zurück

Nachforderung auch im Fall von fehlerhaften Erklärungen möglich

02.10.2014

Vergabekammer Nordbayern:

sitsen_web.jpg

Die Regeln zur Nachforderung fehlender Erklärungen und Nachweise werfen nach wie vor Fragen auf. Die Vergabekammer (VK) Nordbayern hat sich nun u.a. mit der Frage beschäftigt, wann ausnahmsweise nicht nur bei fehlenden, sondern sogar bei fehlerhaften Erklärungen nachgefordert werden kann.

Vergaberechtlicher Hintergrund
Die Nachforderung von fehlenden Erklärungen und Nachweisen ist seit Dezember 2009 in den Vergabe- und Vertragsordnungen geregelt. Bekanntlich ist die Nachforderung im Anwendungsbereich von VOF und VOL/A nach Ermessen des Auftraggebers möglich und im Anwendungsbereich der VOB/A gibt es eine Nachforderungspflicht. Die Nachforderung kommt dabei nur in Betracht, wenn die in den Ausschreibungsbedingungen geforderten Erklärungen oder Nachweise nicht vorgelegt wurden, also physisch nicht vorhanden oder unvollständig waren oder sonst nicht den formalen Vorgaben des öffentlichen Auftraggebers entsprachen. Nicht erfasst ist dagegen die Nachbesserung des Angebots oder des Teilnahmeantrags. Hat ein Bieter beispielsweise Referenzen angegeben, die zur Bejahung der Eignung inhaltlich nicht ausreichen, darf er nicht zur Angabe zusätzlicher Referenzen aufgefordert werden. Darin läge eine unzulässige Verbesserung des Angebots (vgl. etwa VK Bund, Beschluss vom 06.12.2011, VK1–153/11). Kurz gesagt: Zulässig ist die Angebotsvervollständigung, unzulässig dagegen die Angebotsverbesserung. Eine äußere Grenze der Nachforderung dürfte außerdem bestehen, wenn wesentliche Kernangaben des Angebots fehlen. Dann wurde schon kein wirksames Angebot abgegeben, so dass eine Nachforderung unzulässig ist.

Sachverhalt
Im der Entscheidung der VK Nordbayern zugrunde liegenden Fall wurde ein öffentlicher Bauauftrag europaweit ausgeschrieben. Einziges Zuschlagskriterium war der Preis. Im Angebot mussten an verschiedenen Positionen des Leistungsverzeichnisses die Fabrikate der eingesetzten Produkte eingetragen werden. Ein Bieter hatte statt der Fabrikate die Hersteller- bzw. Vermieterfirma benannt und wurde vom Auftraggeber wegen widersprüchlicher Angaben ausgeschlossen. Da er das günstigste Angebot abgegeben hatte, wollte er den Ausschluss nicht hinnehmen und hat nach erfolgloser Rüge ein Nachprüfungsverfahren initiiert.

Entscheidungsgründe
Die VK Nordbayern hat den Nachprüfungsantrag als begründet angesehen. Die entscheidungserhebliche Frage bestand darin, ob die Vergabestelle die Fabrikatsangaben hätte nachfordern müssen. Da es sich um einen Bauauftrag handelte, hätte jedenfalls kein Ermessen bestanden. Ungewöhnlich war der Fall jedoch deshalb, weil die Felder im Leistungsverzeichnis, in denen die Eintragungen vorzunehmen waren, schließlich nicht leer waren. Vielmehr waren Eintragungen vorhanden – nur eben nicht die inhaltlich geforderten. Dementsprechend stellte die Vergabekammer auch zunächst fest, dass fehlerhafte Angaben nicht mit fehlenden Erklärungen gleichgesetzt werden könnten. Grundsätzlich können nur fehlende Erklärungen nachgefordert, aber nicht fehlerhafte Erklärungen nachgebessert werden. Dies gelte aber, so die Vergabekammer weiter, nicht bei offensichtlichen Unrichtigkeiten. Sinn des Vergabeverfahrens sei es nämlich auch, das wirtschaftlich günstigste Angebot zu wählen und ein solches nicht an formalistischen Gesichtspunkten scheitern zu lassen. Dementsprechend stünden auch unvollständige, unleserliche oder ungültige Erklärungen den fehlenden Erklärungen gleich. Hier liege ein Fall der offensichtlichen Unrichtigkeit vor, schließlich habe auch die Vergabestelle erkannt, dass der Bieter nicht das Fabrikat, sondern die Herstellerfirma benannt habe. Die Vergabestelle wurde daher verurteilt, die fehlenden Angaben nachzufordern und sodann die Angebotswertung erneut vorzunehmen.

Konsequenzen für die Praxis
Im Ergebnis ist der Vergabekammer beizupflichten, dass der Angebotsausschluss vergaberechtswidrig war. Die Begründung überzeugt dagegen nur bedingt. Das Kriterium der offensichtlichen Unrichtigkeit ist schwer zu fassen und birgt daher in der Rechtsanwendung Unsicherheit. Soll nun derjenige, der bei einer Leistungsposition ein offensichtlich völlig untaugliches Produkt anbietet, nachbessern dürfen, während derjenige, der mit seinem Produkt nur ganz knapp daneben lag, ausgeschlossen wird? Nachvollziehbarer wäre es gewesen, wenn die Vergabekammer hier von einer unvollständigen und nicht von einer offensichtlich unrichtigen Erklärung ausgegangen wäre. Zur Erinnerung: Der Bieter hatte nicht den Produkttyp angegeben, sondern lediglich die Herstellerfirma. Bei genauem Hinsehen liegt darin schon keine Fabrikatsangabe. Die Annahme einer unvollständigen Erklärung wäre sicher vertretbar gewesen.

Daher war es im Ergebnis auch richtig, den Angebotsausschluss rückgängig zu machen und das Angebot nach Vervollständigung durch den Bieter zur Wertung zuzulassen.

Wie aber wäre zu entscheiden gewesen, wenn der Bieter ein Fabrikat angegeben hätte, welches zwar existiert, aber in keiner Weise den Leistungsanforderungen gerecht werden kann? Nach der VK Nordbayern wird der Bieter sein Angebot wohl nachbessern dürfen, wenn die Abweichungen ganz offensichtlich sind. Wann aber ist eine Unrichtigkeit ausreichend offensichtlich? Für die Auftraggeber wird es schwer sein, hier eine Praxis zu etablieren, die nachvollziehbar ist und dem Gleichbehandlungsgrundsatz entspricht. Im Interesse der Rechtssicherheit wäre es eher sinnvoll, in einem solchen Fall zu einem Angebotsausschluss zu kommen. Auf der anderen Seite ermöglicht die Entscheidung der VK Nordbayern den Auftraggebern, auch derartige Angebote im Verfahren zu lassen und später in die Wertung zu nehmen. Das wäre vor dem Hintergrund des Wirtschaftlichkeitsgrundsatzes durchaus positiv zu sehen. Den Auftraggebern ist zu empfehlen, von dieser Entscheidung der VK Nordbayern eher zurückhaltend Gebrauch zu machen – allenfalls dann, wenn ein ganz offensichtlicher Denkfehler des Bieters vorliegt.

Von einem Angebotsausschluss betroffene Bieter sollten künftig hinterfragen, ob ein Ausschluss tatsächlich notwendig war und nicht vielleicht doch eine Nachforderung möglich oder sogar zwingend gewesen wäre.

  Quelle: Dr. Michael Sitsen / www.orthkluth.com


Gratis Gastzugang

Submissions-Anzeiger | Tageszeitung-Ad

Aktuelles
Seminarangebot

Baurecht- und Vergabeseminare