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Nach Aufhebungsvertrag: Anspruch auf entgangenen Gewinn?

22.03.2022

 

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat mit Urteil vom 23.11.2021 – XIII ZR 20/19 – folgendes entschieden:

Ein Anspruch auf Ersatz entgangenen Gewinns besteht nicht, wenn der öffentliche Auftraggeber ein mit einer Aufhebung des ersten Vergabeverfahrens und einer fehlerfreien Neuvergabe wirtschaftlich und wertungsmäßig entsprechendes Ergebnis herbeiführt, indem er mit demjenigen, der den Zuschlag zu Unrecht erhalten hat, einen Aufhebungsvertrag schließt und sodann in Bezug auf den gleichen Auftrag ein neues Vergabeverfahren durchführt.

Ein öffentlicher Auftraggeber (AG) hatte Bodenbelagsarbeiten national nach Abschnitt 1 der VOB/A öffentlich ausgeschrieben. Das Verfahren wurde im Auftrag des AG durch das Ingenieurbüro S ausgeführt. Bieter A und B gaben Angebote ab. Die Vergabeunterlagen wiesen in einer Position des LV eine zu geringe Massenvorgabe von 230 qm anstatt von (richtigerweise) 4.480 qm aus. A setzte in seinem Angebot für diese Position einen Einheitspreis von 6,75 Euro ein, B einen solchen von 3,50 Euro. Allen Beteiligten war die (zu geringe) Massenvorgabe bei Durchführung der Bietergespräche bekannt. B erhielt als vermeintlich Günstigster den Zuschlag. Erst danach wurde festgestellt, dass S bei der Angebotsbearbeitung ein Übertragungsfehler unterlaufen war, wodurch das Angebot des B geringfügig günstiger erschien als das des A. Daraufhin schloss der AG mit B einen Aufhebungsvertrag und führte ein neues Vergabeverfahren unter Beteiligung beider Bieter durch. B war Bestbieter und erhielt erneut den Zuschlag. A klagte darauf gegen den AG wegen des ihm entgangenen Auftrags auf Schadensersatz in Höhe des positiven Interesses. Das erstinstanzliche LG wies die Klage ab, das OLG gab ihr statt.
Der BGH gibt dem AG Recht und weist die Klage ab; A stehe kein Schadensersatz auf Ersatz des positiven Interesses (entgangener Gewinn) gem. §§ 280 Abs. 1, 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB zu.
Zwar umfasse nach ständiger Rechtsprechung ein Schadensersatzanspruch wegen einer verfahrensfehlerhaft erfolgten Vergabe ausnahmsweise dann den Ersatz des entgangenen Gewinns, wenn der übergangene Bieter den Auftrag bei ordnungsgemäßer Vergabe hätte erhalten müssen und ein Zuschlag tatsächlich erteilt worden sei. Hier sei zwar ursprünglich ein Zuschlag an B erteilt worden, obwohl die Angebotswertung wegen eines Rechenfehlers vergaberechtswidrig gewesen sei. Allerdings müsse berücksichtigt werden, dass der AG nach Feststellung des Fehlers mit B die Aufhebung des geschlossenen Vertrages vereinbart und sodann ein neues Vergabeverfahren durchgeführt habe.
Durch die Teilnahme an einer Ausschreibung werde ein vorvertragliches Schuldverhältnis begründet, durch das Rücksichtnahmepflichten gemäß § 241 Abs. 2 BGB entstünden. Verletze der AG eine solche Rücksichtnahmepflicht, könne der Bieter Ersatz des Schadens verlangen, der ihm durch die mangelnde Beachtung der für das Verfahren und seine mögliche Aufhebung maßgeblichen Vorschriften entstanden sei. So sei regelmäßig ein Anspruch des Bieters auf Erstattung des negativen Interesses (Kosten der Angebotsbearbeitung) gegeben, wenn der AG das Vergabeverfahren aufhebe, ohne dass ein Aufhebungsgrund nach § 17 Abs. 1 VOB/A vorliege. Die vergaberechtlichen Vorschriften mit bieterschützendem Charakter begründeten aber kein Recht auf die Auftragserteilung, sondern nur das Recht eines jeden Bieters auf Teilnahme am Wettbewerb unter fairen, transparenten und nicht - diskriminierenden Bedingungen und damit auf Wahrung der Chance auf einen Zuschlag. Die Bieter könnten demgemäß zwar die Beachtung aller für das Verfahren und die Zuschlagserteilung maßgeblichen Vorschriften erwarten, nicht aber die Auftragsvergabe selbst. Ein Anspruch auf Ersatz des entgangenen Gewinns bestehe ausnahmsweise nur dann, wenn der übergangene Bieter den Auftrag bei ordnungsgemäßer Vergabe hätte erhalten müssen und ein Zuschlag tatsächlich erteilt worden sei.
Ein Anspruch auf Ersatz entgangenen Gewinns komme daher nicht in Betracht, wenn der öffentliche Auftraggeber – wie hier - ein mit einer Aufhebung des ersten Vergabeverfahrens und einer fehlerfreien Neuvergabe wirtschaftlich und wertungsmäßig entsprechendes Ergebnis herbeiführe, indem er mit demjenigen, der den Zuschlag zu Unrecht erhalten habe, einen Aufhebungsvertrag schließe und sodann in Bezug auf den gleichen Auftrag ein neues Vergabeverfahren durchführe. Dabei könne dahinstehen, ob die zwischen B und dem AG gemäß § 311 Abs. 1 BGB vereinbarte Aufhebung den Zuschlag mit Rückwirkung habe entfallen lassen. Denn ein Anspruch auf Ersatz entgangenen Gewinns sei grundsätzlich nur dann gegeben, wenn der "falsche" Bieter den Auftrag auch tatsächlich erhalte. Sei das nicht der Fall, weil es zu einem den gesamten Auftrag betreffenden Aufhebungsvertrag und einer sich daran anschließenden Neuvergabe komme, werde das Recht des übergangenen Bieters - hier des A - auf Teilhabe am Vergabeverfahren und Wahrung seiner Chance bei der Auftragsvergabe im Regelfall ausreichend gewahrt. Eine Verletzung vergaberechtlicher Vorschriften in dem vom AG durchgeführten zweiten Vergabeverfahren behaupte A im vorliegenden Fall aber nicht. Nach den genannten Grundsätzen könne ein Anspruch des A auf das negative Interesse gegeben sein, den A hier aber nicht geltend gemacht habe.

Anmerkung:

Eine interessante Konstellation, weil hier nicht das ursprüngliche Vergabeverfahren, sondern der abgeschlossene Vertrag zwischen dem AG und B aufgehoben wurde. Es spricht einiges dafür, dass mit dieser Aufhebung des Vertrags bzw. Zuschlags damit auch das ursprüngliche Vergabeverfahren aufgehoben wurde und damit gegenstandslos ist. Selbst wenn A hier ein Rechtsmittel im ersten Vergabeverfahren eingelegt hätte, hätte dies nur dazu geführt, dass das Verfahren (wegen des schweren Fehlers im LV) aufgehoben, aber nicht, dass der Zuschlag auf sein Angebot erteilt worden wäre. Insofern war die Durchführung des zweiten Verfahrens rechtmäßig und B hat sich als wirtschaftlichster Bieter letztlich durchgesetzt. A hätte aber wenigstens hilfsweise das negative Interesse fordern müssen, um wenigstens ohne finanziellen Verlust davonzukommen.

  Quelle: RA Michael Werner


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