich aktuell in unserer Gesellschaft in kürzester Zeit ändert.

Wurden vor wenigen Wochen Masken noch in Gold aufgewogen, so mutieren sie inzwischen wieder zur Cent-Ware. Ich bin gespannt, was uns Corona noch bringt. Doch jetzt gehe ich erst mal mit meinen Jungs in unsere Werkstatt. In meinem allerersten Beruf bin ich Zimmerer und handwerke noch immer gerne; meine Jungs mögen das auch. Meine Frau hat so mal Zeit für sich.

4. Juni: Gestern verständigten sich die Spitzen der Koalition auf ein Konjunkturpaket – nach 21 Stunden Verhandlungen, was für ein Stress. Unter anderem wird bis Jahresende die Mehrwertsteuer gesenkt. Die Kaufprämien für klima- und umweltfreundliche Elektroautos werden verdoppelt; auch der Kauf von klimafreundlichen Lastwagen, Flugzeugen und Schiffen wird gefördert. Zudem sind weitere „Überbrückungshilfen“ im Umfang von 25 Milliarden Euro für corona-bedingt notleidende Betrieb geplant. Insgesamt 130 Milliarden Euro zur Stimulierung der Konjunktur will der Staat nochmals locker machen. Mir wird bei solchen Summen schwindelig. Doch der Wirtschaft wird das gut tun. Und der DAX? Er hat mit fast 12500 Punkten nahezu wieder seine alten Höchststände erreicht.

5. Juni: Verrückte Welt! Heute Morgen sprach ich mit einem Top-Manager bei einem Medizintechnik-Hersteller. Er sagte mir auf den Punkt gebracht, er könne das Krisen-Gebabbel nicht mehr hören. Seinem Unternehmen habe die Corona-Krise bisher nur randvolle Auftragsbücher beschert, wenn man davon absähe, dass es aufgrund der nun geltenden Infektionsschutz- und Hygieneregelungen einige Arbeitsabläufe „leicht modifizieren“ musste. Heute Nachmittag telefonierte ich dann mit einer oberen Führungskraft bei einem Automobilindustriezulieferer. Er stand unter Strom. Er klagte unter anderem darüber, welche Spannungen in seinem Unternehmen dadurch entstünden, dass manche Mitarbeitergruppen „schon wieder regulär arbeiten dürfen und ihr volles Gehalt nebst Schichtzulagen usw. bekommen, während andere noch zuhause Däumchen drehen und nur Kurzarbeitergeld beziehen“. Sein Fazit: „Die Leute brauchen das Geld; sie wollen arbeiten.“ Nach dem Telefonat berichte ich meiner Mitarbeiterin und Kollegin, der Wirtschaftspsychologin Meike Silaghi, die mich auch beim Marketing und der Kundenbetreuung unterstützt, von den beiden Gesprächen. Ihre Antwort: „Das deckt sich mit meinen Erfahrungen in den vergangenen Wochen. Echt wichtig, dass wir bei der Kundenansprache stets im Hinterkopf haben, wie unterschiedlich aktuell deren Situation und somit Bedarf ist.“ Wie Recht sie damit hat!

8. Juni: Ich kümmere mich zuhause mal wieder um unsere Jungs. Jakob, 10 Jahre, geht zwar wieder zur Schule, doch eine Nachmittagsbetreuung gibt es nicht. Und die Kita unseres Jüngsten: Lukas – 5 Jahre? Sie ist noch geschlossen. Also halte ich die Stellung, wenn meine Frau als Coach im Einsatz ist. Ihr Business läuft gut. Fast könnte man sagen, sie ist eine Krisengewinnlerin. Durch die Krise gewann sie neue Kunden in der regionalen Hotellerie und Gastronomie sowie Tourismusindustrie, die in einer Zeit, in der es zum Beispiel keine Weinfeste mehr gibt, ihre Geschäfts- und Vermarktungsstrategien überdenken müssen. Außerdem erwuchsen bei einigen ihrer Stammkunden aus den corona-bedingten beruflichen und unternehmerischen Problemen auch private Probleme – zum Beispiel im Beziehungsbereich. Also stieg auch hier der Coachingbedarf.

Klaus-Doll-mit Jungs-beim-Werkeln.jpg

Fotos: www.doll-beratung.de

11. Juni: Heute ist Fronleichnam – also Feiertag. Ich blättere in der Juni-Ausgabe der Zeitschrift wirtschaft+weiterbildung“. Mein Blick bleibt an der Überschrift einer Meldung hängen: „Corona-Krise erreicht die Consulting-Branche“. Darin steht, dass laut einer Befragung des BDU seiner Mitglieder die Beraterbranche die Auswirkungen der Corona-Krise schon im 1. Quartal 2020 spürte. Insgesamt seien in ihm 13 Prozent der Projekte storniert wurden. Im 2. Quartal werden es gewiss weit über 50 Prozent sein – da bin ich sicher. Ich muss beim Lesen der Meldung schmunzeln. So museal wirkt sie Stand heute. Die Meldung endet mit dem Satz: „Auch ein Beratungsfeld wie die Sanierungsberatung, die in Krisenphasen in der Regel besonders nachgefragt wird, meldet schlechte Geschäfte.“ Ich hoffe, dass dies so bleibt, weil die krisengeschüttelten Geschäftsmodelle vieler Unternehmen sich mittelfristig auch ohne Subventionen wieder als tragfähig erweisen. Ob das so kommt, ist im Moment allerdings noch Kaffeesatz-Leserei.

14. Juni: Es ist Sonntag. Meine Frau hirnt mit mir darüber, wie wir in der kommenden Woche die Betreuung unserer Jungs gewährleisten können. Sie hat zahlreiche Coachingtermine und ich falle von Montag bis Mittwoch als „Betreuer“ aus. Der Grund: Ich halte dann mein erstes dreitägiges Seminar für einen Stammkunden nach dem Lockdown, bei dem ich aufgrund der Entfernung auch im Tagungshotel übernachte. In den zurückliegenden Monaten, in denen ich weitgehend in unserem Büro arbeitete, war die Kinderbetreuung nach gewissen Startschwierigkeiten kein Problem. Doch in den nächsten Wochen, wenn meine Reisetätigkeit wieder zunimmt, wird sie dies werden. Auf meine Frau kommt definitiv eine stressige Woche zu. Also schnappe ich mir unsere Jungs und gehe mit ihnen aufs „Weinbiet“, den Neustadter Hausberg, damit meine Frau einen ruhigen Nachmittag hat.

Wie wird die Corona-Zeit in die Geschichte eingehen?
17. Juni: Der Tag, der bis 1990, also bis vor 30 Jahren, ein Jahr nach dem Mauerfall, der Tag der deutschen Einheit war. Es ist fast 11 Uhr abends. Ich bin von meiner Seminartour gerade zurückgekehrt. Das Seminar lief gut, und es hat Spaß gemacht, meine Kunden mal wieder „live“ zu treffen. Ich sitze mit meiner Frau auf dem Sofa bei einem Glas Wein; unsere Jungs schlafen. Wir sind beide hundemüde – ich auch aufgrund der 3,5-stündigen Autofahrt nach dem Seminar. „Wie gemütlich war doch die Zeit nach dem Lockdown, als wir beide abends fast regelmäßig gemeinsam zur Tagesschau vor’m Fernseher saßen.“, sage ich halb ironisch, halb ernst zu meiner Frau. Wir lachen beide. Wie werden wir als Gesellschaft in 30 Jahren über „Corona“ denken, frage ich mich. Die Antwort weiß ich nicht. Ich weiß nur, die Zeit nach dem Mauerfall und der deutschen Wiedervereinigung sowie die staatlichen Maßnahmen, die damals ergriffen wurden, werden auch heute noch sehr unterschiedlich bewertet. Ähnlich wird es vermutlich bei Corona sein.

  Quelle: www.die-profilberater.de


Gratis Gastzugang

Submissions-Anzeiger | Tageszeitung-Ad

Aktuelles
Seminarangebot

Baurecht- und Vergabeseminare